Kapitel 9

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Ich bin mit Vivien im Möbelhaus verabredet, nachdem Sebastian mich wieder einmal vertröstet hat. Nach unserem Streit wollte er zur Widergutmachung den Kleiderschrank kaufen, den ich am schönsten fand. Anstatt nun mit ihm shoppen zu gehen, hängt er lieber mit seinem Kumpel Leto ab und ich warte an der Ecke auf Vivien, die mich wieder einmal abholt. Ihr schwarzer BMW erscheint keine fünf Minuten später in meinem Sichtfeld, sie trägt eine große, dunkle Sonnenbrille, die perfekt zu ihrer Gesichtsform passt. Ich gehe zur Beifahrerseite, öffne die Tür und alles, was ich rieche sind Flieder und Lavendel. Ich schlucke sichtlich, lasse mich neben ihr fallen und blicke in ein strahlendes Gesicht. „Bereit zu shoppen?", fragt sie, berührt mich leicht an der Schulter und legt dann den ersten Gang ein. „Aber sowas von", erwidere ich und schiebe hinterher, „Sorry, für den spontanen Überfall, aber ich bin froh, rauszukommen und nicht allein zu sein." Wir fahren los und aus den Augenwinkeln beobachte ich Vivien, die beim Fahren ihre Lippen leicht zusammenpresst und erst an der nächsten Ampel wieder zu mir spricht: „Ich habe mich gefreut, ehrlich, aber ich verstehe nicht genau warum. Hast du mir nicht gestern erzählt, dass er dir versprochen hat, heute mit dir gemeinsam nach dem Schrank zu schauen?" Ich atme geräuschvoll aus und antworte: „Das hat er, das ist richtig, aber er hat sein Versprechen nicht gehalten. Wieder einmal." Um etwas Zeit zu schinden, beobachte ich die Menschen um uns herum, die vorbeiziehenden Gebäude, Bäume und Hektik der Stadt, bis die Stille fast untragbar wird und fahre fort: „Sein Kumpel Leto hat heute morgen angerufen und gefragt, ob sie irgendein neues Spiel zocken wollen." Ich lasse die Worte in der Luft hängen, weil ich selbst nicht weiß, wie ich mich damit fühle. Sebastian erntete in der Vergangenheit immer mein größtes Verständnis, aber ein Spiel vorzuziehen, obwohl er mir versprochen hat, einen Schrank zu kaufen, deprimiert mich. „Bitte was?", purzelt es aus Viviens Mund, die geschockt zur Seite schaut, „Das kann ich nicht glauben! Und das nach eurem Streit?" „Jap und nun haben wir wieder Streit, er kann nicht verstehen, wie ich ihm seine Zeit zum Zocken nicht gönnen kann", wieder spüre ich die Tränen hinter meinen Augen steigen und presse die Augen fest aufeinander, um sie nicht laufen zu lassen. „Das tut mir leid", wispert meine Reitlehrerin, die mittlerweile zu einer Freundin geworden ist und schüttelt den Kopf, „Nachdem was du gestern erzählt hast, könnte eure Wohnung wirklich ein paar Möbel gebrauchen und ich verstehe nicht, wie er jetzt nicht schalten kann. Er macht es gerade nicht besser, nehme ich an?" „Überhaupt nicht", sage ich mit belegter Stimme, „Ich bin so wütend und ich frage mich, ob ich unfair bin, aber dann denke ich wieder, dass ich so ein verständnisvoller Mensch bin... Ich lasse ihm so viele Freiheiten... Und seit Monaten bettle ich darum, Möbel zu besorgen, Dekoration zu kaufen und alles, was passiert, ist nichts." „Vergiss das alles mal für einen Moment und sing mit mir, okay?", erwidert sie grinsend, dreht die Musik etwas lauter und beginnt mitzusingen. Ihre Stimme ist melodisch, feminin, sie trifft nicht alle Töne, aber ihre Aura ist ansteckend und keine zehn Sekunden später singe ich mit. Wir singen uns die Lunge aus dem Leib, grölen jeden Vers von Good4u mit, sie trommelt mit den Fingern auf dem Lenkrad und ich mache es ihr auf dem Armaturenbrett nach. Ich bewege mich von links nach rechts, schließe die Augen und erst als ich sie wenig später wieder öffne, bemerke ich, wie Vivien mich lächelnd betrachtet. Sie blickt schnell nach vorne, aber es ist mir nicht entgangen wie sie mich angesehen hat, dennoch kommentiere ich es nicht, da sie mir diese gute Laune überhaupt erst beschert hat.

Wir schlendern durch das Erdgeschoss und bleiben vor einem großen, modernen Spiegel stehen. Mir fehlt ein Spiegel im Schlafzimmer, mich immer nur im kleinen Badezimmerspiegel zu betrachten, um mein Outfit zu beurteilen, reicht mir nicht. Vivien zieht eine Augenbraue nach oben und fragt: „Habt ihr etwa auch keinen Spiegel?" Sie meint es nicht böse, weiß nicht wie es bei uns aussieht, jedoch seufze ich leicht und schüttle den Kopf: „Wir haben keinen, nur einen kleinen im Badezimmer." „Tut mir leid, ich wollte nicht böse klingen", sagt sie sofort als sie meinen leicht strafenden Unterton bemerkt, „Du hast zwar gesagt, dass ihr vieles nicht habt, aber einen Spiegel hast du nicht erwähnt und..." Sie hält inne, aus Angst noch mehr falsch zu sagen und ich drücke meine Schulter leicht gegen ihren Körper, um ihr die Angst zu nehmen: „Alles gut, das konntest du nicht ahnen und du willst nicht wissen, welche Basics uns alle fehlen. Aber alles auf einmal ist eben nicht drin." Ich ziehe sie weiter, dorthin wo die Kleiderschränke stehen und mein Lieblingsexemplar auf mich wartet. Vivien schaut sich suchend um, aber da es mir nicht schnell genug geht, nehme ich ihre Hand in meine und ziehe sie hinter mir her. Ein Kribbeln durchzieht meinen Körper und ihre Hand in meiner fühlt sich weich, warm und geschmeidig an. Ich schiebe alle Gedanken beiseite, lache als wir schneller werden und Vivien nun diejenige ist, die die Führung übernimmt. Ihre Finger umfassen meine und sie dreht sich strahlend um als ich sie zum Halten animiere. „Dieser hier?", fragt sie etwas atemlos und ich nicke, „Der ist wunderschön, Lou. Die Farbe, das Holz... der würde mir auch gefallen." „Immerhin eine Person, die es genauso sieht", murmle ich und nehme den Schrank in Augenschein, „Er ist noch immer so schön, wie ich ihn in Erinnerung habe. Mach ihn mal auf!" Erst jetzt bemerke ich, dass wir noch immer die Hand des anderen halten und auch Vivien scheint es erst jetzt zu realisieren. Sie lässt meine Hand mit einem Stirnrunzeln los, dreht sich um, öffnet den Schrank und macht ein hörbares Geräusch, welches mir signalisiert, dass ihr der Schrank ebenfalls gefällt. „Da ist ja richtig Platz drin, das hätte ich eben gar nicht gedacht", erklärt sie sich und stöbert durch die Schubladen, „Reicht er denn für euch zwei? Ich glaube Oliver und ich würden da Probleme bekommen." „Schau mal hier im Prospekt", ich halte ihr den aufgeschlagenen Prospekt entgegen und sie beugt sich zu mir. Unsere Köpfe berühren sich fast und ihre Haare fallen auf meine Hand, mit der ich die Seite aufhalte. „Es gibt verschiedene Module und er ist erweiterbar. Ich habe an das Modul C gedacht, damit ist der Schrank fast doppelt so groß und dann reicht er locker. Sebastian besitzt tatsächlich auch nicht so viele Klamotten und ich könnte noch etwas Bettwäsche verstauen", erläuterte ich ihr mein Vorhaben und ihr Kopf bewegt sich leicht auf und ab. „Ich verstehe, das kann ich mir gut vorstellen und schau mal dort, Lou. Es gibt auch noch die Option einen Spiegel zu integrieren!", sie zeigt auf die rechte Seite im Prospekt und ich schaue genauer hin, das war mir beim letzten Mal gar nicht aufgefallen. „Der Schrank wird immer besser", kichere ich und blättere eine Seite weiter, auf der die Variationen dargestellt werden. Ich finde zwei Seiten weiter auch die Variante mit integriertem Spiegel und bin begeistert – selbst die Maße passen und auch der Preis ist im Rahmen. „Und? Ist es dieser?", hakt Vivien nach und zeigt zur Verdeutlichung auf die Skizze, „Der Schrank ist der Wahnsinn." „Jap, der ist es", stimme ich zu und wir schauen uns nach einem Verkäufer um.

Vom Flieder so bunt (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt