Kapitel 4

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„Du warst letzte Woche ganz schön angespannt und jetzt bist du so still", sagt Vivien zu mir, während wir Fiori und Matteo satteln. „Hm?", rutscht es mir raus und schaue hoch. Vivien mustert mich mit einem Blick, der mich unruhig auf der Stelle tänzeln lässt. Sie unterbricht zu keiner Sekunde den Augenkontakt, zieht allerdings eine Braue in die Höhe und erklärt: „Als du mit deiner Kollegin hier warst und den Donnerstag danach ebenfalls. Alles in Ordnung?" In ihrem Blick liegt eine Sorge, die ich nicht erklären und fassen kann. Selbst meine beste Freundin Elaine ist nicht so besorgt um mich, wenn irgendwas los ist. Vivien kann nicht ahnen, dass gerade alles zusammenkommt, was ich nicht gebrauchen kann. Der Zustand auf der Arbeit, der nahende Todestag meiner Eltern und die horrend hohe Rechnung, die wir wegen unseres Autos bekommen haben. Zwei Tage nachdem ich mit Natalie auf dem Hof gewesen bin, ist Sebastian auf dem Weg zur Arbeit mit einem Reh kollidiert. Ich bin froh, dass ihm nichts passiert ist, aber unser Auto hat einen sehr hohen Schaden davongetragen. Es lohnt sich fast nicht, es zu reparieren, weshalb wir seit Tagen Diskussionen führen, wie es nun weitergehen soll. Es zehrt an meinen Nerven und ich bin unkonzentriert, launisch und still. Stille begleitet mich seit Jahren. Wenn mich etwas überfordert ziehe ich mich zurück, igle mich ein und rede nicht. Ich presse unbewusst die Lippen aufeinander, schnaufe leicht auf und mustere Vivien, die mich noch immer nicht aus den Augen gelassen hat. Ihre Stirn ist leicht in Falten gelegt, die Augenbrauen scheinen etwas höher zu sitzen als im entspannten Zustand und ihre Bewegungen beim Satteln wirken wie eine mechanische Abfolge. „Es ist alles okay", murmle ich wenig glaubhaft und als ich einen Hauch von Ärgernis auf Viviens Gesicht erkenne, fahre ich fort, „Nun ja, okay... Es könnte besser sein." Ihr Brustkorb hebt sich einmal ruckartig, dann schnallt sie den Sattel fest und erwidert: „Du weißt, wenn du reden möchtest, bin ich für dich da." Diese Aussage erfasst mich kalt, eiskalt und völlig unvorbereitet. Selbst Vivien scheint über sich selbst überrascht, denn sie dreht sich in Windeseile um, macht sich ans Verstauen von Kleinigkeiten und meidet meinen Blick. Ich starre ihren Rücken an, verharre auf ihren lockigen Haaren, die sich über ihre Schulter schlängeln und bringe mühsam hervor: „Danke, das weiß ich sehr zu schätzen." Ihre Schultern entspannen sich kaum merklich, doch es entgeht mir nicht, aber noch immer sieht sie mich nicht an. Wörter brennen auf meinen Lippen, wollen raus und doch schnürt mir Angst die Kehle zu. Doch was ist schon dabei? Immerhin hatte Vivien mir vor genau zwei Minuten dasselbe gesagt, aber die Angst vor Zurückweisung macht sich in mir breit. Ich schlucke schwer und schiebe hinterher: „Dasselbe gilt für dich, Vivien." Meine Reitlehrerin dreht sich langsam zu mir um, schlägt die Augen nieder, nickt nur leicht mit dem Kopf und wechselt das Thema so geschmeidig wie ein Elefant: „Bereit für deinen ersten Ausritt?"

Fiori blickt mich mit funkelnden Augen an, während ich mit ihm an dem Wiesenweg halte, den Vivien für unseren ersten Ausritt auserkoren hatte. Ich nehme die Leine in die Hand, ziehe sie etwas straffer und kurz darauf über seinen Kopf. Seitlich trete ich an den großen Hengst heran und bleibe unschlüssig vor dem Sattel stehen. Vor meinem inneren Auge blitzen alle Momente auf, die mir momentan das Leben erschweren und die Angst zu fallen, ist so präsent wie am ersten Tag. Vivien spürt meine Unsicherheit und bindet Matteo an dem Zaun fest, der zu unserer rechten die Weide abzäunt. „Du schaffst das. Ist fast wie in der Halle", ermuntert sie mich und tritt an mich heran. Die kühle Winterluft fegt um uns herum, wirbelt Viviens Haare in mein Gesicht und bringt einen blumigen Duft mit sich. Unbewusst atme ich tief ein und rüste mich für den nächsten Moment. Manchmal nehme ich zu viel Schwung, manchmal zu wenig, was mir viele Lacher von Vivien einbringt – heute will ich allerdings keinen Fehler machen. Innerlich zähle ich bis fünf und bewege mich trotzdem nicht, da spüre ich eine Hand, die sanft auf meinem oberen Rücken liegt: „Denk nicht zu viel nach. Leb den Moment, spüre Fioris Ruhe. Mach dir in diesem Moment keine Sorgen, okay? Egal was gerade los ist, ich verspreche dir, sobald du auf seinem Rücken sitzt, ist alles vergessen. Du kannst sie zumindest für diese Stunde hinter dir lassen. Atme ein letztes Mal tief ein und aus, dann mit leichtem Schwung hoch auf den Sattel. Ich bin die ganze Zeit bei dir. Du wirst nicht fallen, okay? " Mit meinem Rücken lehne ich mich für eine Sekunde zurück, in die Berührung hinein, spüre die Wärme, die meinen Körper durchflutet und dann presse ich eine Bestätigung hervor, spanne die Waden an, setze einen Fuß in den Steigbügel und ziehe mich hoch. Etwas wackelig, aber sicher lande ich im Sattel und Vivien grinst mich wie ein Honigkuchenpferd an: „Ich habe doch gesagt, du schaffst das! Super, dann lass uns los." Ich beobachte, wie sie elegant auf Matteo Platz nimmt und bewundere ihre Art bei jeder Bewegung wie eine Fee auszusehen. Bei ihr sieht es so einfach aus.

Vom Flieder so bunt (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt