Kapitel 7

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Erst als ich den Reiterhof betrete, merke ich, wie sehr ich es hier vermisst habe. Nach dem Todestag habe ich mich nicht dazu in der Lage gefühlt die Wohnung zu verlassen. Zur nächsten Reitstunde streckte mich Migräne nieder und so blieb ich dem Reiterhof eine Woche fern. Kieselsteine knirschen unter meinen Sohlen, der Geruch von frischem Heu wird vom Wind herbeigetragen und die Vögel, die oben in der Scheune leben, fliegen aufgeregt umher. Je näher ich dem Pferdestall komme, desto mehr entkomme ich der lähmenden Trauer, das Gefühl ebbt mit jedem Schritt etwas mehr ab. Ich habe es hier vermisst. Den Geruch, die Atmosphäre, die Pferde und die Frohnatur, die an der Box von Fiori bereits auf mich wartet. Ich spüre ein sanftes Ziehen im Brustkorb, ordne es als Wiedersehensfreude ein und schlendre langsam auf die beiden zu. Vivien grinst mich an und steckt mich mit ihrer Freude an, es fühlt sich an, als ob die Sonne ihren Weg zurück in meine Gedanken gefunden hat. Alles fühlt sich leichter an, wärmer, ausgewogener. Ich nehme ihre Erscheinung wahr, sie trägt ihre braune Mähne zum Zopf, hautenge Leggins schmiegen sich an ihre muskulösen Beine und ich reiße meinen Blick von ihr, um einen Blick auf Fiori zu werfen, der aufgeregt wiehert. „Ich habe dich auch vermisst", rufe ich ihm zu und streiche mit meiner Hand über seine Stirn. „Und was ist mit mir?", fragt mich Vivien mit neckendem Unterton und ich unterdrücke ein Husten. Wärme schießt in mein Gesicht und bevor sie davon Wind bekommen kann, schlingt sie ihre Arme um mich und zieht mich in eine Umarmung, die sich fremd und bekannt zugleich anfühlt. Es ist unsere erste Umarmung und ich verstehe nicht, wie es dazu gekommen ist, aber ich lege vorsichtig meine Arme um sie und spüre jede Kurve ihres Körpers unter meinen Fingerkuppen. Der weiche Stoff ihres Wollpullis, der leicht an meinem Fingernagel ziept, ihre Haarsträhnen, die ihr Gesicht umrahmen und meine Nase kitzeln, der blumige Geruch, der sich seinen Weg in meine Nase bahnt und in mein Gedächtnis brennt. Ihre Wärme, ihr Körper die sich wie ein züngelndes Feuer anfühlt. Auch wenn ich nichts lieber möchte als in ihren Armen zu liegen, eise ich mich los und höre ein leises Summen, welches durch ihre halbgeschlossenen Lippen dringt. „Dich natürlich auch", presse ich hervor, schaffe es aber nicht ihr in die Augen zu sehen. Ich meide ihren Blick so gut es geht, es entgeht ihr nicht, aber sie kommentiert es nicht. Gemeinsam striegeln wir die Pferde, säubern die Boxen und schwingen uns kurze Zeit später auf den Rücken der Pferde. Der Ausritt ist gemütlich, voller Ruhe, Entspannung und was mich am meisten erschüttert: meine Gedanken sind vollkommen blank. Meine Gedanken sind kein tobender Sturm mehr, eher ein laues Lüftchen, welches um Häuserecken zieht.

„Geht es dir gut?", ihre Stimme klingt rau, schüchtern und ich blicke zu ihr rüber. Sie sitzt steif im Sattel, ihr Gesicht schaut nach vorne, aber ihre Schultern sind leicht zu mir gedreht und ihre Augen suchen meine. „Ja", bringe ich nüchtern hervor und schaue wieder nach vorne, „Zumindest jetzt wieder." Wieder umhüllt uns eine Stille, doch sie fühlt sich nicht verkehrt an. In mir wächst das Verlangen über meine letzten Tage zu reden, mich ihr zu öffnen und dabei rede ich selbst mit Elaine nicht über meine Emotionen, auch wenn sie immer wieder nachfragt. „Jetzt wieder?", hakt Vivien vorsichtig nach und treibt ihr Pferd sanft an etwas schneller zu werden. Wir kommen aus dem leichten Trab heraus, Adrenalin durchströmt meine Adern, Luft füllt meine Lungen und Endorphine machen sich in mir breit. Die Leichtigkeit nimmt mich mit, lockert meine Zunge und ich erwidere: „Vor ein paar Tagen war der Todestag meiner Eltern." Vivien stoppt und ich tue es ihr nach. Fiori trappelt unruhig auf der Stelle, doch beruhigt sich als auch Matteo innehält und etwas Gras vom Boden zupft. „Komm mit", Vivien lenkt Matteo nach rechts, runter vom Feldweg, zwischen zwei Tannen hindurch, mitten in den Wald hinein. „Wo reiten wir hin?", frage ich, doch Vivien antwortet nicht. Äste knacken unter den Hufen unserer Pferde, aus ihren Nüstern dringt ein leises Schnaufen und Vögel krächzen in der Ferne, ansonsten ist es still. Ich höre meinen eigenen Atem nur zu deutlich und das Blut rauscht in meinen Ohren. „Ich will dir was zeigen", ist alles, was ich von Vivien zur Antwort bekomme und so reite ich gemächlich hinter ihr her. Ich fixiere ihren Kopf, ignoriere ihren schwingenden Zopf, der ihr bis zu den Schulterblättern geht und jede Bewegung ihres Körpers umso mehr betont. Ich beiße mir auf die Unterlippe, umfasse die Zügel etwas fester, bis meine Finger weiß werden und untersuche die Gegend um mich herum. Die Bäume sind kahl, aber stehen dicht an dicht. Mooshügel tummeln sich auf dem Boden, verdecken jedes Stückchen Erde und schillern im sanften Sonnenlicht und Tauwasser um die Wette. Von Smaragdgrün zu Schlammgrün, jede Farbe ist vertreten. Ich sehe vergammelte Pilze, die ihre Köpfe hängen lassen, oder halb zertrampelt ihr Dasein fristen. Umgefallene Baumstämme unterbrechen das Moosbild, ragen manchmal halb hinauf, oder liegen zerfallen am Boden. Käfer flitzen in die Baumlöcher, fort von den Störenfrieden, den potenziellen Feinden.

Vom Flieder so bunt (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt