Kapitel 27

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„Stell das bitte hier ab", Vivien deutet auf die linke Ecke und ich stelle den Eimer mit Holzlasur auf den abgeklebten Boden. Schweiß läuft mir an meinem Rücken hinab, doch ich beschwere mich mit keiner Silbe, sondern hole den nächsten Eimer in die Hütte hinein. Ich freue mich über unser anstehendes Projekt, auch wenn es mit einer immensen Anstrengung verbunden ist, weiß ich, dass es sich am Ende lohnen wird – weil Vivien glücklich sein wird. Die Überlegung die Hütte ihres Vaters wieder auf Vordermann zu bringen, kam uns bei einem Ausritt durch den Wald. Vereinzelt finden sich in der Nachbarschaft kleine Hütten in den Wäldern, früher nicht unüblich, heute nicht mehr Gang und Gebe, sondern mit einem Gruselfaktor versehen. Wir entdeckten in einem Waldstück eine neu angestrichene Hütte und ein Blick durch das Glas verdeutlichte uns, dass hier jemand die vorher runtergekommene Hütte mit Liebe wieder hergerichtet hat. „Brauchst du noch Folie?", frage ich und stelle den letzten Eimer in der Ecke ab. Vivien legt gerade den kompletten Boden mit Malerfolie aus, da wir vermeiden wollen, dass der vorab präparierte und verbesserte Fußboden unter dem Dreck der Wände leidet. „Ich glaube das sollte reichen, oder siehst du noch irgendwo eine Lücke?", sie wirft mir einen knappen Blick zu, während sie mit Klebeband den letzten Rest befestigt. Akribisch schaue ich in jede Ecke und verneine ihre Frage. Zufrieden betrachtet sie unser Werk und legt einen Arm um meine Taille: „Danke, dass du mir bei alldem hilfst. Ich weiß, das hier ist keine Luxusvilla, aber..." „Aber sie hat einen emotionalen Wert – außerdem finde ich sie unheimlich kuschelig, wenn sie wieder glänzt, können wir hier schöne Zeiten erleben", beende ich ihren Satz. Summend stimmt sie mir zu, stöhnt aber kurz darauf, als ihr Blick über die Wände gleitet: „Ich hätte die Hütte nicht so verkommen lassen sollen, dadurch haben wir jetzt so viel Arbeit." „Wir schaffen das gemeinsam", ermuntere ich sie und platziere einen Kuss auf ihrer Schläfe, „Mach dir keinen Kopf."

Stunden später sitzen wir mit schmerzenden Rücken auf der durchgesessenen, alten Couch. Mir schmerzt jeder Zentimeter meines Körpers, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Hütte gibt einem direkt ein anderes Gefühl und ich weiß schon jetzt, hier werde ich mich wohlfühlen. „Ich kann es mir schon bildlich vorstellen", sinniere ich und zeige nach rechts, „Dort kommt der Schrank hin, den wir in dem Second Hand Geschäft gesehen haben. Hier drüben würde sich der kleine Tisch aus dem kleinen Zimmer deiner Mutter gut machen." Viviens Augen leuchten verräterisch und die Tränen sammeln sich bereits hinter ihren Lidern. Sie schaut sich einen Moment länger um, den Tränen lässt sie freien Lauf und erhebt sich kurz darauf. Sie geht an meine aufgezählten Plätze und bewegt kaum merklich ihr Kinn auf und ab: „Und dazu die Stühle aus dem Keller, das wird gut zueinander passen." „Die dunklen Stühle? Ja, die werden sich super zu dem Tisch machen", pflichte ich ihr bei und beobachte jeden ihrer Schritte. Vivien dreht sich einmal um ihre Achse, lächelt beseelt und setzt sich wenig später auf meinen Schoß. „Soll ich dir etwas verraten?", haucht sie mir entgegen und senkt ihren Blick. „Hmmm", meine Hand fährt an ihrem Rücken hinauf und ich spüre ihr Körpergewicht deutlich unter meinen Gliedern, sie lehnt sich in die Berührung hinein und genießt meine kreisenden Bewegungen, die die verspannten Muskeln lösen, „Verrate es mir, ich bin schon ganz neugierig." Ihre Lippen verziehen sich zu einem schelmischen Grinsen: „Hier in der Hütte wird dich niemand meinen Namen schreien hören." Vor Schreck schubse ich Vivien fast von meinem Schoß, was mir einen entrüsteten, aber auch amüsierten Lachanfall von Vivien einbringt. „Dein Blick war Gold wert", bringt sie mühsam hervor und ich kämpfe noch mit der Spucke, die mir in die falsche Röhre gelaufen ist. Ich huste theatralisch und muss mittlerweile rot wie eine Tomate sein, weshalb Vivien vorsichtig auf meinen Rücken klopft. „Vivien Räker!", rüge ich sie und ignoriere das brennende Verlangen in meinem Körper, „Wie kannst du sowas nur sagen!" Sie beruhigt sich langsam und fährt mir durch mein Haar: „Ganz einfach, daran denke ich schon den ganzen Tag. Es auszusprechen hat was Befreiendes, solltest du auch mal versuchen!" „Meinen versauten Gedanken eine Bühne bieten, meinst du?", hake ich lachend nach und ziehe sie wieder an mich, „Unglaublich... und du bist Lehrerin." „Was hat das eine mit dem anderen zu tun?", fragt sie mich unschuldig, „Ist ja nicht so, als hätte ich dich gebeten eine Strafarbeit abzusitzen... Oder anderweitig eine Strafe abzugelten." Bei ihren letzten Worten zwinkert sie mir zu und ich spüre erneut Hitze in mir aufwallen. Geräuschvoll puste ich Luft durch meine Lippen, nehme etwas Abstand zu ihr, was Vivien nur dazu veranlasst mich eilig in einen Klammergriff gefangen zu nehmen. „Nicht so schnell", sagt sie, „Ich habe nichts davon gesagt, dass du gehen darfst." Sie weiß genau, welche Wirkung sie mit ihren Worten erzielt und ich stürze mich regelrecht auf sie. Vivien fällt lachend auf den Boden und ich nagle ihre Hände auf dem Boden fest. „Wie war das?", knurre ich, „Ich darf sehr viel, wie du weißt." Ihr Kopf geht ein Stück in die Höhe, doch ihre Lippen berühren nicht die meine, was sie enttäusch aufseufzen lässt. „Bitte?", fragt sie leise und mein Herz flattert sanft. Ich beuge mich zu ihr hinunter und küsse sie, ich küsse sie, bis uns die Luft zum Atmen fehlt. Gedankenverloren gebe ich ihre Hände frei, um ihr ein paar Haare aus dem Gesicht zu streichen, diesen Moment nutzt Vivien, um mich auf den Boden zu befördern. Nun sitzt sie auf mir und lacht triumphierend: „Du bist zu gutgläubig." „Vielleicht war das hier meine Absicht?", erwidere ich grinsend, denn ich liebe das Gefühl von ihrem Körper auf meinem. Sie scheint für einen Moment darüber nachzudenken, schenkt diesem Gedankengang aber keine weitere Sekunde und setzt dort an, wo wir eben aufgehört haben.

Vom Flieder so bunt (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt