Kapitel 32

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A/N:

Es ist fast ein Jahr her, da schrieb ich die ersten Kapitel von diesem Buch – und nun hat es sein Ende gefunden. Ich möchte mich herzlich bei euch bedanken, für eure lieben Worte und Geduld, die ihr mitgebracht habt. Es gab im Jahr 2023 kreative Hochs und Tiefs, die der Arbeit geschuldet waren. Leider fand ich nicht ausreichend Zeit, um mich dieser Geschichte zu widmen, wollte sie aber unbedingt zu ihrem verdienten Abschluss bringen. Ich hoffe, ihr hattet eine schöne Zeit mit diesem Buch, diesen Worten und dieser Geschichte.

Danke, dass ihr auch Vivien und Lou eine Chance gegeben und sie auf ihrer Selbstfindung begleitet habt.

Eure Marina <3

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„Der kleine Flieder bahnte sich einen Weg durch das Unterholz, schob Kieselsteine beiseite, durchbrach jede Schicht, die sich dem Flieder in den Weg stellte. Und als der Flieder endlich das Licht erreichte, erblühte dieser in seiner ganzen violetten Pracht. Der Flieder sah das Sonnenlicht und erkannte sein wahres Ich und bunte Blüten gesellten sich zum Violett, es war eine Augenweide und brachte eine Aufmerksamkeit mit sich, die niemand in dem friedlichen Wald gewohnt war.

Der Flieder reckte sich empor, ließ sich von der Sonne küssen und konnte endlich frei atmen, auch wenn jeder Blick an ihm haftete. Er verstand den Trubel um sein Dasein nicht und erfreute sich an seiner wunderschönen Farbenpracht. Der Flieder konnte endlich atmen. Wieso sah das niemand?

Der Flieder, das ist sie. Sie ist die Sonne, das Unterholz, die Kieselsteine und sie ist die bunte Farbenpracht. Sie ist der Flieder so bunt. Sie ist der Flieder, der mich neue Gefühle erleben lässt. Sie ist es, die mich durcheinanderbringt, an mir selbst zweifeln und zugleich erkennen lässt, wer ich wirklich bin. Doch kann ich mich wirklich der Sonne entgegenstrecken, wenn meine Wurzeln tief mit dem Boden verankert sind und mit Liebe gepflegt wurden?"

Ich falte das vergessene Blatt Papier zusammen, welches ich vor Monaten in meiner Schreibtischschublade verstaut hatte. Die Worte fühlen sich noch immer so real an und ich schiebe das Papier in meine hintere Hostentasche, mit dem Ziel es später Vivien zu überreichen. Ich will sie meine Emotionen, Gedanken und Gefühle sehen lassen, wie ginge dies besser als mit geschriebenen Worten? Ich durchwühle die unaufgeräumte Schublade, schmeiße einige Dinge in den Karton rechts von mir, während ein paar Dinge auch in den Müll wandern. Auszumisten gehört nicht zu meinen Lieblingsaufgaben, aber mit dem Wissen, wofür ich dies tue, widme ich mich gerne dieser zeitfressenden Aufgabe. Ich arbeite mich durch die sechs Schubladen meines Containers, baue danach Bildschirm und Tower ab, verstaue dies in der Ecke und putze über die Schreibtischplatte drüber. Für einen Moment halte ich inne und schaue mich in meiner fast leeren Wohnung um. Nur noch vereinzelte Schränke müssen ausgeräumt werden, dann bin ich so gut wie fertig und werde diese Wohnung hinter mir lassen. In dieser Wohnung habe ich viel erlebt, Gutes wie Schlechts, doch ich bin froh über diesen Schnitt, den Neuanfang, den ich so herbeisehne.
Nach der Hochzeit tauchte Sebastian vor meiner Tür auf, ich war allein und öffnete sie nicht, was ihn nur noch wütender machte. Aus diesem Grund rief ich die Polizei, die ihn mit hängenden Schultern mit aufs Revier nahm. Kurze Zeit später folgte meine angedrohte Anzeige, seitdem muss er Abstand zu mir und Vivien halten. Allerdings habe ich nicht mehr viel Vertrauen in ihn, sodass ich dem ganzen kaum Glauben schenke. Ich stehe ständig unter Spannung, aus Angst er könnte wieder vor meiner Tür stehen, weshalb ich den Umzug herbeigesehnt habe. „Sollen wir den Schreibtisch abbauen?", reißt mich Ben aus meinen Gedanken und ich drehe mich zu ihm. „Gerne, der gehört dann zu dem Stapel an verkauften Dingen", erkläre ich, obwohl es total unnötig ist, da Ben mir geholfen hat viele Dinge einzustellen und diese für den Verkauf vorzubereiten. „Wird gemacht", antwortet er grinsend und bufft mich in die Seite, „Alles okay?" Seine Stimme klingt besorgt, auch an ihm gehen die Geschehnisse mit Sebastian nicht spurlos vorbei. Mittlerweile reden sie nicht mehr miteinander und Ben hat ständig ein wachsames Auge, wenn wir alle gemeinsam unterwegs sind. Ich mag mir nicht ausmalen, wie es für ihn ist, seinen guten Freund zu verlieren und zu sehen, wie er sich Frauen gegenüber verhält. Wir haben lange darüber gesprochen und er hat mir mehrfach versichert, dass er so jemanden nicht in seinem Leben braucht, trotzdem haben sie eine lange Vergangenheit miteinander. So wie auch Sebastian und ich. Ich seufze und sage: „Alles in Ordnung, es ist trotzdem komisch nun hier auszuziehen. Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge." „Das verstehe ich, dafür hast du nun endlich deinen Neuanfang, von dem du immer geträumt hast", antwortet Ben und zieht mich in eine kurze Umarmung, „Ich freue mich für dich, dass sich alles so gut entwickelt hat." „Wasserschaden sei Dank, was", lachend drücke ich ihn und schaue zu Vivien, die gerade die Pflanzen in Papier einschlägt, „Wer hätte das vor einigen Monaten gedacht? Ich nicht." „Das wird eine tolle und intensive Zeit, mit der richtigen Person wirst du dich wohlfühlen, glaub mir", ich weiß, worauf er anspielt, denn er kannte die Streitthemen zwischen mir und Sebastian nur allzu gut, „Außerdem habt ihr wochenlang geprobt, indem ihr hier zusammengewohnt habt. Das wird gut. Und sie hat Stil beim Einrichten." Er zwinkert mir zu und ich verfalle in ein lautes Lachen: „Das kannst du laut sagen, sie hat schon hier vieles zum Guten verändert, doch ich freue mich sehr, wenn wir die Wohnung nun gemeinsam einrichten können." „Gemeinsam", wiederholt er, „Ihr schafft euch eine gemeinsame Zukunft und das ist das Wertvollste, glaub mir. Ihr passt gut zusammen, jeder sieht das." Ich denke für einen Moment nach und betrachte meine Freundin, die mir auch nach all den Monaten noch Herzrasen beschert: „Ich weiß..." Ich spiele mit dem Ring an meinem Finger und ich sehe, wie Bens Blick zu dem Ring meiner Mutter huscht, ertappt halte ich inne und wispere: „Ich kann mir mit ihr das Undenkbare vorstellen... auch wenn du meine Meinung zu der Ehe kennst. Ich halte es nicht für eine Notwendigkeit, um die Liebe zu besiegeln. Aber je nachdem, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen, für sie wäre ich bereit dazu." Wissend lächelt Ben mich an und ich genieße die Dynamik, die sich zwischen uns entwickelt hat: „Auch das habe ich mir gedacht, ich habe letztens mit Elaine über euch gesprochen, sie wollte mir nicht glauben." Nun lachen wir beide. „Sie hat nicht unrecht, denk daran, wie ich dagegen gewettert habe", Schulterzuckend beschrifte ich die Kiste vor mir, in der die Inhalte meines Containers liegen, „Hättest du mich das vor einem Jahr gefragt, wäre meine Antwort wohl Nein gewesen." Ben stimmt mir zu und macht sich daran, den Schreibtisch auseinanderzubauen. Dabei zuzusehen, wie meine Wohnung immer karger wird und fast wieder so aussieht wie damals, lässt meinen Magen nervös rumoren. Ich lasse das hinter mir – all die negativen Emotionen und Erinnerungen.

Vom Flieder so bunt (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt