Kapitel 20

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Eine Woche habe ich es geschafft, Vivien aus dem Weg zu gehen. Ich schwänzte unsere Reitstunden, fand immer neue Ausreden, wieso ich nicht kommen kann. Doch nun stand unser Treffen vor der Tür und weder Sebastian noch ich antworteten in der Gruppe, ob wir alle dabei sind. Elaine und Ben wussten natürlich Bescheid, aber Vivien und Oliver tappten nach wie vor im Dunklen. Ich meide den Kontakt mit Sebastian, der es immerhin nach einer Weile aufgegeben hat, mich dauernd zu kontaktieren, aber jetzt gerade, mussten wir wohl eine Lösung finden. Ich tippe ein paar schnelle Worte an ihn und keine zwei Minuten später klingelt mein Handy. Die angespannte Stimmung ist greifbar als wir uns begrüßen. Schnell wird mir klar, keiner von uns beiden möchte eigentlich dabei sein, aber genauso wenig wollen wir absagen. „Und was machen wir nun?", frage ich gereizt, „Beide fernbleiben, oder es geht nur einer von uns hin?" „Wir gehen beide hin", erwidert er nüchtern und erläutert seine Worte, „Elaine und Ben wissen es bereits, Oliver und Vivien werden auch damit klarkommen. Ich mache eh mehr mit den Jungs und du mit den Frauen der Runde. Wir gehen uns so gut es geht aus dem Weg, das kriegen wir doch hin, oder?" Seine Worte bereiten mir kein Wohlwollen, aber ich möchte einerseits hin, weil ich Vivien sehen will und andererseits möchte ich Sebastian keine Bühne geben, auf der er vielleicht seine Version der Trennung schildert und sich besser darstellt als er sollte. Ich seufze laut, da mich nervt, wie er mich als Problem für den Abend darstellt und entgegne: „Ich kriege das hin." „Gut", er geht nicht auf meinen bissigen Ton ein, „Dann bis später."

Ich zupfe an meinem Croptop, welches ich seit Ewigkeiten nicht getragen habe und betrachte mich im Spiegel. Ich habe mich aufgebrezelt und Elaine wird mich direkt durchschauen, dennoch trage ich auch noch Lippenstift auf und schnappe mir meine Lederjacke. Ich verlasse die Wohnung und marschiere schnellen Schrittes Richtung Bahn, mit der ich gut 15 Minuten fahren werde. Wir treffen uns heute wieder zum Essen und anschließendem Feiern, ob das die beste Idee ist, werde ich erst am Ende des Abends feststellen. Nervös richte ich meine Frisur in der Scheibe der Bahn, erkenne in meinem Spiegelbild nur zu deutlich, wie sehr mir meine Nervosität anzusehen ist. Ich puste die Luft aus den Lungen, drücke den Halteknopf als meine Station aufgerufen wird und schwinge mich eilig durch die Tür, mit einer Schar von Menschen. Wir drängen uns durch die enge Gasse, die zur Innenstadt führt, für einen Samstagabend ist es nicht ungewöhnlich, dennoch geht es mir nicht schnell genug. Ich verfluche mich dafür so spät losgefahren zu sein und das nur, weil ich mich fünf Mal umgezogen habe. Prüfend schaue ich auf mein Handy, mir bleiben noch drei Minuten, um pünktlich zu sein. Warum ich so verbissen bin pünktlich zu sein? Sebastian. In mir regt sich das ungute Gefühl, er könnte jede Minute, die er allein mit unseren Freunden ist, für seine Sichtweise nutzen und das ist das Letzte, was ich möchte. Ich möchte ihm nichts unterstellen, dennoch werde ich dieses komische Gefühl in mir nicht los – meistens ist auf mein Bauchgefühl verlass. Nach wenigen Minuten erreiche ich das Restaurant, ich entdecke niemanden und prüfe unseren Gruppenchat. Ich bin tatsächlich die Erste. Erleichtert streiche ich meinen Schal glatt und stecke mein Haar hinter das Ohr. Gerade als ich mich umdrehen will, höre ich jemanden sagen: „Ich weiß nicht wie es dir geht, aber ich finde, du musst die Strähnen nicht hinter dem Ohr tragen. Es steht dir wirklich gut, wenn du sie dein Gesicht umspielen lässt." Viviens Lächeln reicht ihr von einem Ohr zum anderen und mein Bauch macht einen ungewollten Purzelbaum. Ich verstecke mein rotes Gesicht hinter dem Schal und erwidere: „Ich weiß nicht, sieht das nicht komisch aus, wenn da nur so Strähnen raushängen?" „Überhaupt nicht", sagt sie wie aus der Pistole geschossen und mustert mich eingehend. Meine Knie werden weich und ich räuspere mich, um ihren Blick von mir zu lösen. Das Geräusch schreckt sie tatsächlich aus ihrer Trance und entschuldigend zuckt sie mit den Schultern: „Hallo erstmal." Sie lächelt verlegen und zieht mich in eine Umarmung, die länger geht als nötig und doch nicht lang genug sein kann. Ihre Haare kitzeln meine Lippen, ihr Duft betört mich und ich spüre genau, wie auch sie einen tiefen Atemzug nimmt. Ich sehe sie nicht lächeln, doch ich spüre es an meinem Gesicht. „Da bin ich", Oliver erscheint in meinem Sichtfeld und wir lösen uns eilig voneinander. Oliver schenkt mir eine kurze Umarmung und sagt: „Ich habe beim Parken einen alten Freund getroffen, er will sich die Tage mal bei uns melden." Er bedenkt Vivien mit einem verkniffenen Blick und Irritation breitet sich in mir aus. Die Interaktionen zwischen ihnen wirken steif, gespielt, so als wäre etwas vorgefallen. „Super", erwidert Vivien nur und wendet sich dann wieder mir zu, „Bist du allein hier?" „Definiere allein", weiche ich aus und schiebe ein Lachen hinterher, „Jetzt seid ihr ja hier." „Ich weiß, das sehe ich selbst, Schlauberger", ärgert sie mich und Oliver kommt einen Schritt näher. „Wo ist Sebastian?", fällt er mit der Tür ins Haus und ich versuche mir nichts anmerken zu lassen. „Er kommt bestimmt gleich", erkläre ich und kneife meine Lippen zusammen, „Dann können wir reden." Vivien schenkt mir wieder diesen intensiven Blick und ohne sie ansehen zu müssen weiß ich, dass sie genau weiß was los ist. Ihr kleiner Finger streift meine Hand und sie fährt sanft über den erstbesten Finger, den sie erreicht. Ich meide es sie anzusehen, oder auch nur einen Blick auf unsere Hände zu werfen.

Vom Flieder so bunt (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt