Kapitel 17

367 20 1
                                    

Bevor ich das Trainingsgelände betrat, zückte ich mein Handy und scrollte durch meine Kontaktliste. Als ich bei 'J' ankam, stoppte ich und klickte auf das Profilbild. Darauf sah man Julian auf dem Tisch in seinem Blumenladen sitzen, umgeben von Sonnenblumen. Augenblicklich zuckten meine Mundwinkel nach oben. Alleine dieses Bild strahlte so viel Fröhlichkeit aus, wie ich sie in der letzten Woche kaum verspürt hatte. Und dabei strahlte der Mann noch mehr als seine Lieblingsblumen.

Ich schluckte, dann schloss ich das Bild wieder und öffnete stattdessen seine Kontaktdetails. Dort klickte ich zögernd auf die kleine Mülltonne. 'Diesen Kontakt löschen?', stand da. Mein Herz schrie nein, doch mein Verstand wusste, dass das der einzige Weg war, um Sophia zurückzugewinnen. Vorsichtig ließ ich meinen Daumen über 'Löschen' schweben, dann schloss ich meine Augen, holte tief Luft und drückte auf 'Abbrechen'. Mit dem Gedanken an Sophia nahm ich mir vor, das heute Abend nach dem Spiel nachzuholen. Vielleicht hatte ich ja dann die Kraft, Julian wirklich hinter mir zu lassen.

Wie üblich gab es noch ein Training, welches aber nicht einmal ansatzweise schaffte, Mason sein Lächeln aus dem Gesicht zu radieren. Er war noch immer so glücklich darüber, dass Catherine schwanger war, dass ich ihn schon fast darum beneidete, in einer glücklichen Beziehung zu sein. Und darum hetero zu sein. Als ich Sophia kennengelernt hatte und mit ihr zusammenkam, hatte ich kurze Zeit mit dem Gedanken gespielt, mich als das zu outen, was ich war. Bisexuell, aber in einer Beziehung mit einer Frau. Ich hatte gehofft, dass dieses Outing das ganze Gefüge wenigstens ein wenig lockern könnte. Doch momentan bereitete mir auch nur der Gedanke daran pure Panik.

Wenige Stunden später war es dann soweit und wir stellten uns im Spielertunnel in zwei Reihen auf. Gleich würde das Spiel beginnen. Chelsea FC gegen Aston Villa. Das Spiel, bei dem Timo und Julian geplant hatten zuzuschauen. Doch nach den Geschehnissen war ich mir sicher, dass Timo alleine da sein würde. Wenn überhaupt. Von draußen hörten wir schon die Besucher der Stamford Bridge jubeln und feiern. Sie sangen unser Lied, 'The Liquidator', bei dem ich jedes Mal fühlte, wie sich die Aufregung durch meinen Körper bahnte. Meine Muskeln spannten sich schon fast automatisch an und ich fühlte, wie Adrenalin durch meine Adern rauschte.

Auf den Platz zu laufen, mit zehntausenden, die einen anfeuerten, bereitete mir immer wieder aufs Neue ein Hochgefühl. Und jedes einzelne Mal wurde mir wieder aufs Neue bewusst, dass das der Platz war, an dem ich sein wollte. Hochkonzentriert und vollkommen in meinem Element versunken, zogen die Minuten bis zum Anpfiff an mir vorbei. Dann endlich, der Ball wurde ins Rollen gebracht und die Spieler stürmten los. Die Spannung loderte wie ein Feuer in mir und trieb mich zu Spitzenleistungen an, während ich einem Ball nach dem anderen nachjagte. Doch egal wie sehr ich mich bemühte, meine Konzentration ließ heute zu wünschen übrig, weshalb ich eine Sekunde in Gedanken versunken war und nicht bemerkte, wie der Ball zu uns in den Sechzehner flog. Einen Moment zu spät machte ich kehrt, um ihm hinterherzurennen.

Da war es auch schon passiert, ein Gegentor war gefallen. Frustriert raufte ich meine Haare und drehte mich einmal um die eigene Achse, um zurück zu meiner Position zu laufen. Beiläufig schweifte mein Blick über die Zuschauertribüne. Und als ich gerade schon wieder vollen Fokus auf den Ball legen wollte, da bemerkte ich sie.

Der Anblick brachte mich für ein paar Sekunden kurz aus dem Konzept, sodass ich fast über meine eigenen Füße gestolpert wäre. Dort, im East Stand, genau über dem Spielertunnel, stand mein bester Freund direkt neben dem Blondschopf, der bei mir in den letzten Wochen nichts als Verwirrung gestiftet hatte. Unter all den Menschen im Stadion war mein Blick auf ihn gefallen. Julian schenkte mir ein zaghaftes Lächeln, welches ich genauso erwiderte.

Ich spürte, wie sich die Anspannung in mir verdoppelte und meine Siegeswille angestachelt wurde. Julian sollte nicht enttäuscht von mir sein. Schnell wandte ich meinen Blick ab und bemühte mich, alles zu geben.

Während der ersten Halbzeit fiel kein weiteres Tor, doch das motivierte uns nach der Pause nur noch mehr, alles zu geben. Sogar noch mehr als alles zu geben, ich wollte Julian schließlich nicht enttäuschen. Ich rannte, als wäre ich Usain Bolt persönlich, dem Ball hinterher und hielt ihn dieses Mal ohne Konzentrationsdefizite unserem Strafraum fern. Ich spürte Julian's Blick auf mir, während ich mich bemühte, Bestleistung an den Tag zu legen. Aston Villa war gut, doch wir waren besser. Das null zu eins war schnell eingeholt und im weiteren Spielverlauf bemerkte man auch wieder den Kampfgeist unserer Mannschaft. Es wurde gepasst und gedribbelt und die gegnerische Mannschaft überlistet, sodass es beim Abpfiff schließlich zwei zu eins stand. Jubelnd rannten wir über den Platz und lauschten den Lobgesängen unserer Fans. Ich war zufrieden mit meiner Leistung, daher konnte ich mit gutem Gewissen mit der gegnerischen Mannschaft abklatschen und vom Feld gehen. Als ich mir schließlich in der Umkleide das T-Shirt über den Kopf riss, fragte ich mich, wie Julian wohl das Spiel gefunden hatte.

Etwa eine Stunde später verließ ich dann das Stadion. Die Fans waren zu diesem Zeitpunkt schon über alle Berge, nur VIP-Gäste sah man noch vereinzelt um das Stadion herumwuseln. Da ich wusste, dass Timo da war, betrat ich den Platz vor dem Stadion und suchte ihn im Licht der Straßenlaternen. Jedoch waren weder von ihm noch von Julian irgendetwas zu sehen. Etwas enttäuscht wollte ich gerade kehrt machen, um nach Hause zu gehen, als ich plötzlich Gelächter hörte und die beiden um die Ecke kamen. Schnell ging ich auf die beiden zu, bis wir schließlich am Rande des Platzes zum Stehen kamen. Ich warf meine Tasche auf den Boden und wich etwas zurück, als Timo mich umarmen wollte. Man wusste nie, wo Presse lauerte und ich wollte nicht noch mehr Schlagzeilen über Timo und mich, mein Leben war schließlich ohnehin schon die reinste Gratwanderung.

„Hallo Kai, du hast super gespielt", waren Julians erste Worte an mich, während er wieder ein schüchternes Lächeln aufsetzte. Ohne dass ich etwas dagegen hätte tun können, zuckten auch meine Mundwinkel in die Höhe und ich erwiderte sein Lächeln. „Ich hätte nicht gedacht, dass du noch kommst", gab ich zu, ohne meinen Blick von ihm zu lösen. „Timo hat mir ein Ticket geschenkt und mich dazu überredet, doch mitzukommen. Das waren VIP-Tickets, wir durften vor dem Spiel sogar das Stadion besichtigen und haben anschließend noch etwas zu Essen bekommen."

Als Julian von seinen Erlebnissen erzählte, funkelten seine Augen vor Begeisterung. „Das freut mich, Julian", erwiderte ich leise, völlig in Julians grünen Augen versunken. „Ähm, Kai, könnte ich dich einen Moment unter vier Augen sprechen?", hörte ich meinen besten Freund fragen. Er fackelte gar nicht lange und zog mich sofort zur Seite.

Sunflower | Bravertz ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt