Kapitel 21

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„Ich kann ihr doch nicht am Telefon sagen, dass ich Sex mit dir hatte", gab ich verzweifelt von mir, während ich langsam an der Schlafzimmertür hinabrutschte.

Julian setzte sich im Bett auf, dann zuckte er mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was dagegen spricht. Du kannst ihr aber auch einfach nur sagen, dass du dich mit mir getroffen hast und dass du ihr persönlich noch etwas erzählen möchtest. Aber ich glaube, es wäre einfacher für dich, das gleich am Telefon zu erledigen."

Der Mann, der genau wie ich nur mit Boxershorts bekleidet war, stand auf und kam auf mich zu. Dann ließ er sich neben mir nieder und griff nach meiner freien Hand. „Bitte sei ehrlich, Kai. Es wird zwar schmerzhaft, aber irgendwann wirst du froh sein, das Richtige getan zu haben. Lügen kommen immer ans Tageslicht", redete Julian ruhig auf mich ein und kreiste mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Ich nickte langsam, dann entsperrte ich mein Telefon. Zögernd tippte ich auf meine Kontaktliste. „Du schaffst das, Kai. Ich bin bei dir." Ich schloss meine Augen und atmete tief durch, dann blickte ich zu dem unglaublichen Mann neben mir. Zwar hatte ich in letzter Zeit viel Mitleid mit mir selbst, doch auch für Julian war diese Situation alles andere als leicht. Und dennoch blieb er so ruhig und optimistisch. Ich wollte es zwar nicht wahrhaben, doch wenn ich auf mein Herz hörte, dann war ich auf dem besten Wege, mich in ihn zu verlieben.

Julian erhöhte den Druck auf meine Hand, dann schenkte er mir ein motivierendes Lächeln, welches mich dazu brachte, Sophias Nummer anzuklicken und das Telefon an mein Ohr zu halten. Mein Herz pochte so laut, dass ich glaubte, es könnte jeden Augenblick ein Erdbeben auslösen und meine Hände schwitzten so sehr, dass es sich anfühlte, als hätte ich nach dem Händewaschen vergessen, sie abzutrocknen.

„Kai?", hörte ich die Stimme meiner Verlobten, als sie den Anruf entgegennahm. Ich zog scharf die Luft ein, denn ich wusste nicht, was ich sagen sollte. „Kai, was ist los?", erkundigte sie sich in einem Stimmfall, den ich nicht so richtig deuten konnte. „Ich muss dir etwas sagen", presste ich hervor, ohne auch nur einen Gedanken an eine Begrüßung zu verschwenden. „Das hört sich nicht gut an", flüsterte Sophia. Ich nickte, auch wenn sie das natürlich nicht sehen konnte. Dann löste ich meine Hand aus Julians, wischte den Schweißfilm an meinen Boxershorts ab und klammerte mich gleich wieder an Julians Hand fest.

„Ich habe mich mit Julian getroffen", gab ich mit geschlossenen Augen zu. Eine ganze Weile hörte ich nur Sophias Atemgeräusche. „Das... das ist noch nicht alles", stotterte ich weiter, als von Sophia keine Antwort zu hören war. Ich atmete einmal tief durch, dann öffnete ich meine Augen und blickte zu Julian, der seine Lippen zu einem sanften Lächeln verzogen hatte und mir aufmunternd zunickte. „Ich habe mit Julian geschlafen", gestand ich, woraufhin ich mich fühlte, als würde ich ohne Fallschirm aus einem Flugzeug springen. Ich wusste, dass es richtig war, es ihr zu erzählen, dennoch breitete sich Angst in mir aus.

Ich hatte Angst vor ihrer Reaktion. Ich hatte Angst davor, dass sie mir meinen Sohn wegnehmen würde. Und ich hatte Angst davor, dass sie meine Sexualität den Medien weitererzählen würde. „Du hast mit Julian geschlafen", flüsterte sie. Ihre gebrochene Stimme zu hören schmerzte. Es schmerzte mehr, als ich geahnt hätte. Schnell ließ ich Julians Hand los und stand auf. Nervös tigerte ich durch den Raum, dabei vermied ich meinen Blick zu dem Mann am Boden schweifen zu lassen.

„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll." Ich nickte und sah dann doch zu Julian. Er beobachtete mich aufmerksam und doch zeigte seine gekräuselte Stirn, dass dieses Telefonat auch für ihn nicht leicht war. „Es tut mir leid, Sophia. Es war nie meine Absicht, dich zu verletzen", gab ich zu, obwohl ich mir sicher war, dass meine Entschuldigung für sie wertlos war. Unbedeutend. Nach allem, was ich ihr schon angetan hatte.

„Es tut dir leid?", rief sie dann plötzlich. „Du hast die Frechheit zu sagen, es täte dir leid? Ich habe dir eine letzte Chance gegeben und du trittst sie mit Füßen! Was bin ich für dich, Kai? Eine Marionette, die du so hinhältst, wie du sie gerade brauchst? Ein Alibi, damit niemand erfährt, dass du bi bist? Oder einfach nur eine Frau, die du schwängern kannst, weil dein schwuler Freund dir das nicht bieten kann? Du bist ein Arschloch, Kai Havertz. Ein riesengroßes Arschloch. Wenn dir meine Gefühle nichts bedeuten, dann bedeuten mir deine ab heute auch nichts mehr. Der Vorstand wird sich sicher brennend für deine Sexualität interessieren", spuckte sie aus. Ich erstarrte mitten in der Bewegung und ließ schockiert mein Telefon auf den Boden fallen. Nach Atem ringend versuchte ich die Bedeutung ihrer Worte zu verstehen. Ich raufte mir die Haare und sah mich panisch im Raum um, als könnte hier irgendwie die Lösung stehen. Oder als würde Sophia hinter dem Kleiderschrank hervorspringen und erzählen, dass alles nur ein Witz war. „Was ist passiert?", erkundigte Julian sich neugierig. Ich schüttelte meinen Kopf, dann fuchtelte ich mit meinen Händen in der Luft herum, bevor ich mein Telefon vom Boden aufhob und den Anruf beendete. „Das ist alles deine Schuld", blaffte ich und funkelte ihn wütend an. „Seit du in meinem Leben aufgetaucht bist, geht alles schief", fuhr ich ihn an.

Ich schluckte, dann lief ich auf die Tür zu, gegen die Julian noch immer lehnte. „Lass mich gehen", forderte ich verzweifelt. Angst und Panik vernebelte all mein Denken. „Kai, bitte, lass uns drüber reden", erwiderte Julian. Ich schüttelte meinen Kopf und schlug mit der Faust gegen seine Schlafzimmertür. „Lass mich gehen", rief ich erneut. Dies schien endlich zu wirken, denn Julian sprang auf und griff nach meinen Händen. "Lass mich los", rief ich mit tränenverhangenen Augen. „Durchatmen, Kai", sagte er leise, doch ich war so fuchsteufelswild, ich konnte nicht einen klaren Gedanken fassen. „Wo willst du jetzt hin?" Als ich seinen verletzten Blick bemerkte, ruderte ich etwas zurück und rieb mit einer Hand verzweifelt über meine Stirn. „Ich will zu Sophia", rief ich und raufte mir erneut meine Haare. Julian ließ meine Hände los und legte seine stattdessen an meine Wangen. Ich hielt inne und ließ meinen Blick zu seinem Gesicht schweifen. Ein Gefühl der Ruhe durchströmte meinen Körper, als ich dann seinem Blick standhielt und seinen grünen Augen betrachtete. „Warum willst du jetzt zu ihr. Hältst du das für eine gute Idee?", fragte er. Ich schloss meine Augen, denn ich verstand meinen Körper im Moment nicht. Gerade ging mir noch der Arsch auf Grundeis und nun konnte ich schon wieder ruhig atmen. Was war da los?

⤷ tatsächlich lebe ich noch, meine Freunde der Sonne

Sunflower | Bravertz ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt