Kapitel 25

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Ich verfiel in Schockstarre, während ich am Rande wahrnahm, wie Mason sich wieder schützend vor mich stellte. Alles, an das ich denken konnte, war Julian. Die blonde Perücke. Das sollte eindeutig Julian sein. Die Öffentlichkeit wusste also Bescheid. Sie wusste von mir. Sie wusste von dem Teil von mir, den ich so mühevoll zu verbergen versucht hatte. Ich spürte, wie sich ein Druck auf meiner Lunge ausbreitete, der mir den Atem raubte und sich gleichzeitig ein Gefühl der Übelkeit in mir breit machte.

„Seid ihr eigentlich alle komplett hohl in der Birne?", rief Mason und fuchtelte wie wild in der Luft herum. „Nur weil seine Kumpels das Spiel angesehen haben, heißt das noch lange nicht, dass er mit einem von ihnen ins Bett steigt", empörte er sich, woraufhin ich komplett verwirrt war. „Seit wann gebt ihr denn einen Fick auf das, was diese dummen Klatschblätter schreiben? Ihr solltet doch am Besten wissen, dass das alles erstunken und erlogen ist."

Noch bevor ich den Inhalt von Masons Rede begreifen konnte, zog er ein Taschenmesser aus seiner Trainingstasche und stach auf die beiden Puppen ein, die daraufhin zischend ihre Luft verloren. Dann band er sie los und warf die Überreste davon in die Mülltonne. Als ich verstand, dass Sophia nichts erzählt hatte, sondern Paparazzi mich wohl mit Timo und Julian abgelichtet hatten, spürte ich, wie die Wut auf meine Kollegen Oberhand nahm.

„Habt ihr eigentlich alle zu oft einen Ball gegen den Schädel bekommen, oder warum verhaltet ich euch wie vertrottelte Affen?", schrie ich aufgebracht in die Runde. Sexpuppen an meinem Platz zu befestigen, nur weil ich mit anderen Männern in der Öffentlichkeit gesehen wurde, war einfach absolut niveaulos. Ich hatte zwar schon häufiger von Fußballern gehört, die aus der Mannschaft geekelt wurden, wenn Gerüchte über ihre Sexualität im Umlauf waren, doch diesen Hass am eigenen Leib zu erfahren war etwas vollkommen anderes.

„Ich bin mit Sophia verlobt. Einer Frau. Und wenn ihr es genau wissen wollt, sie ist sogar schwanger. Wir bekommen in fünf Monaten ein Kind." Ich blickte durch die Runde und bemerkte, dass einige schnell von dannen zogen, während andere mich herausfordernd anfunkelten. „Kaum zu glauben, dass du bei ihr das richtige Loch gefunden hast, du Schwuchtel", rief einer, den ich noch nie leiden konnte. Ich schnaubte und verdrehte theatralisch meine Augen. „Im Gegensatz zu dir habe ich wenigsten schon einmal eine nackte Frau gesehen und muss mich nicht mit meiner rechten Hand begnügen", konterte ich.

Der Spieler zog provozierend seine Augenbrauen zusammen, dann zog er seine Stutzen bis zum Knie hoch, schnürte seine Fußballschuhe und verschwand aus der Kabine. Als schließlich alle ihre Blicke abgewandt hatten, setzte ich mich erschöpft neben Mason. „Ich hatte gestern kein Internet. Was stand denn über mich in den Zeitungen?", erkundigte ich mich bei meinem einzigen Freund in dieser Mannschaft über die Gründe für diesen Angriff. „Irgendjemand hat Sonntag vor dem Stadion Bilder von euch gemacht. Auf einem sieht man deutlich dich und Timo. Wenn ich ehrlich bin, seht ihr da schon ziemlich vertraut aus, so wie er deinen Kopf hält." Ich rümpfte meine Nase, als ich daran dachte, wie er seine Hände an meine Wangen gelegt hatte, um mit mir über Julian zu reden. „Das ist alles?", erkundigte ich mich. Timo-Gerüchte waren leicht aus der Welt zu schaffen. Er musste einfach wieder ein glückliches Foto von sich, Teddy und Paula posten, dann wäre die Sache erledigt.

„Nein, nicht ganz.  Auf dem anderen Foto sieht man dich, wie du mit einem Mann redest. Den sieht man aber nur von hinten. Aber die haben das wohl so interpretierst, weil man dich da lächeln sieht. Du lächelst doch sonst nie in der Öffentlichkeit." Erleichterung machte sich in mir breit, als mir bewusst wurde, wie knapp Julian dem entkommen war. Und auf eine seltsame Art war ich auch froh, Sophia alles gebeichtet zu haben, bevor sie diese Bilder in die Finger bekommen hat.

„Und nur weil ich mit einem Mann rede, denken die, dass ich schwul bin?", fragte ich dann. Mason zuckte mit den Schultern und entledigte sich nun auch seiner Hose. So ungeniert wie er das tat, war ich mir sicher, dass er diesen Gerüchten keinen Glauben schenkte. Oder meine Sexualität interessierte ihn nicht. Es wäre schön, wenn alle eine solche Lockerheit an den Tag legen würden wie er.

Kurze Zeit später lief er mit mir gemeinsam aufs Feld, er meinte nämlich, dass er mich nach dieser Aktion nicht alleine lassen würde. Als ich aber den Platz betrat, kam unser Trainer mit überraschtem Gesichtsausdruck auf mich zu marschiert. „Havertz, was machst du hier?" - „Was meinst du damit?", erwiderte ich irritiert. Mason war neben mir stehen geblieben und sah genauso unwissend aus wie ich. „Hat dein Manager dich nicht erreicht? Ich habe eine Nachricht erhalten, dass du auf unbestimmte Zeit beurlaubt wärst", erklärte mir unser Trainer.

Mit vor Schock aufgerissenen Augen sah ich ihn sprachlos an. „Das ist doch ein Scherz, oder? Nur weil die Presse ihm andichtet, schwul zu sein, wird er aus der Mannschaft geworfen?", empörte sich Mason. Ich schüttelte nur noch meinen Kopf und ging ein paar Schritte rückwärts, um Abstand zu dem Gesagten zu gewinnen. Spannung machte sich in mir breit, die mich zu zerreißen drohte. Als ich es dann nicht mehr aushielt, machte ich kehrt und rannte zu den Umkleiden zurück. Dort sah ich zum ersten Mal seit Sonntagabend auf mein Telefon.

Zweiundvierzig entgangene Anrufe, die meisten davon von meinem Manager. Mindestens genauso viele E-Mails und Textnachrichten. Noch immer völlig in Trance klickte ich eine davon an. Mit angehaltenem Atem überflog ich den Text, der im Prinzip nur das aussagte, was unser Trainer mir bereits erzählt hatte. Ich wäre vorübergehend beurlaubt, bis mein Image in der Presse wiederhergestellt sei. Und zwar das Image des heterosexuellen Fußballers, welcher glücklich mit einer Frau verlobt war.

Um so schnell wie möglich hier wegzukommen, beeilte ich mich beim Umziehen und sprintete schon fast zu meinem Auto. Als ich dann hinter dem Lenkrad saß, zog ich erneut mein Smartphone aus der Tasche und öffnete meine Kontaktliste. Kurze Zeit schwebte mein Finger über Julians Namen. Ich wusste, er würde beruhigende Worte finden und mir die Welt erklären, wie er sie sah. Er sah nämlich eine gute Welt, in der jeder Gründe für sein Verhalten hatte und in der man alle Probleme lösen konnte.

Das war aber leider nicht meine Welt. Meine Welt war zurzeit nurnoch grau und düster und voll von unlösbaren Aufgaben. Also klickte ich auf Sophias Namen. Ich bemerkte, wie meine Hände zitterten, als ich mir mein Telefon ans Ohr hielt und gebannt dem Tuten lauschte. „Was willst du?", waren ihre ersten Worte an mich. „Mit dir reden. Bitte, Sophia, lass uns darüber reden. Nur du und ich, ohne Paul", bettelte ich die Mutter meines Kindes an. Eine Zeit lang blieb es still am anderen Ende der Leitung. Ich war mir nicht einmal mehr sicher, ob sie überhaupt noch dran war oder schon lange aufgelegt hatte, als schließlich leise Worte der Zustimmung aus meinem Lautsprecher hallten.

⤷ Jetzt ist sogar Kai's Albtraum wargeworden... was sagt ihr zu dem ganzen?

Sunflower | Bravertz ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt