Spät am Abend saß ich mit meinem Smartphone in der Hand in unserem Haus im dunklen Wohnzimmer. Sophia hatte eingewilligt, dass ich Juliam noch anrufen und ihm alles erklären durfte. Doch das stellte sich als eine schwierigere Aufgabe heraus, als ich erwartet hatte. Immer wieder entsperrte ich mein Telefon und klickte auf Julians Kontaktdetails, doch jedes Mal verließ mich der Mut und ich legte das Telefon verzweifelt zurück auf den Tisch.
Der Mondschein, der durch die große Fensterfront hereindrang, war das einzige, das die vorherrschende Dunkelheit durchbrach. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich meinen Traum der perfekten Familie nicht mehr so sehr wollte, wie ich es eigentlich sollte. Wie ich es gewollt hatte, bevor ich Julian kennengelernt hatte. Aber vielleicht, wenn ich disziplinierter wäre und mich mehr bemühen würde, dann könnte es klappen. Dann könnte alles wieder gut werden.
Entschlossen nahm ich wieder mein Telefon in die Hand und öffnete erneut mein Kontaktverzeichnis. Ich atmete tief durch, dann drückte ich auf Julians Namen. Bevor ich allerdings die Taste berühren konnte, die einen Anruf gestartet hätte, klingelte es an der Tür. Mit einem genervten Stöhnen warf ich mein Handy wieder zur Seite und erhob mich ächzend vom Sofa.
Als ich durch die Kamera der Türsprechanlage sah wer draußen stand, überkam mich eine Nervosität, die augenblicklich ein Gefühl der Übelkeit in mir aufkeimen ließ. „Julian", flüsterte ich, als ich auf die Sprechtaste drückte. Mir fehlten einfach die Worte, viel zu aufgewühlt war ich im Augenblick. Zu wissen, dass er nur wenige Meter von mir entfernt war, ließ mein Herz schneller rasen, als ein Kolibri seine Flügel schlagen konnte. Gleichzeitig spürte ich aber die Furcht vor dem Gespräch, dass ich nun mit ihm führen musste. Das ich eigentlich am Telefon mit ihm hätte führen sollen.
„Kai", hörte ich Julians erleichterte Stimme aus dem Lautsprecher. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht", sagte er leise. Ich schloss meine Augen, während ich versuchte, die Gefühle einzuordnen, die seine Worte in mir auslösten. Es waren dieselben Gefühle, die ich gestern gefühlt hatte, als er mich in seinen Armen gehalten hatte. Ich fühlte mich geborgen. Überrascht stellte ich fest, dass Julian mir nicht einmal körperlich nahe sein musste, um mir dieses Gefühl zu geben. Seine Worte reichten vollkommen aus.
„Ich habe zu Hause auf dich gewartet. Ich dachte, du würdest direkt nach dem Training kommen", erklärte Julian in einem sanften Tonfall, nach einer kurzen Zeit der Stille. „Ich war nicht beim Training", antwortete ich ihm. Meine Gedanken kreisten wirr durch meinen Kopf und erlaubten mir nicht einen Moment, mich auf meine Pläne zu fokussieren. Alles schien ein einziges Durcheinander zu sein. Wie Planeten, die in den unendlichen Weiten des Weltalls umherschwirrten und von unsichtbaren Kräften gesteuert wurden.
„Warum warst du nicht beim Training?", erkundigte Julian sich leise. War mein Inneres bisher schon das reinste Chaos, so glaubte ich, dass all die Emotionen und Gedanken, die in mir schwirrten, mich bald zerreißen würden. Mein Herz fühlte sich so schwer an wie eine schwere Bowlingkugel, die orientierungslos durch die Luft geworfen wurde und mich mitzog. Bald würde sie herunterfallen und alles um sich herum zerstören.
„Kai?", hörte ich Julian durch die Sprecheinrichtung fragen. Die Besorgnis in seiner Stimme zu hören, war zu viel für mich. Erschöpft ließ ich mich auf den Boden sinken. Ich lehnte mich gegen die Wand und tastete mich mit einer Hand nach oben, bis ich den richtigen Knopf fand. Ein Surren tönte durch die Stille. Dann hörte ich, wie die Haustür sich öffnete. Dennoch blickte ich nicht auf. Ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte. Stattdessen hielt ich meinen Blick gesenkt und zog meine Beine eng an meinen Körper.
„Kai", erklang erneut Julians Stimme, als die Tür wieder ins Schloss fiel. Ich kniff meine Augen zusammen und versuchte den Schmerz zu verarbeiten. Den Schmerz darüber, Julian nach diesem Abend vielleicht nie wieder zu sehen. Ich spürte seine warmen, großen Hände an meinen Schultern, dennoch schaffte ich es nicht, ihm in die Augen zu sehen. „Kai, was ist los? Heute Morgen war doch noch alles gut?", fragte er. Seine Stimme verriet nichts als Sorge. Sorge um mich.Seine Hände wanderten von meinen Schultern zu meinen Wangen, wo er meinen Kopf festhielt und mich sanft dazu brachte, endlich seinen Blick zu erwidern. „Ich kann das nicht, Julian", flüsterte ich schmerzerfüllt, während ich in seine grünen Augen blickte, die ebendiese Emotion widerspiegelten. Beschämt wandte ich meinen Blick wieder ab und bemerkte, dass neben ihm ein Strauß Sonnenblumen lag. Julian hatte mir Blumen mitgebracht. Seine Lieblingsblumen. „Kai, bitte, ich sehe doch, wie aufgewühlt du bist. Lass uns darüber reden, wir finden eine Lösung", flehte Julian.
Ich wollte den Kopf schütteln, wollte widersprechen. Doch ich konnte nicht. Ich schloss einfach nur meine Augen. „Bitte, Kai. Lass mich für dich da sein", hörte ich Julian flüstern. Dann spürte ich seine Lippen an meiner Stirn. Vorsichtig legte ich meine Hände auf die seinen. Ich krallte mich regelrecht an ihnen fest, während ich um Fassung rang. Langsam löste Julian seine Lippen von mir, dann spürte ich, wie er seine Arme um mich legte und mich hochhob. Einfach so. Als hätte er Superkräfte, die ihn vergessen ließen, dass ich ein erwachsener Mann war. Vielleicht war Julian ja wirklich ein Superheld. Mein Superheld.
Als ich schließlich etwas weiches unter mir fühlte, öffnete ich wieder meine Augen. Julian hatte mich im Wohnzimmer auf dem Sofa abgelegt. Regungslos sah ich dabei zu, wie er seine Schuhe von den Füßen streifte und sich neben mich auf die Couch legte. Fürsorglich zog er mich in seine Arme. Ich wusste, ich sollte ihn von mir stoßen und ihn wegschicken, wenn ich eine wirkliche Chance bei Sophia haben wollte. Es war wie ein Kampf in meinem Inneren. Ich wollte ihm nahe sein. So sehr wollte ich das. Gleichzeitig wollte seine Nähe aber nicht so sehr genießen. Ich wollte endlich wieder der Mann sein, den Sophia verdient hatte. Der, der ich noch vor gar nicht allzu langer Zeit war.
Und doch legte ich meinen Kopf auf seine Brust und hielt mich an ihm fest. Wie ein Ertrinkender an seinem rettenden Anker
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Sunflower | Bravertz ff
FanficKai ist Profifußballer in der Premiere League, dessen Leben zur Zeit nicht besser laufen könnte. Wäre da nicht diese eine Begegnung, die nicht loslassen wollte. ➤ A/N: mal wieder keine klischeehafte Bravertz FanFiction, da ist davon meiner Meinung...