Charmant wie Timo war, bat er Julian ein paar Minuten später, für ihn Kaffee zu holen. Er hätte wahrscheinlich nicht offensichtlicher formulieren können, dass er einfach mit mir ein Gespräch unter vier Augen führen wollte, dennoch tat er so, als würde es ihm rein um den Kaffee gehen. Er unterstrich seinen Wunsch sogar mit einem theatralischen Gähnen und flatternden Augenlidern.
Julian schenkte mir einen zuversichtlichen Blick, dann verschwand er mitsamt Teddy zur Tür hinaus. Verwundert nahm ich zur Kenntnis, dass Timo nicht einmal mit der Wimper zuckte, als der für ihn Fremde mit seinem Sohn zusammen verschwand. Normalerweise durfte ihm niemand auch nur nahe kommen. Denn Timo war ein sehr beschützerischer Vater.
Als schließlich nur noch Timo und ich im Raum waren und das regelmäßige Piepen das Einzige war, das die Stille durchbrach, wuchs meine Unbehaglichkeit von Sekunde zu Sekunde. „Julian ist nett. Er scheint zu den Guten zu gehören", warf mein bester Freund in den Raum. Da ich nicht wusste, worauf er hinaus wollte, bewegte ich meine Kopf langsam nach unten und wieder nach oben. Abschätzend musterte ich meinen besten Freund, der sich auf den Stuhl setzte, seine Hände verschränkte und seine Ellbogen auf seinen Oberschenkeln absetzte, sodass er sich leicht nach vorne beugte und seine Hände zwischen seinen Knien waren.
„Hatte er etwas damit zu tun? Oder hast du das nur gemacht, weil Sophia mit dir Schluss gemacht hat? Sie hat mir erzählt, du wärst Julian hinterhergerannt, obwohl du ein paar Sekunden zuvor noch behauptet hast, du wolltest um die Beziehung zu ihr kämpfen." Unter Schmerzen schluckte ich und versuchte Timos Aussage zu verstehen. Es klang als wüsste er Bescheid. Aber woher?
„Ich verstehe es nicht, Kai. Du bist frisch verliebt und dennoch versuchst du dich im Pool zu ertränken. Irgendetwas passt da doch nicht zusammen, oder?", stocherte er weiter. „W- woher?", wollte ich wissen. Dann schloss ich meine Augen und dachte an den Kampf, den ich unter Wasser mit mir selbst geführt hatte. Ertrinken war kein einfacher Tod. Vor allem nicht, wenn man gar nicht sterben wollte. Der menschliche Körper hatte Reflexe und es war schwer, gegen diese anzukämpfen. Dabei sah sterben in Filmen doch immer so einfach aus.
„Ich war noch einmal bei dir zu Hause und habe mir das Überwachungsvideo angesehen", erklärte er mir mit anklagendem Unterton. Das Überwachungsvideo. Ich hatte Kameras installiert, die den gesamten Außenbereich unseres Hauses filmten. Also hatte Timo alles gesehen. Wie ich am Wasser gestanden hatte. Wie ich mich in vollem Bewusstsein absichtlich ins Wasser fallen lassen hatte. Und schließlich, wie ich nichts dafür getan hatte, wieder aufzutauchen.
Verzweifelt kniff ich meine Augenlider zusammen und hoffte, dass er nicht weiter nachhaken würde. Doch natürlich tat er genau das. „Wenn du Probleme hast, warum redest du nicht mit mir darüber? Ich bin doch dein bester Freund. Wir helfen uns doch gegenseitig, wenn wir durch eine Krise gehen. Vor sieben Jahren hast du mir geholfen, jetzt will ich für dich da sein. Du kannst mir vertrauen, Kai. Ich will nur das Beste für dich", redete Timo auf mich ein. Ich wusste, dass ich ihm vertrauen konnte. Dennoch hatte ich es nie geschafft, mich ihm gegenüber zu öffnen. Aber nun Timos Enttäuschung in vollem Ausmaß zu spüren, fühlte sich an wie ein Gift, das durch meine Adern rauschte und jede Zelle meines Körpers einzeln zerstörte.
„T-Tut m-mir l-leid", krächzte ich, obwohl ich wusste, dass es mit diesen Worten nicht getan war. Jedoch hatte ich gerade keine andere Möglichkeit, mich zu erklären. Meine Lunge ließ mir keine andere Wahl. Vorsichtig öffnete ich wieder meine Augen, nur um zu sehen, wie Timo verzweifelt seine Haare raufte. „Ich", begann er, dann stockte er und sprang von seinem Stuhl auf. Aufgeregt tigerte er durch den Raum und raufte sich immer wieder seine Haare. „Ich kenne dich seit vielen Jahren, Kai. Doch noch nie habe ich dich so erlebt, wie in Julians Gegenwart. So gelöst. Glücklich. Hoffnungsvoll." Nach dem letzten Wort entließ er einen bitteren Seufzer und setzte sich zurück auf den Stuhl.
Timo betrachtete mich eine Weile, dann lehnte er sich zurück und verschränkte seine Arme vor seiner Brust. „Reden wir bitte darüber, wenn es dir wieder besser geht? Offen und ehrlich?", fragte er besorgt. Schnell nickte ich, denn selbst ich wusste, dass dieses Gespräch schon lange überfällig war.
„Als ich dich im Haus nicht gefunden habe, war ich kurz davor, wieder zu gehen. Ich dachte mir, du wärst vielleicht bei Julian. Es war ein ganz seltsames Gefühl, aber irgendetwas sagte mir, dass ich es doch noch im Garten versuchen sollte. Dann sah ich dich... im Pool..." Ich hörte, wie schwer ihm diese Worte fielen, bis seine Stimme letztlich brach. Er räusperte sich und fuhr sich nervös durch die Haare. „Ich dachte, du wärst tot. Ich dachte wirklich, wir hätten dich verloren." Ich hatte Timo noch nie weinen sehen, doch nun wurde ich Zeuge davon, wie Tränen seine Augen verließen und über seine Wangen rollten.
Ich atmete tief durch, doch bevor ich zu einer weiteren gestotterten Entschuldigung ausholen konnte, marschierte Julian zur Tür herein. „Störe ich? Soll ich später wiederkommen?", erkundigte er sich höflich. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Timo seinen Kopf schüttelte und schnell seine Tränen abwischte. Zögernd kam Julian auf uns zu, dann reichte er Timo den Kaffee, den er für ihn holen sollte. Ich bemerkte Julian's Unsicherheit, weswegen ich ein schüchternes Lächeln aufsetzte und auf den Platz neben mir deutete - Timo belegte schließlich noch den einzigen Stuhl im Raum. Vorsichtig setzte Julian sich neben mich, Teddy noch immer in fest in seinem Arm.Timos Sohn schien zu schlafen, anscheinend fühlte er sich bei Julian ziemlich wohl. Aber wie könnte er auch nicht. Ich bemerkte, wie Timo uns aufmerksam musterte, dennoch hielt mich sein Blick nicht davon ab, nach Julian's Hand zu greifen und unsere Finger zu verschränken. Sofort durchströmte mich ein Gefühl der Sorglosigkeit und der Hoffnung. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, wie viel Druck auf mir gelastet hatte, weil ich stur meine Träume verfolgt hatte. Doch nun, wo ich sowieso nicht mehr spielen durfte, fühlte sich plötzlich alles einfacher an. Auch wenn ich gleichzeitig noch Wehmut verspürte, da mir mein Kindheitstraum so kurz vor dem Ziel wie Sand durch die Finger geronnen war.
„Herr Havertz", schreckte uns die Stimme des Arztes aus unserer Starre, bevor die Tür krachend ins Schloss fiel. Seufzend näherte er sich uns. „Herr Brandt, ich muss Sie erneut bitten, das Bett zu verlassen", tadelte er Julian an. Dieser sprang schnell auf, was zur Folge hatte, dass er Teddy aufweckte, der sofort lautstark auf sich aufmerksam machte. Julian schien das allerdings nicht zu stören, denn er redete ruhig auf Timos Sohn ein und zog zwischendurch auch noch ein paar lustige Fratzen, um ihn wieder zu beruhigen.
Widerwillig ließ ich daraufhin die Untersuchung über mich ergehen. Dabei lag mein Blick die ganze Zeit auf Julian, der dieses Mal nicht meine Hand hielt, sondern in wippenden Schritten durch den Raum schritt und Teddy bespaßte. Timo schien von Julians väterlichen Qualitäten überzeugt, denn er hatte sich währenddessen in seinem Stuhl zurückgelehnt, wo er genüsslich seinen Kaffee schlürfte. „Also, Herr Havertz. Soweit scheint alles in Ordnung zu sein. Aber selbst wenn Sie morgen entlassen werden, sollten Sie sich die nächsten Tage schonen und sich in die Obhut Ihrer Familie oder Freunde begeben. Sollten trotz allem Symptome auftreten, können diese den Rettungswagen alarmieren und gegebenenfalls erste Maßnahmen ergreifen." Die strenge Stimme des Arztes unterstrich seine Aussage nur noch mehr und führte uns erneut vor Augen, wie ernst die Lage wirklich war
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Sunflower | Bravertz ff
FanfictionKai ist Profifußballer in der Premiere League, dessen Leben zur Zeit nicht besser laufen könnte. Wäre da nicht diese eine Begegnung, die nicht loslassen wollte. ➤ A/N: mal wieder keine klischeehafte Bravertz FanFiction, da ist davon meiner Meinung...