Keine zehn Minuten später saß ich in einem kleinen Café und wartete auf meine Verlobte. Oder Ex-Verlobte, was auch immer wir gerade waren. Ein Kellner stellte sich an meinen Tisch, ein Notizblock in seiner Hand und den Kugelschreiber einsatzbereit darauf abgesetzt. „Guten Tag, willkommen bei Murphy's Kaffeehaus. Was darf ich bringen?", fragte der Mann mit leichtem Akzent. Bevor ich allerdings antworten konnte, klappte dem Kellner der Mund auf und er sah mich mit großen Augen an. „Bist du nicht der Mann von diesem Model?" Irritiert kräuselte ich meine Stirn. Normalerweise war ich es, der erkannt wurde, nicht Sophia. Vor allem von einem Mann.
„Meine Verlobte ist Sophia Weber", antwortete ich ihm mit dieser Halbwahrheit. "Meinst du, ich könnte ein Autogramm von ihr bekommen? Mein Mann ist ganz verrückt nach dieser Frau", schmunzelte er, während ich mich bei der Erwähnung seines Partners verkrampfte. Er sagte das so, als würde es keinen Unterschied machen, ob eine Frau oder ein Mann an seiner Seite wäre. Als würde er in einer völlig anderen Welt leben, in welcher Homo- oder Bisexualität plötzlich normal war. Kurz fragte ich mich, wie es wäre, gemeinsam mit Julian in dieser Welt zu leben. Dann fiel mir ein, dass Julian bereits in dieser Welt lebte. Nur ich nicht, denn meine Welt war grausam
„Du kannst sie gleich selbst fragen. Sie sollte bald da sein", erwiderte ich und teilte ihm mit, dass ich mit der Bestellung noch auf Sophia warten würde. Während ich ihm dabei zusah, wie er fröhlich zurück an die Theke schlenderte und zwischendurch noch unbeschwert mit Kunden plauderte, beneidete ich ihn um sein Leben. Es schien einfach zu sein und ihn glücklich zu machen.
„Hallo Kai", schreckte mich Sophias Stimme aus meinen Gedanken. Sie ließ sich gegenüber von mir nieder und legte ihre Handtasche auf dem Tisch ab. „Hallo Sophia", erwiderte ich die Begrüßung. Während ich sie so musterte, überkam mich eine Nervosität, die mich vergessen ließ, was ich sagen wollte. Aber was sollte ich schon sagen, wenn ich nicht einmal wusste, was ich mit diesen Worten erreichen wollte?
„Wie geht es dir? Und wie geht es Aiden?", begann ich vorsichtig ein Gespräch. Sophia Hand wanderte automatisch zu ihrem Bauch. Obwohl ihr Gesichtsausdruck zeigte, wie stressig für sie die ganze Situation war, schlich sich jetzt ein Lächeln auf ihr Gesicht. „Aiden geht es gut. Und so wie mein Bauch die ganze Zeit juckt, wächst er auch ganz schön", erzählte sie mir. Augenblicklich begannen auch meine Mundwinkel in die Höhe zu wandern. Denn mein Sohn war momentan mein einziger Lichtblick im Leben, der keine Probleme mit sich brachte. „Was Paul gesagt hat, dass ich Aiden nicht sehen darf..." - „Ich habe es dir doch schon gesagt. Ich werde dir dein Kind nicht vorenthalten, Kai", sagte sie gereizt. Schnell nickte ich und lächelte etwas in der Hoffnung, sie zu beschwichtigen. „Worüber wolltest du reden?", fragte sie und verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust. Bevor ich allerdings antworten konnte, trat wieder der Kellner an unseren Tisch.
„Guten Morgen, darf's schon was sein?", erkundigte er sich, woraufhin ich einen Kaffee und Sophia einen Tee bestellte. Josh, wie sein Namensschild offenbarte, notierte sich die Bestellung, blieb aber am Tisch stehen und musterte meine Gegenüber nervös. „Könnte ich eventuell ein Autogramm haben? Mein Mann vergöttert dich geradezu. Er wird ausflippen, wenn er erfährt, dass du hier warst", meinte der Kellner mit einem peinlich berührten Lächeln. „Dein Mann?", erkundigte sich Sophia, während sie dabei mich ansah und spöttisch eine Augenbraue anhob.
„Ja, John Murphy." - „Der Sänger?", hakte Sophia nach, woraufhin ich kurz verwirrt war. „Du kennst ihn?", warf ich ein, während John mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht nickte. „Seine Band hat bei bei der Victoria's Secret Fashion Show gespielt, bei der ich vor zwei Wochen gelaufen bin. Wir haben uns nach der Show etwas unterhalten, dabei hat er mir praktisch nur von seinem Mann und seinen Kindern vorgeschwärmt", klärte Sophia mich auf.
Dann schnappte sie sich Josh's Notizblock und kritzelte eine ganze Seite voll. Anschließend verschwand Josh auch schon wieder, um sich um unsere Bestellung zu kümmern. „Worüber willst du reden?", fragte Sophia geradeheraus, als wir wieder unter uns waren. „Über uns", antwortete ich ihr so schwammig wie nur möglich, denn ich hatte keine Ahnung, was ich mir von diesem Gespräch erhoffte. „Na gut, dann hör mir mal zu", fing Sophia an und straffte ihre Schultern.
„Der Mann, der mich gefragt hat, ob ich ihn heiraten will, küsst in unserem Wohnzimmer vor meinen Augen einen anderen Mann. Aber er traut sich nur es mir zu sagen, weil er glaubte, ich würde schlafen. Dann stöhnt er seinen Namen, während ich ihm einen blase. Schließlich stelle ich ihm ein Ultimatum und nach nicht einmal einem Tag ruft mein Verlobter mich an, um mir zu sagen, dass er mit ebendiesem Mann geschlafen hat. Und das, obwohl ich immer geglaubt hatte, mein Verlobter wäre hetero. Möchtest du noch etwas ergänzen?", schilderte sie mir ihre Sicht der Dinge.
„Es tut mir leid, Sophia. Es tut mir wirklich aufrichtig leid, dass ich dich hintergangen habe. Ich wollte dir wirklich nie wehtun." Ich raufte mir mit beiden Händen die Haare und sah meine verstörte Verlobte an. „Das hat dich aber nicht davon abgehalten, es doch zu tun", erwiderte sie bitter. Darauf wusste ich keine Antwort, also stütze ich meine Ellbogen auf dem Tisch ab und legte mein Gesicht in meine Hände.
Es blieb still zwischen uns. Auch als Josh unsere Bestellung brachte, sprachen wir kein Wort. Gedankenverloren schlürften wir an den Getränken und blickten uns dabei ständig in die Augen. Es war, als wollten wir beide so vieles sagen und doch wollte keines der Worte gehört werden. „Wenn ich das mit Julian beende, würdest du mir dann noch eine Chance geben?", durchbrach ich schließlich die Stille. „Beenden?", zischte Sophia mit großen Augen zurück. „Da ist also etwas zwischen euch, dass erst beendet werden muss? Mehr als Sex?" Zerknirscht kräuselte ich meine Stirn. Ja, zwischen Julian und mir war etwas, auch wenn wir keine Beziehung führten. Doch seit dem gestrigen Gespräch ging mir nicht mehr aus dem Kopf, wie es wäre, wirklich mit Julian zusammen zu sein. Bei ihm fühlte ich mich seltsam geborgen und verstanden. Außerdem war da diese Vertrautheit zwischen uns, die ich noch nie bei einem anderen Menschen gefühlt hatte
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Sunflower | Bravertz ff
FanfictionKai ist Profifußballer in der Premiere League, dessen Leben zur Zeit nicht besser laufen könnte. Wäre da nicht diese eine Begegnung, die nicht loslassen wollte. ➤ A/N: mal wieder keine klischeehafte Bravertz FanFiction, da ist davon meiner Meinung...