Kapitel 33

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Pov. Julian:

Es vergingen einige Tage. Einige Tage, in denen Kai nicht in der Schule aufkreuzte und auch sonst nicht erreichbar war.  Einige Tage, in denen ich nahezu unaufhörlich über Kais Nachricht denken musste, welche er mir nach meinem kleinen Ausbruch auf seiner Mailbox geschickt hatte. Im Nachhinein schämte ich mich ein bisschen dafür, was ich alles zu ihm gesagt hatte und was ich ihm an den Kopf geworfen hatte, aber ich musste das einfach mal loswerden. Doch die Antwort des Jüngeren ließ mich einfach nicht los. 
Das alles hat einen Grund? Super. Was soll ich denn damit anfangen? Was war denn der Grund? Warum sagte er mir den Grund denn nicht einfach? Was war daran so schwer? Er wusste doch, dass er mir vertrauen konnte. Oder? Ich hatte es ihm immer und immer wieder klar gemacht; zumindest hatte ich es versucht. 
Und wovor musste er mich schützen? Was zur Hölle war denn nur passiert, dass er von jetzt auf gleich nur die Trennung als Ausweg für was auch immer sah? Und ja, ich glaubte ihm, dass er die Wahrheit sagte. Ich glaubte ihm, dass er so verzweifelt war und das nicht einfach getan hatte, weil er jemand Besseren gefunden hatte oder so. irgendetwas war passiert, das ihn so verdammt verunsichert hatte und ihn so in seiner Verzweifelung zur Trennung getrieben hatte; da war ich mir absolut sicher. Für alles andere war er zu sensibel und feinfühlig. Unter 'normalen' Umständen würde er zumindest wie ein normaler Mensch mit mir reden und nicht einfach mir nichts dir nichts übers Handy Schluss machen. 
Ein leises Klopfen an meiner Tür holte mich aus meinen Gedanken zurück in die Realität. "Ja", rief ich, um meinem Gast anzudeuten, dass er reinkommen sollte. Nachdem sich die Tür geöffnet hatte, sah ich, dass ein sanft lächelnder Jannis mein Zimmer betrat. "Hey", lächelte ich ebenfalls leicht, bevor ich etwas zur Seite rutschte, damit er neben mir Platz nehmen konnte. "Hey Jule", meinte er, kam meiner stillen Aufforderung nach und setzte sich neben mich. Wir verfielen wieder in Schweigen. Jannis musterte mich einfach nur von der Seite, während ich nicht wusste, was ich sagen sollte. "Möchtest du heute auch noch mit mir interagieren oder möchtest du weiter mein Gesicht abscannen?", entkam es mir irgendwann genervt. Ich wusste, dass es nicht gerechtfertigt war, ihn so anzublaffen, aber meine Nerven lagen seit den letzten Tagen einfach nur blank. "Chill mal"; verteidigte mein jüngerer Bruder mit erhobenen Händen. "Sorry"; nuschelte ich leise," War nicht so gemeint." "Schon gut", beließ Jannis es dabei, ehe er dann das Thema wechselte. "Du sag mal, was ist denn los mit dir in den letzten Tagen? Du bist so abwesend und siehst aus als hättest du die ganze Nacht durchgeheult." Während seinen Erzählungen senkte ich meinen Blick etwas. Mir war klar, dass es nichts brachte, auch nur irgendetwas davon, was er mir gerade berichtete, zu leugnen; er hatte es ja selbst mitbekommen in den letzten Tagen. "Ich... es ist nicht so einfach Jannis", stammelte ich mir zusammen. "Hat es etwas mit Kai zu tun?", mutmaßte er mit neugierigem Blick. "Was? Nein", antwortete ich schnell und mit geschocktem Blick. Vielleicht etwas zu schnell, denn Jannis grinste mich wissend an. "Es hat was mit Kai zu tun", stellte er anhand meiner Reaktion fest. Niedergeschlagen nickte ich. "Ja." 
"Was ist denn passiert zwischen euch?", wollte er einfühlsam wissen, während er mir eine Hand auf die Schulter legte. "Er hat Schluss gemacht", ließ ich die Bombe mit leiser  Stimme platzen. "Was?" Mein jüngerer Bruder sah mich ungläubig an. "Warum das denn?" 
"Wenn ich das wüsste"; gab ich frustriert von mir, ehe ich aufstand und anfing in meinem Zimmer auf und ab zu laufen. Ich hielt das einfach nicht mehr aus. 
"Er hat mich auf einmal angerufen. Nach dem Wochenende, du weißt schon." 
Jannis nickte, sagte aber nichts, was ich als Zeichen sah, weiter zu erzählen. 
"Und dann hat er mir über Handy heulend gesagt, dass er Schluss macht und dass es ihm leid tut, er aber keine andere Wahl hat und keine Ahnung.... ehe ich irgendwas sagen konnte, hatte er dann auch schon aufgelegt und seitdem konnte ich in nicht mehr erreichen. Er kommt auch nicht mehr zur Schule. Das Einzige, was ich noch von ihm habe, ist ne Nachricht, die er mir geschrieben hat, nachdem ich ihm aus Verzweifelung auf die Mailbox gesprochen habe. Mehr nicht."
Mitfühlend sah der Jüngere mich an, nachdem ich meine Erzählung beendet hatte, und nahm mich dann tröstend in die Arme. Mit meinem Ärmel wischte ich mir vorsichtig die Tränen, die mittlerweile über meine Wangen kullerten ab, und schloss dann wieder meine Arme um meinen Bruder, als wäre er der Rettungsring, welcher  mich vor dem Ertrinken bewahrte. Es tat so unfassbar gut, sich mal bei jemandem auszuheulen und einfach mal alles loszuwerden. Es fühlte sich einfach so erleichternd an. 
"Och Mensch, was macht ihr zwei denn?"
Hilflos zuckte ich mit den Achseln. "Ich weiß es doch auch nicht", schluchzte ich leise, krallte mich noch mehr in seine Schultern.  Es war so schön, dass er gerade so für mich da war; denn eigentlich war ich immer derjenige gewesen, der den Starken spielen und ein Vorbild sein musste. Einfach weil ich der Älteste war. 
"Und er geht wirklich nicht mehr ans Handy?", vergewisserte Jannis sich ein weiteres Mal, doch ich beantwortete seine Frage direkt mit einem leichten Kopfschütteln. "Ich habe es doch schon tausendmal probiert. Manchmal drückt er mich sogar weg."
"Was ist denn mit Training? Da müsstet ihr euch doch auch sehen, oder?" 
"Ja schon, aber er hat sich die letzten Tage krank gemeldet. Maik hat gesagt, Kai hätte sich mit einer Bronchitis abgemeldet." 
"Und du bist dir sicher, dass er nicht wirklich krank ist?" 
Ich nickte. "Maik glaubt es ihm zwar, aber ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Es wäre ein zu großer Zufall." "Stimmt auch wieder", pflichtete Jannis mir wieder bei.
"Und wenn du einfach mal zu ihm nach Hause fährst?", schlug mein jüngerer Bruder nach kurzem Schweigen vor," Dann kann er nicht einfach weglaufen und muss sich dir stellen."
"Das traue ich mich nicht"; versuchte ich mich raus zu reden. Natürlich hatte ich da auch schon dran gedacht. Aber meine Angst vor einer Eskalation oder die Angst noch mehr verletzt zu werden, waren viel zu groß. 
"Ich habe Angst, dass er mich verletzt oder dass er vielleicht wirklich einen Neuen hat", fuhr ich leise fort; konnte diese Worte kaum über die Lippen bringen. Allein bei der Vorstellung wurde mir schon speiübel. 
"Aber ihr müsst das doch irgendwie klären"; beharrte Jannis," Meinst du, es wird besser, wenn du hier weiter in Ungewissheit vor dich hin lebst?"
Schulterzucken.
"Selbst wenn er einen Neuen hat. Dann weißt du wenigstens was Sache ist und kannst mit der ganzen Sache abschließen. Du kannst ihn hassen; du kannst sauer sein und vielleicht kannst du ihn irgendwann auch vergessen, aber so wird das doch nichts, hm?" 
"Du hast ja recht", nuschelte ich leise," Aber ich habe so Angst." 
"Pass auf. Wir fahren morgen nach der Schule zusammen zu ihm und du versuchst mit ihm zu reden. Und ich bleibe irgendwo hinter ner Hecke oder so. Wo er mich halt nicht sieht. Und wenn irgendwas sein sollte, bin ich sofort für dich da, okay?"; bot er fürsorglich an. 
Wow, wann war er bitte so erwachsen geworden? Gefühlt war er vorgestern noch ein kleiner Junge gewesen und jetzt war schon so erwachsen und reif. Fast reifer als ich.
"Okay"; bestätigte ich leise,; lächelte ihn dankbar an. "Danke." 
"Dafür hat man Brüder", erwiderte Jannis locker, ehe er mich noch einmal in seine Arme zog. 

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