Kapitel 42

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Pov. Julian:

Noch immer geschockt, von Kais Ausbruch und dem, was sein Vater mir im Anschluss daran alles erzählt hatte, kam ich nach Hause. Nachdem Kai wortwörtlich die Flucht ergriffen hatte, war sein Vater ebenfalls total zusammengebrochen und auch wenn ich absolut kein Fan von ihm war, hatte ich ihm zugehört. Das, was er erlebt hatte, war weiß Gott keine Rechtfertigung für das, was er Kai angetan hatte, aber trotzdem konnte ich ihn jetzt ein bisschen besser verstehen. 
Aber ich konnte Kai auch verstehen. Ich konnte auch seinen Ausbruch verstehen; wahrscheinlich wäre es mir in seiner Situation nicht anders gegangen. Mir war gerade heute mal wieder klar geworden, wie schlecht es dem Jüngeren aber auch seinem Vater ging. Kai vermisste ihn; das war klar. Und genau deshalb hatte ich mir vorgenommen, nochmal mit ihm zu reden und zu versuchen, ihn davon zu überzeugen, dass die Beiden oder vielleicht sogar die ganze Familie noch einmal miteinander redet, damit sie vielleicht irgendwann wenigstens normal miteinander reden könne, ohne sich anzubrüllen oder sich zu streiten. Ich war mir aber auch ziemlich sicher, dass die Beziehung von Kai zu seinem Vater nie mehr die alte werden würde.
Oh Gott, ich fühlte mich wie ein Paartherapeut. 
Aber für Kai würde ich alles machen, denn ich weiß, dass er dasselbe auch ohne Zögern für mich tun würde.
"Julian?", vernahm ich die fragende Stimme meiner Mutter aus der Küche.
"Ja", rief ich zurück, während ich in besagten Raum ging.
"Sag mal, ist alles okay bei euch?", wollte sie bekümmert wissen," Kai ist hier vorhin total verheult reingestürmt." 
"Ja, ich weiß"; seufzte ich," Ich kümmere mich um ihn, okay?" 
"Aber was ist denn überhaupt passiert?", fragte sie weiter, da ich ihr auf ihre eigentliche Frage noch immer keine richtige Antwort gegeben hatte. 
"Wir hatten ein eher unglückliches Aufeinander Treffen mit seinem Vater", erklärte ich in Kurzfassung und fuhr fort, bevor sie noch weiter fragen konnte. "Ich erzähle dir alles später in Ruhe, Mama. Nur jetzt würde ich mich gerne erstmal um Kai kümmern, okay?" Eindringlich sah ich sie an. Meine Mum nickte verständnisvoll. "Okay." 
"Danke Mama." Schnell umarmte ich sie, ehe ich nach oben zu meinem Zimmer stürmte. Mein Ohr an die Tür haltend konnte ich bitterliches Schluchzen vernehmen. In diesem Moment zerbrach mein Herz in tausend Teile. Er tat mir so leid und doch konnte ich nicht wirklich etwas ausrichten. Leise öffnete ich die Tür und trat ein. Kai lag in Embryostellung zusammengerollt auf unserem Bett und hatte seinen Kopf tief in die Kissen vergraben. Man konnte ihn fast gar nicht mehr sehen. Vorsichtig ließ ich mich neben ihm auf dem Bett nieder un legte sanft eine Hand auf seinen bebenden Rücken. "Es tut so weh"; schluchzte er leise auf," Ich dachte, ich bekomme das hin. Ich dachte ich habe alles soweit verarbeitet und dann kommt er um die Ecke und wühlt wieder alles in mir auf." "Ich weiß"; nuschelte ich schuldbewusst," Ich hätte dich nicht dazu überreden sollen, mit ihm zu sprechen. Es tut mir leid." 
"Du kannst doch nichts dafür. Du meintest es doch nur gut." 
"Trotzdem. Als du nein gesagt hast, hätte ich das einfach akzeptieren sollen." 
Zum ersten Mal hob der Jüngere seinen Kopf an und sah mich aus seinen verweinten und geröteten Augen an. Schlagartig wurde ich auch traurig. Das wollte ich definitiv nicht mit meiner Aktion erreiche; eigentlich wollte ich das komplette Gegenteil erreichen. 
Sachte strich Kai mir durch die Haare, ehe er seine Hand an meiner Wange platzierte. 
Schwach lächelte er mich an; auch ich versuchte mich an einem Lächeln, doch es glückte mir nicht so ganz. Zu groß waren meine Schuldgefühle in diesem Moment. 
"Mach dir keine Vorwürfe Jule"; bat er mit gedämpfter Stimme," Das halte ich nicht aus." 
"Okay"; versprach ich ihm zittrig, obwohl ich wusste, dass es nicht so sein wird und ich noch tagelang darüber nachdenken würde. Und ich war mir sicher, dass auch Kai das wusste, doch er beließ es dabei. Stattdessen zog er mich einfach in seine Arme; so fest, das kein Blatt Papier mehr Platz zwischen unseren Körpern finden würde. Meine Arme waren mindestens genauso fest um ihn geschlungen wie seine um meinen Oberkörper, während mein Kopf auf seiner Brust lag, sodass ich seinen schnellen und aufgeregten Herzschlag spüren konnte. 
Mit der Zeit spürte ich, wie sich sowohl Herzschlag als auch Atmung meines Freundes zunehmend normalisierten und auch das Schluchzen wurde weniger. Er schien sich langsam aber sicher zu beruhigen. 
"Weißt du Kai, ich glaube er bereut wirklich zutiefst, was er dir und deiner Familie angetan hat"; redete ich dann einfach drauf los, ohne auch nur einen einzigen Millimeter von ihm zu weichen. Ich glaube, er braucht gerade einfach meine Nähe, um sich beruhigen zu können. 
"Mag sein. Aber da heißt nicht, dass er einfach so auftauchen und sich entschuldigen kann und dann wieder alles in Butter ist"; widersprach Kai und blieb dabei überraschend ruhig. Fast schon, als würde ihn das alles auf einmal gar nicht mehr so richtig interessieren. Woher kam das denn bitte?
"Das habe ich auch gar nicht gesagt. Es braucht viel mehr als eine Entschuldigung; keine Frage. Und glaub mir, ich bin auch sauer auf ihn. Weil du das alles nicht verdient hast und er uns das Leben schwer gemacht hat. Aber ich sehe auch, wie sehr du darunter leidest und wie sehr du ihn eigentlich als deinen Vater vermisst. Und deshalb..... und deshalb wäre es mir wirklich wichtig, dass du ihm vielleicht nochmal eine Chance gibst, sich zu erklären. Glaub mir, er hat auch einiges erlebt." 
Fragend sah er mich an. "Hast du mit ihm gesprochen?" Ich nickte. "Er hat mir erzählt, woher sein.... Verhalten kommt...zumindest teilweise." "Was soll das denn sein?"; wollte er zweifelnd wissen. "Das sollte er dir lieber selbst erzählen.", meinte ich leise, bevor ich sanft durch sein lockiges Haar strich. "Na gut", seufzte er sich geschlagen gebend," Ich machs. Aber nur, wenn du dabei bist. Alleine schaffe ich das nicht." "Versprochen." "Aber dafür musst du mir versprechen, dass du ihm zuhörst und wenigstens versuchst, ihn zu verstehen. Ich weiß, dass das schwer für dich ist und ich verlange auch nicht, dass du ihm sofort verzeihst, aber gib ihm bitte eine Chance." "Mach ich. Aber wenn ich keinen Bock mehr hab, dann gehe ich und du lässt mich mit dem Thema in Ruhe. Abgemacht?" "Abgemacht", lächelte ich und schlug mit ihm ein. 
Ich war wirklich froh, dass es sich darauf einließ, denn ich wusste wie schwer ihm das fiel und das war auch mehr als verständlich. Und ich verlangte auch gar nicht von ihm, dass er seinem Vater sofort verzeiht, aber ich wollte nur, dass er es versucht und das tat er und das machte mich mächtig stolz. 

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