Pov. Kai:
Ich wartete. Wartete darauf, was mein Vater mir zu sagen hatte, damit ich schnellstmöglich wieder verschwinden könnte. Mir war bewusst, dass Jule nur mein Bestes wollte und es nur gut meinte und wahrscheinlich hatte er auch recht mit dem, was er zu mir gesagt hatte, und doch fühlte ich mich hier absolut nicht wohl. Mein Blick ging starr geradeaus auf den Rasen und das Bvb-Gebäude dahinter. Aus dem Augenwinkel konnte ich jedoch erkennen, dass mein Vater seinen Blick auf das Lenkrad vor ihm gerichtet hatte und angestrengt nachzudenken schien. Wenn er nichts zu sagen hatte, konnte ich auch gehen.
Ich war schon drauf und dran, die Tür zu öffnen und den Heimweg anzutreten, als mein Vater seinen Blick hob, mich ansah und zögerlich begann zu sprechen.
"Du bist mein Sohn, Kai."
Ironisch lachte ich auf. Nein, das war ich nicht mehr. Mich wollte man nicht als Sohn haben. Das hatte er mir höchstpersönlich klar gemacht.
"Klar", antwortete ich ironisch," Genauso behandelst du mich auch."
"Ich glaube eine Entschuldigung allein reicht nicht mehr, oder?", fragte er unsicher.
Noch immer sarkastisch lachend schüttelte ich den Kopf. "Das fragst du jetzt nicht ernsthaft, oder?"
"Hör zu, ich weiß, dass ich einen großen Fehler gemacht habe. Einen riesigen Fehler sogar", begann er wieder zu reden, nachdem er eine Weile schweigend auf seine Füße gestarrt hatte.
"Ich hätte dich niemals so behandeln dürfen wie ich es getan habe."
Am liebsten würde ich ihm jetzt alles Mögliche an den Kopf werfen, ihn beschimpfen, ihn hassen und dann gehen, aber irgendwie konnte ich es nicht. Irgendwie wollte ich doch wissen, warum er das getan hatte.
Also schwieg ich, auch wenn mir das alle andere als leicht fiel. Es fiel mir verdammt schwer.
"Du bist mein Sohn und ich liebe dich, ganz egal wen du liebst oder mit wem du zusammen bist."
"So sieht Liebe für dich aus", schnaufte ich ungläubig; konnte mich nun wirklich nicht mehr zurückhalten.
"Kai, ich..."
Doch ich konnte ihn nicht ausreden lassen; mir platzte in diesem Moment sowas von der Kragen. Alles, was sich in den letzten Wochen angestaut hatte, musste jetzt einfach mal raus. All die Wut auf meinen Vater, die Ratlosigkeit und die Verzweifelung. Alles, was ich versucht hatte zu unterdrücken, sprudelte jetzt auf einmal wie ein Wasserfall aus mir heraus und ich ließ mich nicht aufhalten oder besänftigen; auch nicht von Jule.
"So sieht also Liebe für dich aus, ja?"; brüllte ich schon fast; riss mich von Jule, welcher mich beruhigend von hinten an der Schulter anfasste, energisch los. "Liebe bedeutet für dich, den eigenen Sohn erniedrigen, beschimpfen und rauszuschmeißen? Das ist Liebe für dich? Hast du auch nur einen verdammten Hauch von Ahnung, wie ich mich gefühlt habe? Kannst du dir das vorstellen? Nein? Gut, dann erkläre ich es dir. Ich habe mich verdammt nochmal scheiße gefühlt. Du hast mich für etwas angebrüllt, rausgeschmissen und ignoriert, für das ich gar nichts kann. Denkst du nicht, dass es eh schon schwer für mich war, mit meiner Sexualität klar zu kommen, nachdem du immer so fucking abwertend über Homosexualität gesprochen hast. Glaubst du, es war einfach für mich, mich auf Jule einzulassen? Nein, das war es nicht. Ich habe unsere Beziehung so oft auf die Probe gestellt, weil ich immer und immer wieder im Hinterkopf hatte, dass es nicht normal ist, schwul zu sein, weil du uns das immer eingetrichtert hast. Wegen dir habe ich mich so wertlos gefühlt und dir war es scheißegal. Du mieses Arschloch hast einen Keil in unsere Familie getrieben und Mama und Lea unter Druck gesetzt, weil sie sich nicht mit mir treffen durften. Sag mal, schämst du dich eigentlich nicht? Du hast nicht nur mich verletzt bis zum geht nicht mehr, sondern auch Mama. Ist dir eigentlich klar, wie schlecht es ihr wegen dir ging? Wie sie sich gefühlt hat; weil sie immer zwischen zwei Stühlen saß? Aber du bist ja so egoistisch und hast dich wahrscheinlich nie dafür interessiert, wie sich die anderen fühlen. Für dich war immer nur Jan wichtig, weil er immer dein verdammter Vorzeigesohn war. Und als er mich dann auch noch verraten hat, war das doch gefundenes Futter für dich. Weißt du, wie weh du mir getan hast? Ich hasse dich. Und wie ich dich hasse. Ich hasse dich für all das, was du mir angetan hast. Und Mama, Lea und Jule."
Erst jetzt merkte ich, wie mir die Tränen in Sturzbächen die Wangen herunterliefen. Und nein, ich bereute kein Wort, denn jedes Wort war die Wahrheit gewesen. Ihm war es scheißegal gewesen, wie ich mich gefühlt hatte, dann war es mir jetzt mindestens genauso egal.
"Ich hasse dich"; wiederholte ich meine Worte hauchend.
Ehe Jule mich aufhalten konnte, hatte ich auch schon die Autotür aufgerissen und war, wie ein verschreckter Tier, geflohen. Schnell rannte ich zu meinem Fahrrad, obwohl man das wahrscheinlich eher als Stolpern bezeichnen musste, und fuhr so schnell ich konnte weg. Weg von hier. Es glich fast einem Wunder, dass ich heile bei Jule angekommen war, denn meine Sicht war von den Tränen so verschleiert, dass ich kaum etwas sehen konnte. Zum Glück hatte Jule mir einen Schlüssel gegeben, sodass ich nicht klingeln musste, denn auf mitleidige Blicke oder das Verlangen von irgendwelchen Erklärungen von seinen Eltern oder Brüdern hatte ich jetzt echt keine Lust. Hoffentlich war niemand zu Hause.
So schnell ich konnte verschanzte ich mich in Julians Zimmer; versuchte dabei mein Schluchzen zu unterdrücken, doch kaum war ich in seinem Zimmer angekommen un hatte die Tür hinter mir geschlossen, warf ich mich aufs Bett und schluchzte bitterlich in die Kissen. Sie waren mittlerweile echt meine besten Freunde, wenn ich weinen musste. Ich weinte nicht, weil ich mich für meinen Ausbruch schämte oder mir die Worte, die ich meinem Vater an den Kopf geworfen hatte, leid taten, sondern weil jetzt gerade wieder alles hoch kam. Alles, was ich die letzten Wochen so gut verarbeitet hatte, wühlte mein Gehirn jetzt wieder nach ganz vorne und es tat so weh. Es tat so verdammt weh, von seinem eigenen Vater so behandelt zu werden.
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Secret Love
FanfictionWeil sein Vater einen neuen Job angenommen hat und die Familie Havertz umziehen muss, kommt Kai auf eine neue Schule. Dort lernt er Julian kennen, welcher eine Stufe über ihm ist, und verguckt sich nach einer Zeit in seinen Kumpel. Julian geht es n...