5. Übernachtungsgäste

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Seufzend ließ er sich auf das Sofa neben mir nieder. Schloss die Augen und atmete hörbar tief durch. Irgendwo tat er mir so leid, dass ich ihn am liebsten in den Arm genommen hätte. Hielt mich aber grade noch zurück. Immerhin waren wir Fremde. Auch, wenn es sich mittlerweile echt nicht mehr danach anfühlte.

Es war bereits kurz vor elf. Ronja schlief endlich den Schlaf der Gerechten und er war kurz bei sich zu Hause gewesen, hatte geduscht und sich Sachen für die Nacht mitgebracht. Tja und jetzt saßen wir da. Schweigend. Beide von diesem Abend erschlagen.

„Wie heißt du eigentlich? Das hätte ich wohl schon viel früher fragen sollen", murmelte er vor sich hin, öffnete erneut die Augen und blickte mich aus dunklen Iriden mit schräg gelegtem Kopf an. Automatisch stockte mir der Atem. Verdammt auch, wie konnte jemand nur so schöne, dunkle Augen haben? Dieses Braun, wie geschmolzene Zartbitterschokolade. Wunderschön und perfekt zugleich. Wenn man ganz genau hinsah, erkannte man sogar feine Nuancen aus einem warmen, Karamell farbigen Ton.

Emm ... was hatte er gleich nochmal gesagt?

Blinzelnd versuchte ich gleichzeitig meine Gedanken zu fokussieren und setzte mich etwas seitlich, um im direkt gegenüberzusitzen. Auch er tat es mir gleich. Hob zögernd seinen rechten Mundwinkel, sodass darüber ein süßes Grübchen entstand. Ich schluckte. Aus der Ferne hatte er schon toll ausgesehen, aber jetzt hier, so zum Greifen nahe ...

„Emm ..., Colin. Ich heiße, Colin", murmelte ich immer noch etwas abgelenkt und versuchte mich, aufs hier und jetzt, zu besinnen. Solche Fantasien brachten gar nichts. Er hatte ein Kind, mit dem er alle Hände voll zu tun hatte. Eine Frau, mit er scheinbar einen Rosenkrieg zu führen schien. Da bedurfte es keinen sichtlich dahinschmelzenden, schwulen Nachbarn, der ihn mit den Augen auszog. Er hatte auch ohne mich genug Probleme.

„Ian", stellte auch er sich vor und reichte mir seine Hand, während der zweite Mundwinkel dem ersten folgte und er mir ein süßes Lächeln schenkte. „Danke übrigens. Du hast mir heute das Leben gerettet! Mehrfach", bedankte er sich und drückte meine Hand kurz noch einmal kurz, bevor er losließ und den Körperkontakt beendete.

Ich wollte gerade abwiegeln, doch da kam mir das Knurren seines Magens in die Quere. Beide blickten wir synchron nach unten.

„Sag mal, wann hast du das letzte Mal gegessen?", wollte ich entsetzt wissen, weil er sich entschuldigend dreinschauend an den Bauch fasste.

„Heut morgen, gab es Kaffee", äußerte er schlicht und zuckte lediglich mit den Schultern, als mir wohl sichtlich mein Gesicht entgleiste. Gott, ich wäre an seiner Stelle bereits verhungert. Wie konnte man den ganzen Tag von einem Kaffee zehren? Mit einem Kind? Wenn meine Nichte und mein Neffe da waren, gab es ständig was zu essen, weil sie mir mehr Energie abverlangten, als ein Fitnessprogramm.

„Lust auf Pizza?", schlug ich vor. „Ich hab aber lediglich Tomate/Mozzarella und Salami zur Auswahl."

„Alles gut, ich bin sowas gewöhnt. Du hast auch so schon viel zu viel für mich getan und willst bestimmt ins Bett", versuchte er mich zu beschwichtigen, doch das ließ ich gar nicht erst zu. Erhob mich vom Sofa, streckte meine angespannten Glieder und machte mich auf den Weg in die Küche. „Ein Bier dazu?", rief ich, während ich mich nach dem untersten Fach im Gefrierschrank bückte, die beiden Pizzas rausholte und mich umwandte, nur um fürchterlich zu erschrecken. Ian war mir lautlos in die Küche gefolgt und hatte unweit hinter mir gestanden.

„Oh verdammt auch Ian ... hast du mich erschreckt", stieß ich aus und hätte fast die Pizzas fallen lassen.

„Und das für jemanden, dessen Buchregal von Krimis und Thrillern gespickt ist", konterte er grinsend und zwinkerte mir zu. „Sorry ...", setzte er hinterher. „Ich mag grade nicht allein mit meinen Gedanken sein. Und ein Bier wäre echt nicht schlecht."

Sweet EasterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt