Wütend pfefferte ich den Hörer des Telefons in die Ladevorrichtung und ließ mich stöhnend auf den Sessel nieder. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich schon viel zu lange in der Kanzlei versauerte. Eigentlich hatte ich der Kleinen versprochen rechtzeitig da zu sein, um mit ihr und Colin Ostereier zu färben, und dann war ich auch noch so wahnsinnig gewesen zu versprechen, dass ich bis Dienstag nach den Feiertagen nicht mehr arbeiten würde, sondern gänzlich zu ihrer Verfügung stand. Irrsinnig! Wie sollte ich das nur einhalten?
Denn dieser eine, liebenswerte Kunde, der mit Kusshand an mich abgetreten worden war, kannte weder Wochenende noch Feiertage. Stattdessen spielte Geld keinerlei Rolle, was hieß, man sprang, wenn er es verlangte.
Müde fuhr ich mir mit beiden Händen übers Gesicht und seufzte schwer. Ab und an, in Augenblicken wie diesen, wünschte ich mich in eine kleine Kanzlei, die lediglich banale Fälle, in denen Hans gegen Kunz wegen einer Hecke, die zu nahe am Grundstück des jeweils anderen wuchs, stritten. Da war das Arbeiten mit Sicherheit viel entspannter. Und doch liebte ich die Hektik und den Anspruch der Fälle, die wir bearbeiteten. Eigentlich, oder besser gesagt, sonst. Als ich mich lediglich um meine eigenen Mandanten und um meine Fälle habe kümmern müssen, da war es zum größten Teil positiver Stress, der mich ausfüllte, auspowerte, eben auf eine gute Art und Weise. Nicht wie jetzt, wo ich weder hinten von vorne sah und dann auch noch Versprechen gab, die mich würden in die Hölle bringen.
„Wolltest du nicht schon längst weg sein?", fragte Barbie, alias Andrea und ließ sich elegant auf dem Schreibtisch nieder. Dabei rutschte ihr Mini so weit hoch, dass nicht viel fehlte und ich kurzerhand unfreiwillig zum Gynäkologen deklariert werden könnte. Nichts, wonach ich strebte.
„Hmm ...", seufzte ich und wandte den Blick sicherheitshalber ab, um hinaus aus dem Fenster zu sehen, statt zu ihrer Mitte. „Seit über drei Stunden, um genau zu sein", setzte ich bitter hinzu und fuhr mir erneut müde durchs Gesicht.
„Wo hast du denn deine Nichte? War es nicht unmöglich, für die Feiertage jemanden zu bekommen?", wollte sie wissen und überrascht hob ich die rechte Augenbraue. Nach dem Einlauf, den sie am Tag, nach dem Ronja dank ihr Reißaus nehmen konnte, von mir verpasst bekam, hatte sie die Kleine mit keinem Wort mehr erwähnt. Was auch besser war, ich war nämlich immer noch stinksauer deswegen.
„Bei meinem Nachbarn", presste ich zwischen den Zähnen hervor und wunderte mich gleichzeitig, wie meine innere Wut von ihr ganz automatisch auf Colin umschlug, obwohl er ja eigentlich nichts verbrochen hatte. Ja, eigentlich ...
„Der Süße mit den Häschen?", wollte sie wissen und lächelte ihr zauberhaftes Lächeln, was die männlichen Kunden dahinschmelzen und deren Ehefrauen sie hassen ließ.
„Hmm ...", brummte ich erneut und verzog das Gesicht. Wieder war da dieses Bild vor meinem inneren Auge, in dem sich dieser blondgelockte, nervige Sunnyboy an Colins Hals warf und ihn dabei halb auffraß. Welcher Verrückte lief den bitteschön im März mit kurzer Hose und Tanktop herum, als hätte er gerade sein Surfbrett im Sand abgestellt und hätte sich ganz nebenbei vom Palm Beach direkt ins kalte, triste Deutschland teleportiert? Gott, sogar eine verdammte Kette mit einem Haifischzahn, hatte um seinen Hals gebaumelt. Zur Hölle, wer war dieser Typ? Und wieso küsste er Colin, dem es zu allem Überfluss auch noch zu gefallen schien! Ja, da waren wir auch schon bei dem Punkt, warum ich sauer war. Und das, obwohl ich eigentlich keinerlei Recht dazu hatte.
Hatte ich mit ihm geflirtet? Nein! Hatte ich ihn geküsst? Nein! Hatte ich ihm irgendwie zu verstehen gegeben, dass ich scharf auf ihn war? Natürlich nicht! Eigentlich hätte ich sauer auf mich selbst sein sollen, aber es war viel leichter sauer auf ihn zu sein.
„Hattet ihr Streit?", riss mich Andrea aus den Gedanken und ich verdrängte dieses Bild. All diese Gedanken, die mich lediglich runterzogen. Ob Lockenkopf, alias Mr. Sunshine Lächeln immer noch bei Colin war? Ober er ihm wieder tief in die Augen sah? Ihn anlächelte? Ihn küsste? Ach, verdammt auch!!!
„Ne, alles in bester Ordnung. Ich jetzt muss ich los. Ostereier färben", fuhr ich Andrea wütend an, sprang aus meinem Stuhl, als hätte ich mich daran verbrannt und klappte mit einem lauten Knall den Laptop zu. „Bis Dienstag!", rief ich noch, während ich bereits den Laptop unterm Laufen in meine Aktentasche gleiten ließ und schon halb durch die Tür war. Ich musste mit eigenen Augen sehen, was da vor sich ging, bevor meine Fantasie mich um den Verstand brachte. Rationales Denken stand einfach nicht mehr zur Option.
Eine halbe Stunde später parkte ich mein Auto in der Garage. Lief im Eiltempo ins Haus, zog mich um und machte mich augenblicklich auf den Weg zu Colin und Ronja. Nicht wirklich wissend, was für ein Anblick mich erwarten, und wie ich diesen ertragen, würde.
„Hi!", grüßte ich atemlos, kaum, dass die Tür sich öffnete und Colin dahinter erschien.
„Hi!", grüßte er zurück und öffnete die Tür ein Stück weiter, um mich einzulassen. Dabei lächelte er mich zuckersüß an, dass ich glatt die Befürchtung hatte, allein aufgrund dessen an Diabetes zu erkranken. Grade hatte ich noch zurückgelächelt, da erinnerte ich mich wieder, dass er diesen Sunnyboy genauso charmant angelächelt hatte, und dies wohl bei ihm absolut nichts zu bedeuten schien. Automatisch fielen meine Mundwinkel nach unten und in sich zusammen. Na super! Von einem Moment auf den anderen war das Glücksgefühl, welches mich bei seinem Anblick erfasst hatte, ins Gegenteil umgeschlagen. Wieder war da diese Wut, diese Enttäuschung in meinem Inneren, die einfach nicht weichen wollte.
„Du bist zu spät!", ertönte es bockig von unten und neben Colin erschien der kleine General in der Tür, der mich nun seinerseits eiskalt und erbost musterte. „Du hast Glück, dass wir die Ostereier vorhin noch nicht schon mit Toni gefärbt hatten", setzte sie erbarmungslos hinzu und verschränkte ihre Arme vor der Brust. War sie wirklich erst knappe fünf? Hier wirkte sie grade wie eine erwachsene Frau, die stinksauer auf ihren Mann war. Der diese betrogen hatte, oder noch schlimmeres.
„Tut mir leid ...", murmelte ich nichtsdestotrotz etwas kleinlaut. „Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte", versicherte ich anfügend. Was auch der Wahrheit entsprach. Noch schneller hätte ich nur sein können, wenn ich die fünf Minuten nicht an Andrea und das Gespräch mit ihr hätte verschwendet. Aber irgendwas sagte mir, dass besagte fünf Minuten für Ronja schlichtweg das Kraut nicht fett gemacht hätten. „Aber jetzt bin ich ja da und wir können gemeinsam Ostereier färben!", schlug ich versöhnlich vor und versuchte mich an einem Lächeln, wie es Andrea drauf hatte. Eben eins, das Herzen im Nu schmelzen ließ. Kenterte aber keinen Moment später, als die kleine Göre verkündete, dass wir doch noch auf Toni warten mussten, der gleich wieder kommen würde. Wie von selbst rutschte mein Blick nach oben und ich begegnete dem von Colin.
„Ich hoffe, es stört dich nicht. Ronja hatte Toni eingeladen, weil sie sich sicher war, dass du höchstwahrscheinlich gar nicht rechtzeitig kommen würdest", entschuldigte er sich sichtlich aus den falschen Gründen. Dieser Kerle würde gleich noch mal herkommen? Um mit uns gemeinsam Ostereier zu färben? Ja sicher! Ich war ja weder blind noch blöd! Er würde kommen, um mit Colin zu flirten und nicht weiter. Als würden wir zwei ihn interessieren. Dass ich nicht lachte ...
Da mich Colin immer noch fragend musterte, zuckte ich schlicht mit den Schultern. Aber was hätte ich auch bitteschön sagen sollen? NEIN! Ich möchte nicht, dass er zu DIR nach Hause kommt. Um mit DIR zu flirten. Nein, nein! Alles in bester Ordnung, ich bin auch gar nicht eifersüchtig oder so, überhaupt nicht! Es macht mir auch gar nichts aus, dass du ihn anschmachtest und er dich.
„Na, komm erst mal rein. Hast du Hunger? Wir hatten was vom Chinesen bestellt. Es ist noch was da, ich kann es dir gerne warm machen", durchbrach er meine, sich immer mehr in Rage drehenden Gedanken.
„NEIN!", stieß ich aus und bremste mich gleich darauf selbst. ‚DU hast keinerlei Rechte, sauer auf Colin zu sein', ermahnte ich mich gleichzeitig. „Danke, aber ich habe keinen Hunger", versuchte ich meine schroffe Antwort abzumildern, während mein undankbares Hirn mir dankenswerterweise ‚Sie haben gegessen. Zusammen. Ohne dich', wie auf einer hängenden Schallplatte immer und immer wieder abspielte.
„Okay", murmelte Colin, doch sein Blick blieb weiterhin skeptisch auf mir ruhen. „Lasst uns hineingehen", schlug er nach einer Weile, in der wir uns alle drei angeschwiegen hatte, vor und ich folgte den beiden wortlos ins Haus.
Wir hatten gerade alles fürs Färben vorbereitet, da läutete es an der Tür. Ronja und Colins Gesicht strahle auf und sie verschwanden beide, um wohl Mr. Sunshine Lächeln hineinzulassen. Ich hingegen setzte mich hin, und versuchte kläglich meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen, bevor es peinlich wurde.
Wer zum Teufel war dieser Typ? Und wollte Colin was von ihm? Bis jetzt hatte ich angenommen, er wollte was von mir. So wie er mich ansah. So wie er sich um mich und Ronja bemühte. Das tat man doch nicht einfach so? Das hatte doch was zu bedeuten! Bis heute Morgen war ich mir auch zu 99 Prozent sicher gewesen. Aber jetzt? Vor allem gerade, als ich das Lachen an der Türe hörte. Colins strahlende Miene sah, als sie alle drei gemeinsam uns Eck bogen und ich völlig vergessen schien. Nein, nun war ich mir wirklich nicht mehr sicher. Hatte ich verloren, bevor es überhaupt begonnen hatte? Nur, weil ich feige war? Mir Zeit ließ, ihn erst etwas mehr kennenzulernen?
„Aloha", begrüßte mich der Fremde und grinste über sein ganzes Gesicht, dass seine grünen, gutmütigen Augen nur so funkelten. Er sah nett aus. Sympathisch. So richtig zum Kotzen!
„Onkel, Onkel ich kann auch auf Hawaii reden", erklang es sogleich von meiner Nichte aufgeregt und sie schien völlig vergessen zu haben, dass sie eigentlich noch sauer auf mich war. „ʻO Ronja koʻu inoa", sagte sie stolz. „Das heißt, ‚ich heiße Ronja', das hat mir der Toni beigebracht. Er wohnt nämlich auf Hawaii und schwimmt sogar mit Haien. Soooooooooooo groß", dabei streckte sie ihr Arme so weit wie es eben ging auseinander. „Dort kann man auch mit Schildkröten schwimmen. Aber ... aber ... Quallen sind gefährlich. Da muss man ganz gut aufpassen, sonst verbrennt man sich. Wie bei Feuer, Onkel Ian. Obwohl es im Wasser ist", gluckste sie auf und nun war der Ärger über meine Abwesenheit gänzlich vergessen. „Wenn ich will, bringt mir Toni schwimmen bei, hat er gesagt. Weil ich kann noch nicht so gut. Aber er kann ganz gut schwimmen. Weil im Ozean muss man gut schwimmen können. Ganz ohne Flügel", schwärmte sie ohne Punkt und Komma weiter, während ich mit hoffentlich lediglich starrem, statt ermordendem Blick mechanisch, nichtssagend nickte. Das hatte mir grade noch gefehlt, mit diesem Sunnyboy schwimmen zu gehen. Bis dato war ich immer stolz auf meinen leicht durchtrainierten Körper. Mit diesem braungebrannten Hawaii-Schönling konnte ich wohl aber nicht konkurrieren.
„Wie wäre es, wenn wir mit dem Eierfärben anfangen. Sonst ist es bald Zeit fürs Abendessen und dann fürs Bett", mischte sich Colin mit ein. Ich sagte nichts. Ronja verzog missmutig das Gesicht, und dieser Toni grinste vor sich hin, als wäre er nicht in der Lage, auch noch einen anderen Gesichtsausdruck an den Tag zu legen. Ja, doch. Ich konnte ihn wirklich nicht leiden.
Wie gesagt, so getan. Colin setzte Wasser auf. Kochte Eier und ich sah dabei zu, wie dieser Surferboy mir nebst Colin, auch noch meine Nichte streitig machte. Lachend half er ihr dabei, die Eier auf die Farben zu verteilen, sie wieder rauszuholen und zum Trocknen zu legen. Zum Schluss bemalten sie sogar ein paar von ihnen mit Blumen. Hawaiianische Blumen natürlich, wie mir Ronja stolz erklärte. Sie war sichtlich hin und weg. Und Colin, der strahlte ebenfalls. Lachte. Berührte diesen Kerl andauernd, oder wurde von ihm berührt, und schien über und über vor Glück nur so zu strotzen.
Ich hingegen verzog keine Miene. Sagte kein Wort. Saß einfach nur da und beobachtete das Ganze wie einen Unfall, bei dem man einfach nicht wegblicken konnte, obwohl es viel besser fürs eigene Seelenheil gewesen wäre. Ich hatte keine Ahnung, wie ich aus dieser Scheiß Situation herauskam. Wie ich diesen Kerl loswurde. Von Mord und Indizien hatte ich eine Menge Ahnung und auch davon, wo die Grauzonen lagen. Dazu einen Haufen guter Anwälte in petto, die mich zur Not aus jeder brenzligen Situation raushauen würden. Na, das klang doch gleich vielversprechender, oder?
„Ian!", schallte mir mein Name, wohl nicht zum ersten Mal, entgegen und ich zuckte ertappt zusammen. Wieder zurück in der Realität blickte ich in die Runde, weil ich im Moment nicht zuordnen hätte können, wer mich tatsächlich gerufen hatte. Dafür war ich zu tief in meinen Mordphantasiechen verstrickt gewesen.
„Hmm ...?", machte ich also, während meine Gedanken sich wieder verselbstständigten wollten.
„Ich hatte gefragt, ob wir was bestellen wollen, oder ihr beiden mit zum Essen geht." Dabei huschte sein Blick zu Toni und dieser erwiderte ihn liebevoll.
Nein! Ich hatte genug. Ich brauchte es nicht auch noch, den beiden dabei zuzusehen, wie sie beim Essen über den Tisch hinweg miteinander flirteten. Sich tief in die Augen sahen, während sie Spagetti aßen, die aus einer einzigen langen Nudel bestand. Sich in der Mitte trafen, ihre Blicke verschmolzen und sie sich küssten, nur um anschließend darüber zu streiten, wer das letzte Fleischbällchen bekam. Gut, ich musste zugeben, ich sollte eindeutig weniger Disney Filme mit Ronja schauen, langsam gingen die Pferde mit mir durch. Da waren ja selbst meine Mordgedanken humaner gewesen. So auf dem Grund von seinem heißgeliebten Ozean würde er bestimmt toll aussehen. Oder doch lieber verfüttert an blutrünstige weiße Haie? Das würde auch dafür sorgen, dass die Leiche nicht einfach irgendwo angeschwemmt werden würde. Aber ich schweifte schon wieder ab ...
„Oh ja ...", fing Ronja an, doch ich fiel ihr gleich mal ins Wort. „Wir essen zu Hause", und bevor sie aufgehen konnte wie ein Hefeklöschen und meinen Plan zunichtemachte, setzte ich: „Außerdem müssen wir doch noch deine Mama anrufen", hinzu, was erstens stimmte und zweitens immer zog. Also verabschiedeten wir uns, oder besser gesagt Ronja, und verschwanden nach Hause. Dorthin, wo ich die beiden nicht mehr sehen konnte, und wo ein schönes Glas Whiskey auf mich wartet. Und das hatte ich mich redlich verdient. Immerhin lebte Sunnyboy noch und war sichtlich wohlauf.
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Sweet Easter
RomansaKleine Oster-Kurzgeschichte, die sich langsam zu etwas Längerem entwickelt ... Ein junger Anwalt mit Leib und Seele, kurz vor einer wahnsinnig wichtigen Beförderung, die er auf keinen Fall vergeigen darf, versinkt in Stress und Überstunden. Und als...