6. Ian (Ex- Mr. Daddy) - bei Pizza und Bier

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Irgendwo war es schon lustig, dabei zuzusehen, wie ihm der Gesichtsausdruck entgleiste. Ich hatte zuvor schon die Vermutung gehabt, dass er davon ausging, dass Ronja meine Tochter war und dass ich absolut keine Ahnung hatte, wie ich mit meinem eigenen Fleisch und Blut umgehen sollte. Aber das war eben nur die halbe Wahrheit.

„Ronja ist meine Nichte und Ella meine Schwester", wurde ich deutlicher, damit alle Unklarheiten beseitigt wurden. Nicht, dass er frei nach dem Alabama-Prinzip auf die Idee kam, ich hätte meine eigene Schwester geschwängert. Bei aller Liebe, niemals!!! Unser Verhältnis war die letzten Jahre nicht das Beste gewesen oder seit fünf Jahren eigentlich gar nicht mehr vorhanden. Man sah sich eben gezwungener Weise an den Feiertagen.

„Oh ...", machte er und wirkte immer noch verwirrt. Ich konnte richtig dabei zusehen, wie sich die Fragen in seinem Kopf überschlugen, und wie er das Gespräch, welches ich vorhin mit Ronja geführt hatte, noch mal im Geiste durchging. „Emmm ... ich hol' mal die Pizzas", murmelte er anschließend gedankenverloren, dann erhob er sich und lief hinüber zum Ofen, der immer noch lautstark nach Aufmerksamkeit verlangte.

Kurze Zeit später waren wir bewaffnet mit Teller und Besteck ins Wohnzimmer umgezogen und machten es uns erneut auf dem Sofa gemütlich. Grade beugte er sich über die Pizza, schnitt sie in gleich große Stücke und verteilte sie auf unsere Teller. Erneut knurrte mein Magen und ich merkte jetzt erst, dass ich tatsächlich hungrig war. Richtig hungrig. Der Stress der letzten Tage hatte definitiv für Appetitlosigkeit gesorgt. Zudem hatte ich auch schlicht keine Zeit zum Essen gefunden.

„Hier!", grinste er schelmisch und gleichzeitig schien sein ganzes Gesicht aufzuleuchten. „Bevor du mir gänzlich verhungerst. Wie soll ich dann bitteschön erklären, woher ich auf einmal ein Kind und eine Leiche habe?"

„Ach na ja, du könntest mich im Garten verbuddeln und warten, bis sprichwörtlich, Gras über die Sache wächst und was Ronja angeht, würde sie bestimmt behaupten, sie wäre dein Kind, solange du sie nur in diesem tollen Zimmer wohnen lässt. Und zusammen mit den Häschen, die noch nie zuvor so saftig grünes Gras zu fressen hatte, wie in den folgenden Jahren, lebt ihr glücklich bis an euer Lebensende."

„Witzig", erwiderte er, grinste aber dabei. Schelmisch und mit blitzenden Augen, dass ich nicht anders konnte, als zurück zu grinsen. Ich verstand immer mehr, warum Ronja sich zu ihm hingezogen fühlte. Irgendwie gab er einem ein schönes, unbeschwertes Gefühl.

Als die Pizza verdrückt war, und jeder von uns ein weiteres Bier in der Hand hielt. Setzte er sich im Schneidersitz mir gegenüber und fing mit einem nachdenklichen Ausdruck an, am Etikett seiner Flasche herumzuspielen.

„Was willst du wissen?", fragte ich direkt nach, nahm die gleiche Haltung an und setzte mich ihm ebenfalls gegenüber. Er blickte auf, begegnete meinem Blick und biss sich auf die Lippe. „Na, komm schon. Sprich dich aus", forderte ich abermals.

„Warum ist Ronja bei dir, wenn sie nur deine Nichte ist und du eigentlich Streit mit ihrer Mutter hast?", fragte er nach einer Weile. „Aber eigentlich geht es mich nichts an", setzte er gleich hinterher und schaute wieder hinab auf sein Bier.

Ich wusste, dass diese Frage kommen würde. Und eigentlich sprach ich da sehr ungern darüber, vor allem auch, weil es ein sehr schwarzes Kapitel in meinem Leben betraf. Dennoch überraschte es mich gleichzeitig, dass die Wut, die mich sonst bei diesem Thema überfiel, sich heute nicht unverzüglich zu Wort meldete. Vielleicht war ich tatsächlich einfach nur zu fertig? Oder, was viel schöner wäre, vielleicht fing es schlussendlich an, mich nicht mehr so zu treffen.

„Hmmm ... also Ronja ist bei mir, weil Ella, meine Schwester, sonst niemanden für sie hätte. Meine Mutter sitzt seit ein paar Jahren im Rollstuhl, sie hat schon, seit ich zurückdenken kann, Multiple Sklerose. Die letzten beiden Jahre ist es aber dann so schlimm geworden, dass sie ohne Rollstuhl nicht mehr zurechtkam. Seit dem letzten Jahr lebt sie in einem betreuten Wohnheim. Und Papa, der hat uns verlassen, da war ich noch in der Grundschule gewesen. So blieb nur noch ich, der die Kleine hatte nehmen können."

Sweet EasterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt