Ich vergötterte die Kleine. Wirklich! Aber an ihrem Timing mussten wir definitiv noch feilen!!!
Kaum hatte sich Ian erhoben, und ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass er mich küssen wollte, da ertönte ein Tapsen im Flur. Und keine Sekunde später, die gerade mal für einen gemurmelten Fluch gereicht hatte, bog ein kleines schlafloses Monsterchen mit Decke unterm Arm ins Wohnzimmer und rieb sich blinzelnd die Augen.
„Oh, Colin", machte sie überrascht und grinste verschlafen. „Weißt du was ... ich hab geträumt, dass wir mit Olaf Schlitten gefahren sind. Auf Sven. War lustig", gluckste sie und zuckte mit den Schultern. „Dann sind wir an einem Wasserfall vorbei gedüst und jetzt muss ich Pipi!", fügte sie immer noch kichernd hinzu. Und als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, schlurfte sie an mir vorbei Richtung Bad. Olaf unter dem anderen Arm geklemmt, der mir bis dato noch gar nicht aufgefallen war.
„Ich ...", flüsterte er rau und streckte die Hand nach mir aus. „Schon okay ...", fiel ich ihm seufzend ins Wort. „Ich bin dann mal weg. Gute Nacht." Streichelte Ian kurz und sehnsüchtig über den Oberarm und machte mich mit hängenden Schultern auf den Weg nach Hause.
„Oh ... wo gehst du hin?", ertönte es streng hinter mir. Ertappt, drehte ich mich zu dem Dreikäsehoch um. Immer noch völlig verschlafen, was vermuten ließ, dass sie mehr schlafwandelte, als richtig wach war, blickte sie mich mit zum Schmollmund verzogenen Lippen an. „Bleibst du bei mir?", setzte sie bittend hinzu und gleichzeitig geriet die Unterlippe ins Zittern. Wenn man Kinder kannte, wusste man, dass dies kein allzu gutes Zeichen war und durchaus gefährlich.
„Ich bleib' bei dir. Colin muss langsam auch ins Bett", versuchte Ian mich zu retten, der wohl durch unseren Stimmen angelockt, zu uns in den Flur getreten war. „Aber ... aber ... was, wenn Colin draußen was passiert. Es ist so dunkel", murmelte Ronja mit zitternder Stimme und ich war mir sicher, dass die Schleusen sich jeden Augenblick öffnen würden und uns ein Donnerwetter größeren Ausmaßes bevorstand.
„Wir können ja warten, und zu schauen, bis Colin drüben ist, damit ihm nichts passiert", versuchte es Ian mit Logik und schien wohl ganz automatisch die falsche Strategie gewählt zu haben, denn die Unterlippe bebte umso mehr. Dazu kam nun auch noch ein Kopfschütteln und gleichzeitig zog sie ihre Decke, samt Olaf nur noch fester an ihre Brust. „Draußen ist gruselig!", flüsterte Ronja und schüttelte nur noch vehementer den Kopf. „Colin muss hierbleiben. Er kann ja bei mir übernachten. Ich pass' auf ihn auf."Na, das war doch mal eine Ansage. Selbst Ian schien es die Sprache verschlagen zu haben. Aber mir ging es auch nicht wirklich besser. Zumal mir selbst partout nichts einfiel, was das Mädchen nicht noch mehr aufwühlen, stattdessen aber halbwegs zufriedenstellen würde.
„Was, wenn wir alle drei in meinem Bett schlafen würden? Es ist groß genug", war es Ian, der dieses langsam erdrückende und schwerwiegende Schweigen durchbrach.
„Wie bei einer Pyjamaparty?", wollte Ronja wissen und wie auf wundersame Weise, löste sich plötzlich die bebende Unterlippe gänzlich in Luft auf. „Ja", brummte Ian wenig überzeugt. „Wie bei einer Pyjamaparty ..."Und so landete ich zum zweiten Mal in seinem Bett, ohne ihn vorher auch nur einmal richtig geküsst zu haben. Den einen verzweifelten Kuss zählte ich einfach mal nicht. Kaum, dass ich lag, kuschelte sich schwer seufzend die Kleine an mich und ich konnte regelrecht vor mir sehen, wie Ian dabei mit den Augen rollte. Armer Ian, das war wohl heute echt nicht sein Tag ...
„Denkst du nicht, dass Onkel Ian traurig sein wird, wenn du nur mit mir kuschelst?", versuchte ich diplomatisch vorzugehen. Ich mein, auf einen Versuch kam es doch an. Doch leider mit wenig Erfolg.
„Er ist schon groß", bekam ich erbarmungslos an meine Brust gemurmelt.
„Auch wenn man groß ist, kann man traurig sein ...", flüsterte ich in die Stille und schloss die Augen.
„Na gut!", ertönte es resigniert, dann raschelte die Decke, der Zwerg rollte in die Mitte und nahm mich an die Hand. Dann raschelte es erneut und sie schien Ian ebenfalls an die Hand zu nehmen.
„Ich hab euch beide lieb", wisperte sie nach einer Weile versöhnlich in die Stille. Dann kehrte Ruhe ein und irgendwann schliefen die beiden ein. Nur ich lag hier im Dunkel und konnte nicht schlafen. Stattdessen überschlugen sich meine Gedanken, die Schatten krochen immer engen um mich herum und pflanzten Zweifel, die zuvor erst ausgelöscht worden waren.
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Sweet Easter
Roman d'amourKleine Oster-Kurzgeschichte, die sich langsam zu etwas Längerem entwickelt ... Ein junger Anwalt mit Leib und Seele, kurz vor einer wahnsinnig wichtigen Beförderung, die er auf keinen Fall vergeigen darf, versinkt in Stress und Überstunden. Und als...