17. Colin - Toni

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„Oh oh ...", ertönte es lang gedehnt neben mir. Ronja und Ian waren grade zur Tür raus und ich hatte sie hinter ihnen verschlossen.

„Was meinst du?", wollte ich unschuldig wissen und drehte mich langsam zu Toni um.
„Hab ich gestört? Bin ich da in was geplatzt?", beschoss er mich mit Fragen und kam mir dabei so nahe, dass sich unsere Nasenspitzen fast berührten. Unter der Intensität seines Blickes stolperte ich einen Schritt zurück und blieb mit dem Rücken an der Tür kleben. Aber mein liebstes Herzblatt zeigte keinerlei Erbarmen. Rückte auf, um mir erneut tief in die Augen zu sehen.

„Quatsch, du weißt, ich werde für immer und ewig nur dich lieben!", knurrte ich etwas atemlos, weil er mir auch noch nach all den Jahren, in Augenblicken wie diesen, immer und immer wieder den Atem raubte.
„Sicher?", säuselte er, und seine Iriden blitzen herausfordernd auf, während seine Finger sich ihren Weg meinen Oberkörper nach unten bahnten. Mein Atem stockte und mein Herzschlag setzte aus. Ich wusste, was er da trieb und doch gestaltete sich Denken gerade sehr schwierig. Doch statt erbarmen zu zeigen, rückte er noch ein Stück näher, überbrückte die fehlenden Millimeter und weiche Lippen landeten auf den meinen. So süß, so vertraut, so ... ich seufzte, meine Augen fielen zu und dieser kurze reizende Traum zerplatze. Denn kaum, die Augen geschlossen, war es nicht Toni vor meinem inneren Auge, sondern ein sehr mürrisch dreinschauender Ian. Und als hätte mein bester Freund die Stimmungsschwankung gespürt, ließ er augenblicklich von meinen Lippen, küsste mich ersatzweise noch einmal auf die Stirn, nur um mich im Anschluss am Handgelenk Richtung Wohnzimmer zu ziehen.

„Und jetzt will ich alles wissen? Wer ist dieser eifersüchtige Kerl, der dich mir gestohlen hat?", lachte Toni auf und plumpste aufs Sofa, mich natürlich mitziehend. Mehr holprig als elegant kam ich neben ihm zum Sitzen.
„Da ist nichts", brummte ich, entzog ihm meine Hand und verschränkte sie vor der Brust. Eigentlich wollte ich gar nicht über Ian reden und über das, was wir eben nicht hatten.
„Ah ja ... als du mir gestern mal wieder geschrieben hast und von Keks und Krümel erzählt hast, ist dir nicht in den Sinn gekommen, mir stattdessen von deinem neuen Loverboy plus Kind zu erzählen? Ich bin beleidigt", setzte er so breit grinsend hinzu, dass ich ihm kein Wort glaubte.
„Du hast mir bis dato noch nicht einmal zurückgeschrieben", murmelte ich etwas beleidigt und versuchte das Thema, zu wechseln. Aber da hatte ich die Rechnung ohne Toni gemacht.
„Da war ich schon am Flughafen und ich dachte, ich antworte dir live und in Farbe. Ist das nicht viel besser? Und jetzt komm, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, Herzchen."

***

Es war bereits nach elf, als ich Toni verabschiedet hatte. Bei einer Flasche Rotwein hatte ich ihm tatsächlich alles erzählt. Wonach er mir lächelnd gegenüber saß und verkündete, wie stolz er auf mich sei, dass ich ihn endlich losließ. Auch wenn da doch ein trauriger Ausdruck in seinen Augen schimmerte, der mein Herz etwas schwer werden ließ. Ein kleiner Teil in mir drin wollte einfach nicht loslassen. Ihn aufgeben. Uns aufgeben.

Doch wie sagte er immer so schön? ‚Ja, wir lieben uns. Aber Liebe allein ist manchmal nicht genug' und so war es wohl tatsächlich. Ich kannte Toni mein Leben lang und das Halbe davon waren wir zusammen gewesen. Bis vor zwei Jahren, als er ging, und mich zurückließ, um ein Leben ohne mich zu führen. Weit, weit weg. Eigentlich hatten wir davor schon aufgehört, ein Paar zu sein, wenn sich auch nichts zwischen uns verändert hatte. Aber wenn ich ehrlich zu mir war, so hatte sich auch nicht viel verändert, als wir ein Paar wurden. Dass wir wohl nicht genug für einander waren, entsprach wohl tatsächlich der traurigen Wahrheit.

„Geh rüber. Schnapp ihn dir!", hatte er noch gesagt, als er mich zum Abschied auf die Wange geküsst hatte. „Was kann schon schiefgehen? Immerhin bin ich immer noch dein Plan B. Versprochen ist versprochen. Wenn du bis vierzig immer noch unglücklich bist, heirate ich dich." Zwinkerte mir zu, verstrubbelte mir das Haar und seufzte. Dann hüpfte er die Stufen vor meiner Tür hinunter, hob die Hand zum Abschied und verschwand ohne sich nochmal nach mir umzudrehen in der Dunkelheit.

Ich hingegen stand immer noch in der Tür und blickte ihm nach. Fühlte das Ziehen in meiner Brust und war erleichtert und traurig zugleich. Er bedeutete mir so viel, dass es immer wieder aufs Neue weh tat, ihn gehen zu sehen. Und doch nicht weh genug, um ihn aufzuhalten. Vielleicht ließ ich tatsächlich los, wie er gesagt hatte. Aber war Ian der Richtige? Denn auch er war sichtlich nicht bereit, mir alles von sich zu geben. Genug zu sein. Aber ich sehnte mich danach. Endlich anzukommen. Keine Zurückhaltung. Keine Sparflamme. Ich wollte glücklich sein. Ich wollte lieben. Aus ganzem Herzen. Richtig. Und allen voran wollte ich, dass es erwidert wurde. Bedingungslos. Kein Drama. Kein hin und her. Kein Wechselspiel aus Nähe und Abstand.

Tief seufzend ließ ich meinen Blick wandern, weg von dem Punkt, an dem zuvor noch Toni mit der Dunkelheit verschmolzen war, hinüber zu Ians Haus. Es brannte immer noch Licht im untersten Stockwerk. Was er wohl trieb? Ob er grade auch an mich dachte? Denn, wenn ich mir auch noch am Vormittag einreden konnte, dass er vielleicht lediglich unter Stress litt, so war spätestens ab dem Nachmittag nicht zu leugnen, dass er eifersüchtig auf Toni war. So wie er da gesessen hatte, uns fast gänzlich ausblendend, mit einer Trauermiene auf dem Gesicht. Eigentlich sollte es mich freuen und doch tat es das nicht. War es den falsch, sich zu wünschen, dass er seine Gefühle aus freien Stücken zuließ? Statt durch verletzten Stolz und falschen Besitzansprüchen.

Sweet EasterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt