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„Deine Haussklavin macht jetzt nen Schuh?" ungläubig starrte Becca mich an und brach dann in schallendes Gelächter aus. Ihr Lachen war mehr als ansteckend und schließlich wieherten wir beide um die Wette, während ich mir die Seiten hielt um die pochenden Schmerzen zu unterdrücken. Immer noch vor sich hin glucksend füllte sie unsere Gläser mit dem köstlichen, lieblichen Weißwein wieder auf und stieß ihr Glas leise klingelnd an meines.
„Ich bin so stolz auf dich, meine Kleine, wirklich! Ich dachte schon um dich daraus zu bekommen, muss ich dem Loser persönlich eine überbraten, aber... Du hast es alleine hinbekommen! Heute Nacht pennst du bei mir und morgen holen wir erst mal deine Sachen! Ich hab das dumpfe Gefühl, dass dieser großmäulige Bastard ansonsten deinen Kram auf irgendeinem Flohmarkt verscheuert."
Hätte ich nicht schon so viel Alkohol intus gehabt, wäre ich vermutlich in Panik verfallen. Doch so war ich nur leicht beunruhigt. Meine Klamotten konnte ich leicht ersetzen. Ich war noch nie der materialistische Typ gewesen und hatte dementsprechend auch keinen Schmuck, der mir irgendwie am Herzen lag. Das einzige, was wirklich von Bedeutung für mich war, war mein Laptop. Dort waren meine wichtigen Schreibprogramme hinterlegt... inklusive der ersten Rohfassung der bis dato geschriebenen Kapital meines neuen Romans.
Nicht, dass das der einzige Speicherort gewesen wäre, aber ich mochte es nun mal nicht gerne, wenn jemand in meinen noch unkorrigierten gedanklichen Ergüssen herumstocherte. Die Erbsen waren selbstverständlich längst aufgetaut und durch einen Beutel TK-Möhren ersetzt worden. Becca hatte dabei scherzhaft gesagt: „Da gibt es dann morgen halt eine Minestrone."
Trotz ihrer Zuwendung hatte ich mittlerweile ein Veilchen im Gesicht, dass einem Boxer alle Ehre machen würde. Und auch mein Schlüsselbein sah nicht wirklich besser aus. Linus hatte mich mit seinen zwei Schlägen wirklich sehr gut erwischt, doch der Alkohol sorgte dafür, dass sich die Schmerzen im erträglichen Maß hielten. Zumindest bis Becca anfing, mich zum Lachen zu bringen. Mittlerweile waren wir bei unserer dritten Flasche angekommen und entschieden, in Richtung Bett zu torkeln, solange wir noch in der Lage dazu waren. Da ich sowieso eigentlich ein Nacktschläfer war und nur Nachthemden trug, wenn ich außerhalb übernachtete, war der nicht vorhandene Pyjama kein Problem und nach einer kurzen Katzenwäsche fiel ich einfach um und dann war da nichts als Dunkelheit.

Der Kater am nächsten Morgen war die Hölle! Wir beide saßen wie ein Häufchen Elend am Küchentisch, den Kopf in den Händen vergraben und jede von uns hatte ein Glas Wasser und zwei Aspirin vor sich. Danach brauchte es noch fünf Tassen Kaffee beim Becca und zwei Tassen schwarzen Tee bei mir um halbwegs brauchbar zu sein und den Tag zu starten. Beccs hatte in ihrer Anwaltskanzlei angerufen und sich für den heutigen Tag Urlaub genommen. Ihr Boss war relativ unentspannt gewesen, da sie morgen auf Geschäftsreise musste und heute noch einiges an Kram hätte erledigen sollen, doch schließlich erweichte ihn das Wort Familienproblem unter der Bedingung, dass sie morgen zwei Stunden früher aufschlug.
Genervt schüttelte meine Freundin den Kopf und sagte - selbstverständlich nachdem sie aufgelegt hatte (aus Schaden wurde man schließlich klug!): „Ganz ehrlich, dieser faule Sack soll sich nicht so aufregen... Es ist alles akribisch vorbereitet. Die Reise ist durch getaktet bis zum geht nicht mehr, selbst die Spesenabrechnung habe ich schon vorbereitet. Was soll ich denn noch machen ... seinen Koffer packen?" Doch als sie sich zu mir um drehte, strahlte sie wieder übers ganze Gesicht. Die Frau hatte mehr Stimmungsschwankungen als der April Wetterwechsel aufwies. „So, Liebes...wie sieht's aus? Sollen wir?" Ich hatte nicht wirklich Bock zurückzugehen! Aber ich musste mein Laptop retten und zwar dringend! Denn ich kannte Linus und wusste, dass der Kerl ein ausgesprochen rachsüchtiges Temperament hatte. Becca schob sich ihre Gucci Sonnenbrille auf die Nase - ihr absolutes Lieblingsteil, sie hat es sich von ihrem ersten Gehalt selbst geschenkt und schubste mich in Richtung ihres Jeeps. Wenn man sich Becc so ansah, würde man sie eher in einem schicken BMW oder Ferrari vermuten, aber mit Sicherheit nicht in einem uralten, abgewetzten Jeep, der schon locker seine 20 Jahre auf dem Buckel hatte. Das Auto hat ihrem Vater gehört und sie liebte es abgöttisch.
Fluchte ständig in einer Tour, dass die Instandhaltungskosten ihr die Haare vom Kopf frassen, dazu kam noch dass eine Tankladung etwas ein halbes Monatsgehalt kostete, aber was sollte sie machen... Papis Baby verschrotten? Lieber würde sie sich ein Arm abhaken oder ihre geliebte Gucci Sonnenbrille zerstampfen!
Im Gegensatz zu mir hatte Becca eine ausgesprochen abenteuerliche Fahrweise. Mit anderen Worten, sie bretterte was das Zeug hält und wer nicht bei drei auf einem Baum saß der wurde halt zur Kühlerfigur. Wenn man ein Auto fuhr, das im Prinzip ein Straßenpanzer war konnte man sich sowas leisten, fand sie. Da wir praktisch unterm Radar flogen, brauchten wir zu Linus Wohnung nur drei Minuten. Ein Blick in die Auffahrt bestätigte, dass Linus nicht da war. Na, was für ein Glück! Diese Pisskröte wollte ich echt nicht wieder sehen, doch kurz danach war die Erleichterung auch schon vorbei und abgrundtiefe Wut breitete sich in mir aus. Dieser kleinkarierte Mistkerl hatte doch tatsächlich meine gesamten Klamotten aus dem Haus geworfen und diese stapelten sich nun auf der Wiese. Becca verdrehte die Augen und schnaubte: „Ganz ehrlich... Was anderes hab ich diesem Idioten auch nicht zugetraut. Gott bewahre, dass er sich mal wie ein erwachsener Mensch benimmt." Ich seufzte und nickte. Dann stiegen wir aus und machten uns daran, die willkürlich in geworfenen Klamotten auf die Laderampe von Beccas Auto zu packen. Mein Laptop hatte die Nacht im Freien nicht ganz unbeschadet überstanden. Wobei das ziemlich untertrieben war. Das Ding war Schrott! Vermutlich hat Linus extra noch einmal die Sprinkleranlage angestellt um ganz sicher zu gehen, dass mein kostbares Baby tatsächlich nicht mehr zu retten war. Als ich es hoch hob, kam mir ein knapper Eimer Wasser entgegen. Meine Freundin zog scharf die Luft ein und sagte: „Oh, Fuck... Das sieht man nicht gut aus! Meinst du, das noch was zu retten?" Ich verdrehte die Augen und knurrte: „Ich gehe mal schwer davon aus, dass nicht! Zum Glück habe ich meine geschriebenen Kapitel auch in meiner Cloud gespeichert. Also würde es genügen, wenn ich mir einen neuen Laptop kaufen."
Beccs fauchte wie eine Katze, der man gerade auf den Schwanz getreten hatte.
„DU kaufst dir mit Sicherheit keinen neuen Laptop! Das kann dieser Volldepp schön erledigen! Immerhin hat er den nach draußen auf die Wiese geworfen..." Ich nickte nur abwesend und schob den Laptop behutsam zwischen meine Klamotten. Ich würde ihn trockenlegen und dann einmal versuchen zu starten. Aber der gesunde Menschenverstand brüllte bereits lautstark und verlangte nach Anhörung als er mir mitteilte, dass dieses Ding tatsächlich für die Tonne war. Sicher... ich könnte Linus darauf verklagen, aber was brachte das schon. Das würden wieder Gerichtskosten geben, plus anwaltliche Hinhaltetaktik, um die Kosten zu erhöhen. Das war es mir einfach nicht wert. Ich würde selbst einen neuen kaufen und endlich nach vorne schauen.
Als wir wieder bei Becca waren, stopfte ich die erste Ladung Wäsche in die Maschine und legte den Laptop mit der geöffneten Seite nach unten auf ein dickes Handtuch. Becca wuselte derweil herum und packte ihren Koffer für die anstehende zweiwöchige Geschäftsreise. Sie hatte mir natürlich angeboten, bei ihr zu wohnen, was ich auch dankend angenommen hatte. Während ich ihren Tetris Einpackspiel voller Bewunderung zusah - wenn ich wegfuhr, warf ich für gewöhnlich alles in meinen Seesack und setzte mich dann drauf, bis das Ding zuging, - goss ich ihr einen Eistee ein und begab mich dann in die Küche um die Minestrone aus dem aufgetauten Gemüse des Vorabends zu kochen.
Gerade als ich den Parmesan rieb, klingelte mein Handy. Mit einer Hand balancierte ich die antike Parmesanreibe und angelte mit der anderen nach dem Telefon, wodurch ich vergaß auf das Display zu achten. Dummer Fehler.
„Ja, hier ist Juna...." Leicht abgelenkt durch die schwere Holzreibe, die mir beinahe auf den Fuß krachte, da mein Griff sich als zu locker erwies, geriet ich durch die Stimme am anderen Ende der Strippe in einen leichten Schockzustand.
„June... meine Kleine!!!! Hab ich doch noch die richtige Nummer gehabt!!" „...MOM?"
„Ja doch, Liebes!!!" Meine Mutter lachte fröhlich auf, als hätten wir uns vor ein paar Stunden das letzte Mal gesehen und nicht vor sechs verdammten Jahren!!!!
„Mom... Nimm's mir nicht übel, aber warum rufst du mich an? Nach all der Zeit? Ist irgendetwas passiert? Bist du krank?"
„Wie kommst du denn auf so etwas? Nein, Baby... mir gehts gut!!! Wunderbar sogar!! Ich hab neu geheiratet... vor fünf Wochen... ich hatte angerufen, aber dein Freund sagte, du würdest gerade keine Zeit für mich haben, weil du an deinem Buch schreiben würdest. So war es jedesmal die letzten vier Jahre, wenn ich versucht habe, mich bei dir zu melden..."
Ich erstarrte...
BITTE WAS?!???
Rasch wuchtete ich die Parmesanreibe auf die Arbeitsfläche und drehte das Gas auf klein, damit die Suppe weiter vor sich hin köcheln konnte und setzte mich dann auf den Boden, weil meine Knie auf einmal verdammt wackelig wurden.
Ich atmete zittrig ein und sagte dann heiser: „Warte mal, Mom... du hast versucht mich zu erreichen? Ich versteh nicht... Linus hat nie was gesagt...." Ein kurzes Schweigen, dann antwortete meine Mutter verwirrt: „Wieso... aber... er meinte, er würde... ich dachte, du wolltest keinen Kontakt, nachdem ich damals mit Glenn wegging... .... Ich hab alle paar Wochen angerufen, weil ich hoffte... ich wollte mich entschuldigen... ich... hatte gehofft..."
Die Stimme meiner Mutter wurde leise und ich konnte die Tränen förmlich hören, die jetzt über ihre Wangen liefen. Ich räusperte mich und fragte leise: „Was war in den Jahren, bevor mein dämlicher Ex mich am Telefon verleugnet hat? Warum hast du dich da nicht gemeldet?"
Die Stimme meiner Mama klang belegt, als sie leise sagte: „Nachdem Glenn mich betrogen hatte, griff ich zum Alkohol... Ich war sehr krank und musste in eine Klinik zwangseingewiesen werden. Ich bin jetzt seit vier Jahren trocken und seitdem versuche ich, dich zu erreichen. Ich möchte dich unbedingt wiedersehen, meine Kleine. Bitte... komm mich doch besuchen! Dann kannst du Jason kennen lernen. Ich hab ihm soviel von dir erzählt, dass er es gar nicht abwarten kann... und vielleicht können wir zwei uns aussprechen und eventuell neu anfangen?" Mittlerweile hatte ich das Gespräch auf den Lautsprecher gelegt, da Becca dazu gestoßen war und sie nun mit Tränen in Augen zuhörte. Sie schnappte sich Zettel und Stift und kritzelt rasch etwas hin. Dann hat sie mir das Blatt unter die Nase und ich musste lächeln. Dort stand: „Sei nicht so nachtragend. Anscheinend ist deine Mom auch nur ein Mensch... Und du vermisst sie! Nutze doch jetzt die Zeit und fahr hin. Ich bin nicht hier und so hättest du dann Gesellschaft!"
Beccs war ein Schnellschreiber. Und wie meistens hatte sie recht...
„Weißt du was, Mama? Ich habe sowieso im Moment eine Schreibblockade... Ich hab jetzt Zeit... Wenn du möchtest... Du musst mir nur die Adresse geben und ich könnte dann morgen losfahren."
Meine Freundin nickte zufrieden, als der Mutters Freudenschrei durchs Handy schallte. Ohne ein weiters Wort hielt Becca mir Zettel und Stift hin, damit ich die Adresse aufschreiben konnte, die Mama mir durchs Telefon zu brüllte.

Meine vier Stiefbrüder und ichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt