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ALEX

Als ich an diesem Morgen aufwachte, hatte ich ein Lächeln auf dem Gesicht. Das geschah in letzter Zeit immer häufiger, stellte ich belustigt fest und stand auf. Während ich duschte, bemerkte ich, dass das Lächeln immer noch da war... Mir war völlig klar, dass die gute Laune mit dem niedlichen kleinen Rotschopf zu tun hatte, der seit einigen Tagen unser Haus unsicher machte. Eine seltsame Zärtlichkeit durchflutete mich, während ich an Juna dachte. Verdammt... Ich fürchtete, dass Luke recht hatte. Mich hatte es übel erwischt. Ich beschloss dem kleinen Quälgeist eine Freude zu machen und bei Miss P ihre weltberühmten Schokowaffeln zu besorgen. Das Haus war noch ruhig... tatsächlich wachte ich jeden Tag vor allen anderen auf. In der Kaserne oder je nachdem, wo ich gerade stationiert war, war frühes Aufstehen an der Tagesordnung. Und es empfahl sich einfach nicht, die innere Uhr nur für zwei Wochen Urlaub wieder umzustellen. Fröhlich vor mich hin pfeifend verließ ich das Haus und schwang mich in meinen Jeep. Als ich die Sonnenblende runterklappte um an meinen Schlüssel zu kommen, erstickte ich beinah in einer Wolke von silbernen Glitzerstaub. Er verfing sich in meinem noch feuchten Haar und blieb selbst an meinen Wimpern hängen. Für einige Sekunden war ich völlig perplex, dann brach ich in schallendes Gelächter aus... Dieses kleine Luder! Hatte sie also doch noch nicht aufgegeben! Leise vor mich hin kichernd kehrte ich ins Haus zurück, um mir den Glitzer wieder vom Körper zu spülen. Auf dem Weg nach oben rannte ich fast in Luke hinein. In seinem Gesicht und auf seinen Händen bildeten rote und schwarze verblasste Farbreste ein einzigartiges Camouflage Muster. Wir sahen uns an und lachten noch lauter als vorher.
„Anscheinend ist unsere Kleine doch noch nicht mit uns fertig," sagte Luke und streckte seine Hand aus, um mir etwas Glitzer von der Schulter zu wischen. In dem Moment kamen Jason und Alice die Treppe hinunter. Junas Mutter blieb wie erstarrt stehen und starrte  uns beide fassungslos an. Dad hob überrascht die Augenbrauen und räusperte sich.
„Kann es sein, dass ihr beiden bei irgendwas Hilfe benötigt?" fragte er, während er seine Frau an uns vorbei schob. Während Alice eindeutig perplex war konnte ich sehen, dass unser Vater das Ganze ziemlich komisch fand, denn er unterdrückte nur mit Mühe ein breites Grinsen. Luke und ich zuckte mit den Achseln und folgten ihnen in die Küche.

„Also?" Mit hoch erhobenen Augenbrauen drehte sich Alice zu uns um und stellte jeweils eine dampfende Tasse Kaffee vor uns hin. Betont unschuldig schlenderte ich zur Spüle, schüttelte dort meine Haare aus und stäubte den schwarzen Marmor mit silbernen Funken ein. Luke zog sich aus der Affäre, in dem er viel zu hastig den kochend heißem Kaffee hinunterstürzte und sich erst mal ordentlich die Schnüss verbrannte. Er nuschelte sich irgendwas in den Bart und schubste mich vom Spülbecken weg um seine verbrannte Zunge unter das kalte Wasser zu stecken. „Alex? Komm schon! Als hätten wir den Selbstbräuner ‚Unfall' von Malik nicht mitbekommen... Was ist Sache? War das meine Tochter?" Ich seufzte leise und nickte schließlich. Alice fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und sagte genervt: „Aaaach, das kann doch nicht wahr sein... Ich meine, wie alt ist sie denn bitte schön? Diese Streiche sind Kindergarten-Mist! Ich werde mit ihr reden! Das muss aufhören..."
„Nein!" riefen Luke und ich gleichzeitig und Jason betrachtete uns fragend. Alice schüttelte schockiert den Kopf und fragte:
„Was meint ihr mit ‚nein'?Ich hab sie hergebeten, damit wir zu einer Familie zusammenfinden. Diese dummen Streiche, die stören doch nur den Frieden..."
Ich atmete tief ein, legte meine Hände flach auf die Arbeitsplatte und sagte schließlich:
„Du wirst gar nichts machen! Um genau zu sein, werdet ihr beide so tun, als würdet ihr davon nichts mitbekommen! Glaub mir, alles, was sie tut, haben wir verdient! Wir haben Juna die Highschool-Zeit zur Hölle gemacht und ich meine das buchstäblich ... Deine Tochter hat sehr unter uns gelitten und sie hat alles Recht der Welt, ein bisschen Payback-Time zu bekommen. Sie hat bislang niemanden tätlich angegriffen oder Sachschäden verursacht... Sie möchte sich einfach nur einmal auf der Siegerseite sehen. Und das wirst du ihr nicht nehmen, indem du mit ihr darüber redest und sie eventuell sogar wegschickst."
„Alex hat recht," sagte mein Bruder und lehnte sich gegen die Spüle. „Wir waren wirklich bösartige Vollidioten. Und wir nehmen ihr es nicht übel, was sie gerade mit uns veranstaltet. Also bitte... haltet euch da raus."
Alice Blick wurde traurig und mein Vater schlang die Arme um sie. „Wie schlimm war es?" flüsterte sie und sah unglücklich zu mir auf.
Ich presste die Lippen fest zusammen und es war Luke, der antworten musste.
„Es war schlimm! Glaub mir, du möchtest keine Details wissen... Deine Tochter ist im Moment völlig im Recht. Nimm ihr das nicht... bitte!?"
Schließlich nickte Alice und nippte an ihrem Kaffee.
„Na schön," sagte sie und mein Vater sah uns beide anerkennend an „Ich bin stolz auf euch, dass ihr eure Fehler nun einseht. Vielleicht wäre ein Gespräch zwischen euch allen eine sinnvolle Sache... Denn drei von euch bekommen Juna als Stiefschwester und du," damit wandte er sich an mich, „du, Alex willst ja anscheinend mehr als simple schwesterliche Zuneigung."
Ich lächelte versonnen und nickte langsam. Luke lachte leise und meinte: „Zuneigung? Kommt schon, das sieht doch ein Blinder mit Krückstock! Unser Soldat, der goldene Junge der Familie, ist Hals über Kopf in den kleinen Rotschopf verliebt. Versuchs gar nicht mehr so leugnen..."
Ich verdrehte die Augen und murmelte: „Hatte ich nicht vor!" Dann stellte ich meine leere Kaffeetasse in die Spülmaschine und ging zurück auf mein Zimmer um den verbliebenen Glitzer zu entfernen. Luke hüpfte hinter mir her und fragte grinsend: „Was meinst du, sollen wir das kleine Teufelchen konfrontieren?" „Kann nicht schaden," sagte ich lachend und verschwand in meinem Bad um zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde zu duschen.

....

Es war ein recht ruhiger Tag gewesen... Ich hatte mit ein paar Armee Kumpels telefoniert und mich dann in ein Buch vertieft, dass ich bereits seit Monaten hatte lesen wollen. Und mir nichts, dir nichts war der Tag vorbei. Alice und Dad waren bereits seit einer Stunde wieder zu Hause und werkelten in der Küche, als Leander in mein Zimmer platzte.
„Alex, so langsam geht mir die Kleine echt auf die Nerven! Es ist ja nicht nur der Glitzer und die Farbe in den Seifenspendern gewesen... Unser Geschäftskunde hat sich scheckig gelacht, als ich mit silbrig funkelndem Haar und rot-schwarzen Händen beim Meeting aufgetaucht bin. Unser Prinzesschen hat mir pinke Farbe in die Scheibenwischanlage gefüllt! Ich musste mein armes Auto in die Waschstraße fahren... Das ist eine gottverdammter Schande, was sie meinen Wagen antut... Ich weiß, wir haben gesagt, dass wir es einfach über uns ergehen lassen ... Aber verdammt, sie soll die Pfoten von meinem Auto lassen!"
Ich seufzte und verdrehte die Augen.
„Komm mal wieder runter! Muss ich dich echt an den ganzen Scheiß erinnern, den du mit der Kleinen abgezogen hast? Hat dein Gedächtnis in den letzten Jahren so sehr gelitten? Nein? Dann halt die Klappe und ertrage es einfach. So wie jeder andere von uns auch! Juna wird sich schon wieder einkriegen und dann werden wir uns alle mal zusammensetzen um den ganzen Scheiß aufzuarbeiten, der passiert ist."
Leander knurrte, riß die Tür auf und machte einen Filmreifen Abgang. Ich seufzte erneut und schlug das Buch zu. Die Konzentration war futsch, ich war aus der Bücher Welt wieder aufgetaucht und hatte irgendwie kein Nerv mehr, mich da wieder hineinzulesen.
Also räckelte ich mich einmal genüsslich und schlenderte dann nach unten um zu sehen, ob ich den beiden Hobbyköchen bei der Zubereitung des Abendessens helfen konnte. Unten angekommen sah ich, dass die Terrassentür offen war und beeilte mich, sie zuschließen. Das ganze Viehzeug wollte ich nun wirklich nicht Bude haben. Doch ich vergaß die offene Tür sehr schnell, als ich beinah über eine Gestalt stolperte, die reglos auf dem Boden lag.
„Juni? Hey, Kleines... wach auf, Baby..." Sie auf die Arme zu nehmen und mich mit ihr auf Sofa zu setzen war eins... zärtlich streichelte ich über ihr rotes Gesicht auf dem kalter Schweiß glänzte. „Scheiße," murmelte ich, dann drehte ich den Kopf und brüllte: „DAAAAD!!! WOHNZIMMER!! SCHNELL!!!"
Es war halt schon praktisch, einen Arzt als Vater zu haben. Er hatte mich schon oft zusammengeflickt und ich zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass er meinem geliebten Mädchen helfen konnte.
„Alex?" Dad kam rasch zu mir an die Couch und begann sofort Juni zu untersuchen.
„Erhöhte Körpertemperatur, kalter Schweiß, rote Haut... weißt du, wie lange sie im Garten war? Hat sie eine Pause gemacht, sich abgekühlt... verdammt, hat sie überhaupt was getrunken?"
Ich schüttelte verzweifelt den Kopf. „Keine Ahnung! Fuck! Juni? Baby? Bitte wach doch auf, mein Schatz!!!" Angst durchflutete mich - mir war schon klar, dass sie sehr wahrscheinlich bald wieder aufwachen würde, aber in diesem Moment konnte ich nicht rational denken. Unwillkürlich presste ich sie fester an mich, bis mein Vater sie mir regelrecht aus dem Arm riss und sie behutsam auf dem kühlen Fußboden legte. Alice kam mit in kaltem Wasser angefeuchteten Handtüchern herbei und zog ihrer Tochter rasch das Shirt aus. Dann umwickelte sie mein Mädchen mit den nassen Tüchern, um ihre Temperatur herunterzukühlen. Ich sprang auf, stürmte in die Küche und holte zwei Flaschen Wasser aus der Speisekammer. In null Komma nichts kniete ich wieder neben Junis Kopf und streichelte zärtlich über ihre rot-blonden Locken.
„Was hat sie denn?" fragte ich einer Panik nahe. Verdammt, keine Sondermission hatte mir je soviel Angst eingejagt, wie Juni bewusstlos vor mir liegen zu sehen.
Dad hob den Kopf und sagte ruhig: „Ich tippte auf Hitzschlag in Kombination mit Dehydrierung. Mach dir keine Sorgen... Juna wird schon wieder."
Und als wollte sie meinem Vater Recht geben, flatterten ihre Wimpern und mein süßes, geliebtes Mädchen öffnete ihre wunderschönen blauen Augen wieder und sah sich desorientiert um...

Meine vier Stiefbrüder und ichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt