-21-

2.7K 101 3
                                    

Ich hatte tatsächlich fast eine Stunde gebraucht um mich wieder soweit zu fangen, dass ich meiner Familie in die Augen sehen konnte. Meiner Familie... Verdammt... hatten sie mich echt schon soweit? Dankenswerterweise hatte keine von ihnen den heißen Kuss zwischen mir und Alex kommentiert - was vermutlich nur daran lag, dass Leander nicht im Raum gewesen war als es passierte. Er hätte seine Klappe mit garantierter Sicherheit nicht halten können!
Luke hatte fast die ganze Stunde mit mir in der Küche verbracht und mit Argusaugen darüber gewacht, dass ich keinen Messer mehr zu nahe kam. Jedes Mal, wenn ich auch nur meine Hand in Richtung eines Hümmelchens ausstreckte, knurrte er wie ein gereizter Wolf und schob mich äußerst bestimmt zur Seite um dann die Schneidetätigkeiten selbst zu übernehmen. Das eine, was mir den Abend mir jedoch endgültig versaute, war das Auftauchen der Quietschkugel, die mich auch sofort mit wütenden Blicken bombardierte. Luke sah seinen kleinen Bruder genervt an, schüttelte augenverdrehend den Kopf und wandte sich dann an Tessa, während er das Messer ins Schneidebrett rammte. „Du benimmst dich," sagte er scharf und funkelte sie warnend an. Quietschi warf die langen Haare über die Schulter und lächelte zuckersüß. Sie streichelte besitzergreifend über Maliks Arm und flötete: „Ich bin brav, solange sie sich zusammenreißen kann!"
Großer Gott, was ging mir diese nervige Gans auf den Zeiger. Ich lehnte mich gegen die Spüle und verschränkte die Arme vor der Brust. Du willst einen Bitch Fight? Kein Problem, Schneckchen... den kannst du haben!
„Weißt du, du hast wirklich unglaubliches Glück...," sagte ich, während ich hoch interessiert meine Fingernägel begutachtete. Und natürlich sprang die kleine Nervenkuh auch direkt drauf an.
„Womit habe ich Glück?" höhnte sie und schubberte sich noch enger an Malik. Ich hob den Blick, lächelte engelsgleich und sagte dann so ernst wie nur möglich: „Na damit, dass Malik Tierarzt wird. Da hast du doofe Kuh es nicht weit zu Behandlung, sondern der Onkel Doktor kann deine Maul und Klauen Seuche direkt beim Hausbesuch kurieren!"
Der Quietschkugel klappte der Unterkiefer runter und sie wurde weiß vor Wut.
„Wa.. wie... du..."
Ich schürzte besorgt die Lippen und legte den Kopf schief.
„Oh weih, Sprachstörungen? Da musst du dringendst den Tierarzt neben dir fragen, was das für ein Symptom sein könnte. Ich bring mal den Salat nach draußen! Man sieht sich..."
Ich klemmte mir die Schüssel unter den Arm und ging nach draußen in den Garten-Park. Hinter mir in der Küche setzte sich Luke auf den Boden, während ihm die Lachtränen übers Gesicht liefen. Na, zumindest er teilte meinen Sinn für Humor!
„Schatz, du sollst doch deinen Arm nicht belasten," rief meine Mutter und eilte herbei um mir die volle Schüssel abzunehmen.
Sofort ruckte Alex' Kopf hoch und seine braunen Augen tasteten besorgt über mich, als wolle er sichergehen, dass ich mich nicht noch weiter verletzt hatte.
Ich ging jede Wette ein, dass er ins nächste Krankenhaus brettern würde, um einen Rollstuhl zu klauen, sollte ich einen benötigen.
Ich verdrehte die Augen und sagte: „Mama, beruhigt dich mal wieder! Das war nur ein Schnitt in die Hand. Jetzt, wo ich kein Blut mehr sehe, ist alles in Ordnung! Also... kann ich noch irgendetwas helfen?"
Mit einem breiten Grinsen rückte Leander an mich heran, legte mir ein Arm um die Schulter und dirigierte mich zu der großen Sitzecke. „Nicht doch, Schwesterchen! Pflanzt deinen Hintern hierher und genieße es, bedient zu werden. Du bist doch jetzt unser kleines Prinzesschen!!!"
Ich sollte wirklich ganz dringend Becca anrufen... Vielleicht könnte sie mir sagen, inwiefern es Selbstverteidigung wäre, diese verdammte Nervensäge in dem nächsten Gartenteich zu ertränken...
Ein großer Sonnenschirm, der schräg gestellt die abendliche Sonne abhielt, verdeckte den Rest des Gartens, so dass mir nichts anderes übrig blieb als den Hansonschen Familien Wahnsinn zu beobachten, anstatt mich an der atemberaubenden Bepflanzung zu erfreuen.
Mittlerweile beugten sich drei Männer über den riesigen BBQ Grill und führten eine lautstarke und ausgesprochen fachliche Diskussion mit Händen und Füßen über die Garstufen der Schweinekoteletts vor ihnen. Meine Mutter hörte sich das ganze genau 14,3 Sekunden an, dann gab sie auf und gesellte sich kopfschüttelnd zu mir.
„Das kann dauern," murmelte sie und streckte genüsslich die Beine aus. Seufzend kuschelte ich mich an sie und schloss die Augen. Das leise Rauschen des Windes in den Blättern der großen Bäume, dass Summen der Bienen und die tiefen Stimmen der Männer lullte mich langsam in einen Dämmerzustand.
Meine Mama fuhr mir sanft durch die Haare und irgendwann stupste mich jemand behutsam an. „Hm?" Leise maulend öffnete ich ein Auge um meinen Unmut über das Aufwecken kundzutun und sah in Lukes belustigt funkelnde blaue Augen. „Abendessen, Prinzessin," johlte Leander vom anderen Ende des Tisches. Irgendwie musste ich der Nervbacke diesen Spitznamen austreiben!
Jason legte mir ein sagenhaft gut riechendes Kotelett auf den Teller und Alex schob die Kräuterbutter in meine Richtung.
Rasch kehrte gefräßige Stille ein. Wer auch immer sich mit den Garstufen beim Fleisch durchgesetzt hatte, hatte einen Volltreffer gelandet! Es war göttlich... perfekt gewürzt, butterzart und mega saftig... Fasziniert beobachtete ich, wie die Hanson Männer versuchten ihr eigenes Körpergewicht in Fleisch zu verzehren - von nichts kam wohl nichts und diese ganzen Muskeln benötigten halt Unmengen an Protein. „Juni, der Salat ist traumhaft! Kannst du mir das Rezept überlassen?" Ich grinste während Mama sich zum dritten Mal auftat und nickte. Als Tessa mitbekam, dass der Kartoffelsalat den sie sich bereits den halben Abend reinschaufelte von mir war, schob sie ihren Teller zur Seite und knabberte stattdessen an einem Stück Knoblauchbrot. Ich schnaubte amüsiert und fing Luke's Blick auf. Auch er musste sich mit aller Macht ein Grinsen verkneifen und wackelte nur frech mit den Augenbrauen. Ok... ich gab auf... ich mochte diesen Teil des Zwillingsduos... Mist! Wie hatte er das nur hinbekommen?
Die Sonne war mittlerweile untergegangen und Jason stand auf um den Sonnenschirm zusammenzufalten.
Und ich erstarrte...
Hinter dem Schirm kam ein riesiger Rosenbusch zum Vorschein. Faustgroße orangene Rosen mit rotem Blütenrand erfüllten die Luft mit ihrem kräftigen Duft und meine Mutter lehnte ihren Kopf gegen meine Schulter. „Diesen Busch hab ich damals für dich gepflanzt... ich weiß doch, dass es deine Lieblingsblumen sind!"
Waren!
Es waren einmal meine Lieblingsblumen...



„Ich bekomm garantiert keine Rose!" sagte ich zu Jane, meine sporadische On/Off Freundin. Seit die Hansons mich zu Freiwild erklärt hatten, war das mit Freundschaften so eine Sache. Einerseits vertraute ich nach Maliks Verrat nur noch schwer anderen Menschen, anderseits lief jeder der sich mit mir anfreundete in Gefahr ebenfalls auf der allgemeinen Abschussliste zu landen. Stirnrunzelnd stopfte Jane ihre Stifte in die Umhängetasche und fragte: „Wieso nicht? Es ist Valentinstag. Da bekommt doch jedes Mädchen eine Rose!"
Das war tatsächlich Tradition an unserer Highschool. Jede Schülerin bekam an diesem Tag eine Blume, damit keine sich zurückgesetzt fühlte ...und kaum hatte ich es gedacht kam auch schon der Blumendienst um die Ecke. In diesem Jahr waren es Malik und drei seiner besten Freunde. Grinsend überreichte einer von ihnen namens Michael der nervös kichernden Jane eine rote Rose und warf mir einen abfälligen Blick zu.
„Deine Blumen sind am Schließfach... da scheint wohl jemand einen Verehrer zu haben.."
Janes Augen leuchteten auf, sie packte meine Hand und zog mich aufgeregt hinter sich her. „Siehst du? Ich hab doch gesagt, dass du Blumen bekommst!" quietschte sie und schubste mich die letzten Meter förmlich zu meinem Fach. Eine einzelne orange farbene Rose mit roten Blütenrändern - meine absoluten Lieblinge- war an der Spinttür befestigt. Am Stiel hing ein kleiner Zettel, drauf stand in geschwungener Schrift: ‚Öffne mich!' Ich strahlte... ich meine, hallo?... Ich war fünfzehn und trotz allem tief in meinem Innern eine versteckte Romantikerin. Und leider ein dämlicher Vollidiot, denn mit einem grenzdebilen Lächeln öffnete ich natürlich die Spinttür und....
... eine Mischung aus Rosenblüten, Schlamm und Abfall ergoss sich über mir.
Die umstehenden Schüler brachen prompt in schallendes Gelächter aus und überall der Häme klang Leanders Stimme durch mein Schluchzen. „Frohen Valentinstag, kleine Müllprinzessin!" ...


Mühsam schüttelte ich die Erinnerung ab.
An diesem Tag war ich durch den Regen nach Hause gerannt. Ich hatte fast 2 Stunden gebraucht und selbstverständlich mir dadurch die Urmutter der Lungenentzündungen eingefangen.
Wut spülte die friedlichen Familiengefühle fort.. und ich erinnerte mich wieder an meine Mission. Den Hanson Brüdern etwas ihrer eigenen Medizin zu kosten geben! Na wartet, ihr vier... dachtet ihr tatsächlich, ich wäre schon fertig mit euch?

Meine vier Stiefbrüder und ichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt