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„Au, au, auuuu..." jammernd hüpfte Becca auf einem Bein durch Wohnzimmer und hielt sich die schmerzende Zehe, die gerade unglücklich mit einem Bücherschrank zusammen gestoßen war. Ich weiß, ich hätte Mitleid zeigen sollen... Aber das Bild war einfach zu urkomisch. Der enge Bleistift Rock rutschte immer höher und höher und ihre sorgfältige Frisur löste sich in Wohlgefallen auf.
„Boah, ey, Juna! Hör auf dir einen abzuwiehern und hilf mir lieber!" „Hey, mecker mich nicht an! Du hast gestern deine Schuhe durch die Gegend geworfen und musst die Treter jetzt auf die letzte Minute suchen und außerdem ... hab ich dich heute rechtzeitig geweckt. DU hast dich entschieden, dich noch umdrehen zu müssen. Hätte ich nicht einen Eimer Wasser über dir ausgekippt, würdest du immer noch pennen!"
Eisblaue Augen versuchten mich mit Blicken zur erdolchen, während sie sich aufrichtete und bemühte wieder Ordnung in das Chaos auf ihrem Kopf zu bringen. „Ja! Dafür muss ich dir sowieso noch danken," knurrte sie und streckte verlangend eine Hand in meine Richtung aus. „Gib mir mal ein Haargummi!"
Ich grinste noch breiter, kramte in der Schublade vor mir herum und reichte ihr eines, das aus pinken Federn zu bestehen schien.
„JUNA! Lass den Blödsinn... ich bin doch schon zu spät!!!!" Abwehrend hob ich die Hände und warf schließlich ein schlichtes schwarzes Band in ihre ausgestreckte Hand. Man konnte viel über mich sagen, aber werfen konnte ich! Allerdings muss ich zugeben, dass das gerade ein Zufallstreffer gewesen war. In der Regel landete das von mir geworfene Objekt zumeist 5 m in der entgegen gesetzten Richtung.
„Juuuuuunileinchen???"
Ich hob eine Augenbraue und wartete ab. Das versprach gut zu werden!!!
Während Beccs mit ihren völlig verwuschelten Haaren kämpfte um sie in eine für eine Anwältin respektable Frisur zu bekommen, klimperte sie mich verzweifelt an und flötete: „Meine über alles geliebte Juna... Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, könntest du bitte mir meine Schuhe suchen??!"
Wie konnte ich da noch nein sagen?! Also ließ ich mich auf alle viere fallen und krabbelte über den flauschigen Wohnzimmerteppich um unter die Möbel zu spähen. Und da... unter dem Sideboard lag der erste. Triumphierend angelte ich den schwarzen High-Heel, der mit seinem 10cm Absatz zu Beccis ‚kleinen' zählte und erspähte den zweiten halb hinterm Kühlschrank. „Alle Achtung, Schwester," ächzte ich, als ich mich wieder in die Senkrechte begab. „Irgendwann kannst du mir ja mal erzählen, wie der Schuh da hinten gelandet ist!" Ich holte den zweiten Heel und reichte ihn meiner Freundin, damit sie sich diesen über ihren lädierten Fuß ziehen konnte. Aufmerksam wie ich war bemerkte ich durchaus, dass sie mich nicht mehr ansehen konnte.
Oho... Da war was im Busch!
„Beeeeecc! Was ist los? Komm schon, rück's raus!" Becca verschränkte die Arme vor der Brust und druckste herum. „Kann das nicht warten?" fragte sie kleinlaut. „Ich hab echt nur noch ein paar Minuten, bevor ich los muss." Ich sah sie einfach nur abwartend an. Das konnte ich! Ich konnte sogar eine Katze in Grund und Boden starren. Hatte ich oft an Gizmo trainiert... könnte eventuell mit einer der Gründe sein, warum der Kampfkater mich nicht mochte..
„Als du gestern Abend versucht hast, deinen Laptop ans laufen zu bekommen, hab ich eventuell Linus eine E-Mail geschrieben... Eine anwaltsmäßige E-Mail...die mich dezent aufgeregt hat und da flogen dann auf einmal die Schuhe..."
Okay, jetzt fiel ich aus allen Wolken. „WAS? Ich glaub, ich hab das akustisch nicht ganz richtig mitbekommen! Du hast WAS getan? Verdammt, Rebecca, bist du völlig wahnsinnig geworden? Ich will einfach nur mit diesem Schwachmaten abschlie... Sekunde... was genau stand in der Mail?"
„Ach, nur das übliche... Zerstörung privaten Eigentums, Vandalismus, häusliche Gewalt, Körperverletzung und so weiter und sofort.... Standartsachen halt!" Mir wurde schlagartig schlecht und ich stürzte zur Toilette, da das Frühstück Pfötchen gab und um Freilassung ersuchte. Während ich also über dem Klo hing und mir die Seele aus dem Leib kotzte, beeilte sich Becca mir die Haare aus dem Gesicht zu halten. „Juna... Das tut mir leid! Aber ich konnte nicht anders! Er hat dich geschlagen... Er hat dich missbraucht! Denn ja... auch Beleidigungen sind eine Art von Missbrauch. Vor allem, wenn man emotional so abhängig ist von dem anderen so wie du. Und das meine ich nicht abwertend Juni, das weißt du! Du darfst ihn nicht damit davonkommen lassen. Und du bist nicht allein! Vertrau mir bitte! Ich würde nie etwas tun, was dir schadet... Allerdings ... Ähm... ist es vermutlich ganz gut, dass du jetzt eine Weile bei deiner Mama bist. Dann kann sich der Vollpfosten abreagieren, seinen Blutdruck auf Normallinie bringen und wenn ich dann von meiner Arbeitsreise zurück bin, dann setzen wir beide uns mit ihm auseinander. Offiziell! Okay?" Mittlerweile befand sich mein Mageninhalt im Klo und Becca reichte mir mit einem zerknitterten Lächeln Zahnbürste und Zahnpasta. Als ich endlich den widerlichen Geschmack aus dem Mund hatte, gurgelte ich schnell mit Mundwasser nach, beschloss mich erst nach dem Besuch bei Mama weiter aufzuregen und folgte Beccs wieder ins Wohnzimmer. Sie hatte mittlerweile ihren Koffer zur Tür gewuchtet und zog sich ihren Mantel an.
„Bitte sei nicht sauer auf mich, Schatz!! Ich muss jetzt los. Wir telefonieren heute Abend, okay?"
Ich umarmte sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Gemeinsam verließen wir das Haus, meine Freundin schloss ab und stellte die Alarmanlage scharf.
Dann bugsierte sie ihren Koffer in den Jeep, während ich meinen Seesack in den Kofferraum meines kleinen Reiskochers warf. Becca umarmte mich noch einmal und fuhr mit beiden Händen durch meine rötlichen Haare. „Ich glaube, wir haben heute beide im Bad-Hair-Day oder?" Ich grinste und holte ein Haarband aus der Tasche. „Ich hab mir einen von deinen geliehen," sagte ich mit einem Schulterzucken und streckte ihr die Zunge raus. Sie erwiderte die Geste und schwang sich hinter das Steuer. Nachdem der Motor donnernd zum Leben erwacht war, ging das Fenster auf der Fahrerseite herunter und sie streckte den Kopf raus.
„Ich glaub nicht, dass bei dir noch was zu retten ist - egal mit wie vielen Haargummis!" rief sie lachend und setzte zurück. Innerhalb von Sekunden war sie um die Ecke 400 Meter weiter verschwunden und ließ eine einsame Mülltonne über die Straße kullern, die durch den Fahrtwind mitgerissen worden war. Kopfschüttelnd beobachtete ich die schwarze Katze, die in Panik auf halber Höhe eines Baumes am Straßenrand klebte, das Fell gesträubt, die Krallen wie Entermesser in die Rinde geschlagen und aus riesigen Augen voller Horror in die Richtung des entschwundenen Jeeps stierte. „Keine Sorge, Mieze! Sie ist zwei Wochen lang nicht da!!" rief ich beruhigend dem geschockten Stubentiger zu und stieg ebenfalls ins Auto. Zum Glück war es nicht sehr weit. Eine gute Stunde Fahrt, je nachdem, wie ich durchkam. Also verließ ich mein geliebtes Baltimore und machte mich auf den Weg nach Potomac, einem Nobel-Stadtteil der Hauptstadt Washington...

„IIIIII'M GONNA SSWIIIIIING FROM THE CHANDELIEHIIIIIIIER...."
Aus voller Kehle sang ich Sia mit, herrlich krumm und schief, dafür mit sehr viel Enthusiasmus! Auch wenn ich wahnsinnig gerne sang... ich war in dieser Beziehung extrem Talentfrei (ja, Selbsterkenntnis ist so wichtig.) Allerdings hielt mich das nicht davon ab bei mein Lieblingsliedern regelmäßig eine neue zweite erfundene Stimme einzufügen. Grinsend musste ich mich an Beccs gelallte Aussage erinnern, nachdem wir vor einem Jahr (Mädelsabend, yeah!!!) eine Karaoke Kneipe sternhagelvoll wieder verlassen hatten: „Isch sach es dir... dasch jibt ne Sammelklage wegen Körperverletzun...dasch wasch da aus deinem Mund jefalln' is, könnte in Guantanamo als Foltermethode einjesetzt werdn" Doch jetzt war ich allein im Auto und fröhnte somit ungestraft meiner Leidenschaft.

In 200 Metern rechts abfahren. Dann dem Straßenverlauf für einen Kilometer folgen. Ihr Ziel befindet sich auf der linken Seite!'

Danke, Navigations-Tusnelda! Gut zu wissen... ich fuhr rechts ran und kramte in meiner Tasche nach dem Make-up, das Becca mir gestern noch besorgt hatte um das Mörderveilchen zu verdecken. Es nahm fast die halbe rechte Seite meines Gesichts ein und schillerte in den verschiedensten Blau-, und Violett-Tönen. Dankenswerterweise war mein Auge unbeschädigt geblieben... ja, ja... die kleinen Dinge über die Mann/Frau sich so freut.
Nach der dritten Lage Foundation war - Gott sei dank - nichts mehr zu sehen, nur im direkten Sonnenlicht ließ sich das Hämatom noch erahnen...
Danach waren meine Haare dran, sprich der Messibun richtete es für mich und ich konnte den letzten Kilometer zu Mom's neuer Adresse fahren.
Und, HIMMEL!!! Was war das bitte schön für ein Haus. Wobei der Terminus Haus hier definitiv eine Beleidigung für dieses Domizil darstellte!!!! Die Villa hatte eine Auffahrt, die gut und gerne 200 Meter lang war und neben dem Haupthaus in einem großen Gebäude war anscheinend die Garage für 6- 8 Autos untergebracht. Heiliges Blechle! Irgendwie kam ich mir auf einmal wesentlich unbedeutender vor als sonst... Nachdem ich mein kleines unscheinbares Autochen möglichst diskret geparkt hatte, schwang ich den Seesack über der Schulter und stand kurz darauf an der Haustür. Allerdings sollte ich wohl eher Portal dazu sagen und klingelte.
„Wenn jetzt noch ein Butler öffnet, kipp ich direkt aus den Latschen!" murmelte ich und hörte nervös, wie sich schwere Schritte näherten. Schwungvoll wurde die Tür aufgerissen und...
...
„Nö!" sagte ich, drehte mich um und marschierte zu meinem Baby zurück.
NICHT DEIN VERSCHISSENER ERNST!!!!
„Juna!!!!"
Moms Stimme ließ mich stehen bleiben und ich drehte mich Zähne knirschend um. Meine Mama schob sich an dem dunkelhaarigen Riesen vorbei und stürmte mit ausgebreiteten Armen zu mir. Aufschluchzend zog sie mich an sich und streichelte durch meine Haare. Über ihre Schulter sah ich, wie Alex fuckin' Hanson sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen den Türrahmen lehnte. Denn ja... er mochte älter, größer, viiiiel muskulöser und heißer... (NEIN, NICHT HEIẞ! Böse Libido!) geworden sein, aber ich erkannte einen Hanson, wenn ich ihn sah.
Mit gaaaanz viel Glück war Mom nur zu Besuch hier, während sie eigentlich in Miami wohnte und nur nicht wollte, dass ich mit meiner Flugangst in einen Flieger muss??!!
Ooooh, bitte Universum...wenn es da auch nur noch ein Fünkchen Glück für mich übrig sein sollte, dann würde ich das doch gerne jetzt einlösen!
Bitte ... lass meine Mom keine Hanson sein! Biiiiitte!

Meine vier Stiefbrüder und ichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt