Kapitel 18

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c a r p e d i e m
»«

„seize
the day."

.

Sein fauliger Atem schlug ihr entgegen, als er sie dazu aufforderte näher heranzutreten. Angespannt bemühte sie sich darum, keine Miene zu verziehen und ihr höfliches Lächeln zu wahren.

„Lächel, egal was dir durch
den Kopf geht."

„Bleib höflich, egal was
dein Gegenüber dir sagt."

„Gehorche, ungeachtet dessen
wie sehr es dir missfällt."

Die Predigten ihrer Mutter hatten sich in ihr Gedächtnis gebrannt.

Lebe, egal wie sehr du dich
nach dem Tod sehnst.

Nari war kein leichtes Kind gewesen. Früh hatte sie sich gegen die ihr auferlegte Verantwortung aufgelehnt. Fragen gestellt, die lieber nicht gestellt werden sollten und Dinge hinterfragt, die man nicht hinterfragte. Oft wurde sie deshalb zurechtgewiesen, bestraft und kleingemacht. „Du bist die zukünftige Botin, die Gelehrte. Verhalte dich so." Es waren die letzten Worte ihrer Mutter, bevor sie davon schied. Ihren Namen, Nari - verlor sie an jenem Tag. Man gab ihr stattdessen einen neuen Namen, so wie es sich nach Tradition gehörte. Stilles Licht - Koshla Vaam.

Doch nach all den Jahren die vergangen waren, nach den Schmerzen und Verlusten hatte sie gelernt sich zu fügen. Sich zu beugen. Sie schwieg, sie lächelte. Ihre Meinung und Kritik war unerwünscht. Ihr Titel war nichts weiter als ein Trugbild, ihre Erscheinung nichts weiter als eine Lüge. Das Einzige was ihr blieb war der Glaube. Jedes mal, wenn Wut sie durchströmte besonnte sie sich. Hass war kein Gefühl, welches etwas Gutes hervorbrachte und wieso sollte sie all dem Leid noch beisteuern?

„Was hast du dir gedacht?" Seine kratzige Stimme klang kraftlos, wirr. Vor ihr saß der Schatten eines einst großen und mächtigen Herrschers. Die zerfallene Gestalt war das perfekte Beispiel dafür, was Gier mit einer Seele anrichten konnte. Kein Heiler vermochte es ihm zu helfen. Er schlug jede Hand aus, die man ihm reichte. Er war die Erinnerung daran, was geschah, wenn man sich selbst betrog.

„Ich habe unseren Gesetzen Folge geleistet, Eure Majestät." Entgegnete sie in einem unterwürfigen Tonfall. Ihr Blick auf den Boden gesenkt. Sie vermochte es nicht, in die Augen ihres Gegenübers zu sehen. „Unseren Gesetzen? Unseren Gesetzen?!" Der Kaiser lachte hysterisch auf, sie hörte den Thron knarzen und sein Atem wurde lauter. Seine massige Gestalt baute sich vor ihr auf. „Eigene Interessen hast du vertreten. Hättest du unserem Gesetz gefolgt, hättest du um meine Erlaubnis gebeten. Du hättest den Rat konsultiert. Stattdessen schleppst du diesen Fremden, die Ausgeburt des Krieges in meinen Palast, zeigst ihm die geheime Stadt und bringst dein Volk in Gefahr." „Er war des Todes nahe und ich hatte keine Möglichkeit, Eure Majestät. Verzeiht meinen Fehltritt, doch ich richtete mich nach unserem Glauben und dieser schreibt es -" „Ich bin der Glaube!" Erschrocken zuckte sie zusammen, als seine laute Stimme ihr ins Wort fiel und ihr Atem setzte für einige Sekunden aus. Er war vollkommen wahnsinnig. „Du dienst mir. Ich bin der einzig Wahre." Fügte er hinzu und trat zurück. „Knie nieder, Koshla Vaam." Alles in ihrem Magen drehte sich um und hätte sie nicht auf eine Mahlzeit verzichtet, hätte sie gewiss erbrochen. „Ich knie nur vor Gott." Flüsterte sie leise, doch er vernahm den Protest und schnalzte missbilligend mit der Zunge: „Er steht vor dir." Ihre Augen weiteten sich schockiert. Ungläubig starrte sie auf den Boden und bemühte sich, die gesagten Worte zu verstehen. Doch sie konnte nicht. Wie konnte ein Wesen aus Fleisch und Blut, eine Schöpfung Gottes behaupten der Allmächtige zu sein? Wie tief hatte der Teufel ihn in seine Fänge gezogen?

„Knie nieder!" Wiederholte er seine Aufforderung, doch sie weigerte sich. „Ich sagte du sollst -" Er wurde in seinem Wutausbruch unterbrochen, als sich die Türen des Kronsaals abermals öffneten und Schritte in der Halle erklangen. „Das ist genug. Bringt meinen Vater in sein Gemach." Eine bekannte Stimme hallte wider und das erste Mal wagte Nari es, den Blick zu heben. „Prinz Khusai." Sie konnte die Erleichterung kaum verbergen, als sie die freundlichen Augen des Kronprinzen erkannte. „Verzeiht meinen Vater, Koshla Vaam. Er ist... Ihr kennt ihn ja. Lasst uns bitte allein!" Er wandte sich zu den Thronwachen, welche betreten den Saal verließen. „Wie geht es dir?" Überschwänglich nahm er die junge Frau in den Arm und sie versteifte. „Gut..." Überfordert klopfte sie auf seine Schulter und der Mann ließ sie los.

„Ich hab dich vermisst." Sein Lächeln sprach Bände und die Gelehrte senkte respektvoll den Kopf. „Es tut mir leid, Euch solche Umstände bereitet zu haben." Sie hörte ihn genervt seufzen: „Nari, ich bitte dich wir sind unter uns." Er hob ihr Kinn an, seine Finger waren weicher als die des fremden Soldaten. Nicht von Kampf und Arbeit gezeichnet. „Ich wusste nicht das es so schlimm um deinen Vater steht." Stellte sie zögerlich fest und sah, wie sich der Blick des Thronfolgers verdunkelte. „Ich habe die Regentschaft übernommen - sein Zustand ist zu instabil. Die Heiler meinen, sein Verstand wäre nicht mehr zu retten. Mein Vater kann sich mit diesem Gedanken jedoch nicht wirklich anfreunden." Erklärte er schließlich. „Das tut mir leid." Murmelte Nari mitleidig und strich ihm sachte über den Handrücken.

„Nun denn, kommen wir zu dem Grund deiner verfrühten Rückkehr."

Apatheia Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt