Kapitel 4

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Die nächsten Tage ging es mir zumindest körperlich allmählich besser. Dank eines Physiotherapeuten kehrte wieder Leben in meine Muskeln zurück und schon bald konnte ich kurze Strecken wieder mit etwas Mühe zu Fuß zurücklegen. Meine linke Schulter zwickte gelegentlich noch, wenn ich versuchte mir einen Pullover überzuziehen aber ich ließ mir erklären, dass das einfach noch etwas Zeit brauchen würde. Ich mied es weiterhin, meinen Rücken anzuschauen. Die Schmerzen waren dank der Schmerzmittel erträglich.

Es war für mich wie ein Geschenk des Himmels und purer Luxus, als ich das erste Mal seit Monaten wieder unter einer warmen Dusche stand. Es fühlte sich an, als würde ich ein Teil der Erinnerungen, Geschehnisse und Albträume von mir abspülen. Ich stand so lange unter dem angenehmen Wasserstrahl, dass Schwester Joella irgendwann besorgt an die Badezimmertür klopfte, um sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung sei. Ich konnte sie beruhigen, drehte das Wasser ab und kam ins Stocken, als ich mein Spiegelbild sah. Vor mir stand eine deutlich schlankere Version meiner selbst mit hellgrünen Augen, die noch immer trüb und müde aussahen. Die Albträume hatten tiefe Augenringe hinterlassen. Auch mein Gesicht war schlanker geworden, die Wangen wirkten unter dem unangenehm grellen Licht der Badbeleuchtung fast schon eingefallen und ich hatte jegliche Farbe in meinem Gesicht verloren. Meine langen dunkelbraunen Haare sahen jetzt nach dem Waschen zum Glück nicht mehr ganz so stumpf aus, doch die letzten Monate hatten ihre Spuren auf meinem Körper hinterlassen. Ich zögerte, als ich mich langsam umdrehte und die Wundverbände auf meinem Rücken in Augenschein nahm. Durch die Dusche waren sie Nass geworden und Schwester Joella hatte sie mir danach sowieso wechseln wollen. Meine Hände zitterten, als ich vorsichtig die Ecke eines Pflasters löste und es zentimeterweise abzog. Ich war mir nicht sicher, ob ich für diesen Anblick schon bereit war, aber wahrscheinlich würde ich das nie wirklich sein. Und irgendwann würde ich zwangsläufig dieses Thema angehen müssen. Meine Hände wurden immer hektischer, als ich auch die restlichen Wundverbände entfernte und dann entsetzt meinen entblößten Rücken betrachtete. Es war noch viel schlimmer, als ich mir in Gedanken ausgemalt hatte. Dicke wulstige Narben zogen sich kreuz und quer von meinen Schulterblättern bis über meinen unteren Rücken. An den Stellen, wo die Haut genäht worden war, waren noch die Spuren der Klammernähte zu erkennen. Zwischen den Narben waren faltige Furchen. Mein ganzer Rücken wirkte gerötet und geschwollen. Der Anblick ließ in mir eine leichte Übelkeit aufsteigen und das Bad begann sich zu drehen. Mein Rücken sah aus, wie der eines Monsters und der Gedanke, dass ich für den Rest meines Lebens entstellt sein würde, raubte mir für einen Moment den Atem. Am schlimmsten jedoch war, dass mich diese Narben für immer an Mohammed Al-Zamil und die qualvollsten Momente meines Lebens erinnern würden. Egal wie sehr ich darum kämpfte, ich würde dieser Erinnerung niemals entkommen.

Die Wände schienen immer näher zu kommen und ich drehte panisch am Schloss, bis es sich endlich öffnen ließ und ich die Tür aufstieß. Ich stolperte zurück in mein Zimmer und es war mir mehr als egal, dass ich nicht mal etwas anhatte. Ich stürzte auf einen Mülleimer in der Zimmerecke zu und übergab mich. Ich würgte so lange, bis nur noch bittere Galle hochkam und Schwester Joella schließlich alarmiert ins Zimmer stürzte.

„Es ist alles gut, Miss Martin. Kommen Sie, setzten Sie sich erstmal." Bestürzt legte sie ein Krankenhaushemd um mich und half mir beim Aufstehen. Ich setzte mich auf meine Bettkante und fröstelte. „Mein Rücken sieht schrecklich aus..." murmelte ich mehr zu mir selbst als zu Schwester Joella. Ich musste schon wieder würgen, doch es gab sowieso nichts mehr in meinem Magen, was ich hätte erbrechen können. Auch ohne weitere Erklärungen erkannte sie, wie sehr mich der Anblick meines Rückens schockierte.

„Ihr Rücken wird noch Zeit brauchen, um zu heilen. Ihre Verletzungen sind noch sehr frisch. Geben Sie sich etwas Zeit." versuchte sie mich zu trösten, doch ihre Worte kamen nicht wirklich bei mir an. Nachdem sie meinen Rücken mit frischen Wundverbänden versorgt hatte, ließ sie mich mit meinen Gedanken allein. Doch hierbei konnte sie mir sowieso nicht helfen. Mit diesem Schock musste ich selbst klarkommen. Nur hatte ich keine Ahnung, wie ich mit alledem umgehen sollte.

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