Kapitel 21

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Nachdem wir unsere Schuhe wieder angezogen und er seine Jacke aufgehoben hatte, verließen wir gemeinsam das Gebäude. Draußen war die Dämmerung schon ziemlich weit fortgeschritten und ich schloss mich ihm an, als er auf einen versteckten Weg zwischen zwei Gebäuden zusteuerte. Wir begegneten nur vereinzelt Soldaten, die uns jedoch keine weitere Beachtung schenkten. Wir erreichten ein Gebäude, dass mir bis jetzt nicht weiter aufgefallen war und ich folgte ihm zögerlich. Bei dem Gedanken, Lieutenant Pharell zu seiner Unterkunft zu begleiten, fühlte ich mich plötzlich gar nicht mehr so selbstbewusst wie ich tat. Wir schwiegen beide, als er vor einer Tür zum Stehen kam und einen Schlüssel aus seiner Jackentasche kramte. Ich lächelte nervös, als er mir den Vortritt ließ und war mir nur zu deutlich bewusst, dass ich gerade seinen persönlichen Raum betrat. Er schloss hinter uns die Tür und für einen Moment fand ich mich in kompletter Dunkelheit wieder, ehe er den Lichtschalter betätigte. Das Licht blendete mich und ich brauchte eine Sekunde um zu erkennen, dass wir uns in einem kleinen Wohnzimmer befanden. Es war nicht besonders liebevoll eingerichtet, aber es gab sogar ein Sofa, dem gegenüber ein kleiner Fernseher stand. Zwei Türen gingen von dem Raum ab, wobei Lieutenant Pharell wortlos hinter einer verschwand. Da er nicht sofort zurückkam, nahm ich etwas unsicher auf dem Sofa Platz und schaute mich neugierig um. Es war natürlich alles super aufgeräumt und ordentlich, aber ich hatte nichts anderes erwartet. Die einzigen persönlichen Gegenstände waren zwei eingerahmte Bilder, die auf einer kleinen Kommode standen. Die Neugier ließ mich näher herangehen und sie genauer betrachten. Auf einem war eine Frau zu erkennen, die einen kleinen Jungen auf der Hüfte trug und auf der anderen Seite einen zweiten an der Hand hielt. Das Foto war zwar schon in Farbe, aber definitiv vor vielen, vielen Jahren geschossen worden. Vielleicht seine Mutter? Auf dem anderen Bild erkannte ich Lieutenant Pharell in einem bunten, fast schon kitschigen Hemd an einer Bar sitzen, wobei er seinen Arm auf die Schultern eines jüngeren Mannes gelegt hatte. Da sie deutliche Ähnlichkeiten besaßen, tippte ich darauf, dass es sich hierbei um seinen Bruder handelte. Der Lieutenant sah glücklich auf dem Bild aus und seine Haltung hatte nicht die Strenge, die ich von ihm kannte.

„Das ist mein Bruder. Er ist 7 Jahre jünger als ich.", erklärte Lieutenant Pharell plötzlich hinter mir. Ich hatte ihn nicht kommen gehört und schaute erschrocken über meine Schulter zu ihm. Er hatte sich umgezogen und trug nun ein einfaches, weißes Shirt und ein paar Jeans. Ich hätte ihn ohne seine Uniform fast nicht wiedererkannt und er wirkte gleich viel lockerer. Er war barfuss und hatte einen dicken Block unter seinen Arm geklemmt. Ein paar Haarsträhne tanzten aus der Reihe und fielen ihm in die Stirn. Ich erlaubte mir für einen Moment den Gedanken, dass er eigentlich ziemlich gutaussehend sein konnte, wenn er wollte.

„Sie sehen glücklich auf dem Bild aus. Wo wurde es aufgenommen?", fragte ich und drehte mich wieder zu besagtem Bild, um Lieutenant Pharell nicht anzustarren.

„Wir waren vor ein paar Jahren zusammen im Urlaub auf Kuba." 

"Schickes Hemd.", merkte ich an und musste grinsen. Ihn auf dem Foto mit so viel Farbe zu sehen war gewöhnungsbedürftig.

"Dachten Sie etwa, ich laufe in meiner Freizeit auch mit Uniform herum?", konterte er lässig und hielt mir dann wortlos den dicken Block entgegen. Ich nahm ihm diesen aus der Hand und setzte mich wieder auf das Sofa. Ich schlug die erste Seite auf und blätterte mit immer größerer Begeisterung durch die Seiten. Mit jedem Blatt schaute mir ein weiteres Gesicht entgegen, aus verschiedenen Kulturen und jeden Alters. Die Portraits waren unglaublich gezeichnet und ich bewunderte die feinen Linien, mit denen er die unterschiedlichen Gesichtszüge erfasst hatte. Ebenso bemerkenswert waren die vielen Details, die er aufs Papier gebracht hatte.

„Wow, das ist unglaublich!", murmelte ich aufrichtig beeindruckt. „Wo haben Sie so zeichnen gelernt?", wollte ich wissen.

„Ich habe es mir irgendwie selbst beigebracht. Ich habe schon immer gerne Leute beobachtet und dann habe ich irgendwann angefangen, sie auf Papier zu bringen.", erzählte er achselzuckend, als wäre es nichts besonderes. Er setzte sich neben mich und schaute mir über die Schulter, während ich ein Portrait nach dem anderen bewunderte.

KampfgeistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt