Kapitel 51

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Als ich wieder zu mir kam, dröhnte mein Kopf leicht und ich erlaubte mir noch etwas liegen zu bleiben. Ich erinnerte mich wie durch einen Nebel, dass Raiden mich nach unserer Landung auf dem Stützpunkt in mein Zimmer getragen hatte. Das war aber auch so ziemlich das Einzige, an dass ich mich noch verschwommen erinnerte. Eine Uhrzeit suchte ich nach wie vor vergeblich in meinem Zimmer und so beschloss ich mich einfach auf gut Glück auf die Suche nach Raiden zu begeben. Ich schlüpfte in meine Schuhe und prüfte noch kurz, ob der USB-Stick weiterhin sicher in meinem BH verwahrt war. Es war ein beängstigendes Gefühl, eventuell gefährliche Informationen mit mir herumzutragen. Aber das wusste ich erst mit Sicherheit, wenn ich ihn an einem Laptop angeschlossen und geöffnet hatte. Ich verließ mein Zimmer und musste mich kurz an der Wand abstützen, da kleine schwarze Punkte in meinem Sichtfeld tanzten. Ich atmete dreimal tief durch und verließ dann das Gebäude. Es war erstaunlich ruhig und die Sonne hatte bereits fast den Horizont erreicht. Ich musste mehrere Stunden geschlafen haben und wandte mich zur Kantine. Hier herrschte ein reges Treiben, sodass mich niemand bemerkte, als ich mir einen Teller mit einer unappettitlich aussehenden Suppe reichen ließ. Mein Blick schweifte über die Tische, an denen Soldaten sich lautstark unterhielten, lachten und sich mehr oder weniger das Essen schmecken ließen. Es war nicht schwer, Raiden und sein Trupp ausfindig zu machen, denn sie wirkten alle ungewohnt ernst. Raiden schien gerade etwas zu erzählen. Brian saß mit verschränkten Armen vor seinem vollen Teller. Corban rieb sich die Schläfen und selbst Kenneth machte sich nur mit mäßigen Appettit über seine Portion her. Augenblicklich überkamen mich Schuldgefühle und Mitgefühl. Diese fünf Männer hatten heute den Leichnam eines Kameraden und Freundes geborgen. Es musste für sie ein verdammt harter Tag gewesen sein und ich habe ihn, durch ein Beruhigungsmittel ausgeschaltet, verschlafen. Natürlich konnte ich den Flashback und die Panikattacke nicht kontrollieren, aber zumindest wünschte ich mir, dass ich ihnen hätte beistehen können.  Zögerlich suchte ich mir einen Weg durch das Chaos und blieb schließlich unschlüssig vor dem letzten freien Stuhl stehen. Corban schaute als erstes auf und schenkte mir ein so aufrichtiges und besorgtes Lächeln, dass ich meine Hemmungen über Bord warf und mich auf den Stuhl gleiten ließ.

"Hey, Jess!", begrüßte mich Alan müde lächelnd, welcher auf dem Platz neben mir saß. "Beschissener Tag heute, oder?", fragte er dann, ohne sein stets präsentes Lächeln auf dem Gesicht.

"Das kannst du laut sagen!", stimmte ich ihm murmelnd zu und rührte lustlos in dem Eintopf herum, in welchem Stückchen schwammen, die sowohl Karotte als auch Fleisch hätten sein können.

"Du hast uns einen ordentlichen Schrecken eingejagt. Geht's wieder?", knüpfte Brian an und sein Blick war prüfend.

"Ich werde wohl einen verdammt guten Therapeuten brauchen, wenn ich wieder zuhause bin.", versuchte ich herunterzuspielen, aber dafür war der Vorfall zu ernst gewesen. Ich zuckelte mit den Schultern und lächelte verlegen in die Runde. Doch selbst mein Lächeln nahm man mir wahrscheinlich nicht wirklich ab.

"Heute zu sehen, was ihr durch gemacht habt, wird mich wohl noch eine Weile beschäftigen.", gestand Brian leise und schob den Teller beiseite. "Da kann einem glatt der Appettit vergehen."

"Ich kann nicht leugnen, dass mich diese Ereignisse noch lange verfolgen werden, aber die Hauptsache ist, dass wir es überlebt haben. Im Gegensatz zu Liam..." Ich beschloss, dass es vielleicht gut war, das heikle Thema direkt beim Namen zu nennen. Wie zu erwarten, erstarrten alle in ihren Bewegungen und Brian schien sogar etwas zusammenzuzucken.

"Ich konnte es nicht...", flüsterte Kenneth betroffen. "Ich konnte nicht zusehen, als sie ihn geborgen haben." Darauf war es wieder eine geschlagene Minute totenstill. Um uns herum lärmten die Gespräche und Geräusche und schwollen an und ab wie Wellen, doch unser Tisch schien wie unter einer Glaskuppel geschützt und abgeschnitten vom Rest der Welt.

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