Kapitel 49

92 12 2
                                    

„Warum sind Sie einfach gegangen?", stellte er ohne Umschweife die offensichtlichste Frage.
Ich hatte gewusst, dass ich damit konfrontiert werden würde und trotzdem noch keinen Gedanken an eine mögliche Antwort verschwendet.

„Ich... ähm... ich hatte schlecht geträumt, konnte nicht mehr schlafen und wollte Sie nicht wecken.", versuchte ich mich zu erklären und schaute dabei überall hin, nur nicht in seine Augen.

„Bereuen Sie es?", fragte er nun deutlich leiser und schärfer. Er umfasste mit seiner Hand mein Kinn und zwang meinen Kopf auf Augenhöhe. Sein Blick war erschreckend verletzlich und offen. Es war nun nicht mehr die Wut, die sein Gesichtsausdruck dominierte, sondern Unsicherheit. Ich kannte Lieutenant Pharell nur als souveränen und selbstbewussten Mann. Diese Verletzlichkeit dagegen brachte mich gehörig aus dem Takt. Meine Worte mussten gut überlegt sein, denn wenn ich nicht aufpasste, könnte ich ihn empfindlich treffen. Doch ich wusste ja selber nicht mal, was die Antwort auf diese Frage war. Der Sex mit ihm war perfekt, aber gerade das machte mir Angst. Nach all den Monaten war ich ein Wrack und konnte wahrscheinlich im Moment noch gar nichts so schönes und reines an mich heranlassen. Ich wusste, dass ich heute Abend den Stützpunkt verließ und Lieutenant Pharell zurückließ. Wenn ihn meine nächtliche Flucht schon so verletzte, dann wird meine unerwartete Abreise ihn noch mehr treffen. Ich hatte bis jetzt keine Gedanken darüber zugelassen, was danach kam, weil es aussichtlos war. Wir lebten in zwei verschiedenen Welten und hatten keine Zukunft. Aber dennoch gab es in mir diesen kleinen Funken Hoffnung, der sich verzweifelt wünschte, dass diese Geschichte auch anders enden könnte. Aber kleine Funken haben keine Chance gegen die Tsunamiwelle der Realität. Diese Nacht mit Lieutenant Pharell war wunderschön gewesen und gleichzeitig wusste ich, dass es keine Wiederholung geben würde. Ich hatte etwas gefunden und würde es noch heute wieder verlieren.

„Nicht direkt, aber...", begann ich stammelnd und merkte sofort, dass das ein gänzlich falscher Ansatz war. Ich erkannte es auch in seinem Gesicht, dass sich wieder verschloss und an dem wütenden Glanz, der in seine Augen zurückkehrte.

"Nicht direkt?", wiederholte er murmelnd meine Worte. "Jessica, für mich war letzte Nacht keine Kleinigkeit, keine Ablenkung vom Ernst des Lebens oder irgendeine schnelle Nummer. Sie bedeuten mir verdammt nochmal etwas und ich möchte Sie gerne noch besser kennenlernen, mit Ihnen Zeit verbringen und herausfinden, was das zwischen uns ist." Seine Worte wurden zum Ende hin immer eindringlicher und er umgriff meine Schultern, als würde er mich am liebsten schütteln.

"Ich kenne ja nicht mal Ihren Vornamen, Lieutenant Pharell.", wandte ich ein und sprach betont deutlich seinen Rang aus. Er zuckte tatsächlich zusammen angesichts dieser Tatsache und ließ seine Hände fallen, als wäre jegliche Kraft aus ihnen verschwunden.

"Jordan... Jordan Matthew Pharell. Bei meinem zweiten Vornamen wurde ich nach meinem Großvater benannt.", antwortete er tonlos und wir schauten uns etliche Sekunden stumm an.

"Jordan...", wiederholte ich traurig lächelnd seinen Namen. Es passte zu ihm, auch wenn er wahrscheinlich irgendwie immer Lieutenant Pharell für mich bleiben würde. "Gebe mir bitte noch etwas Zeit. Ich bin so unglaublich durcheinander und weiß überhaupt nicht mehr, was ich fühle oder denke. Ich fühle mich wie in einem Kettenkarussel und kann gute und schlechte Gefühle nicht mehr voneinander trennen." Es war zum Teil ein Geständnis, weil ich tatsächlich den Überblick über mich und mein Leben verloren hatte, aber zum größten Teil war es eine unfassbar feige Ausrede. FEIGLING! FEIGLING!, schrie eine Stimme in meinem Kopf, denn ich bat ihn um mehr Zeit, obwohl ich heute Abend abreisen würde.

Doch Lieutenant Pharell ahnte nichts von meinem inneren Dilemma und nahm mich stattdessen seufzend in den Arm. "Du hast recht. Es tut mir leid, dass ich dich so bedrängt habe.", lenkte er ein und legte seine Wange auf meinem Scheitel ab. Bei seiner Körpergröße hüllte mich seine Umarmung fast vollständig ein und ich ließ mich gegen ihn sinken. Seine steife Uniformjacke kratzte etwas an meiner Wange, doch das hinderte mich nicht daran, mich an seiner Brust und in seinem Duft zu verkriechen. Schuldgefühle, das schlechte Gewissen, aber auch Traurigkeit und Verlust überrollten mich und ich konnte nicht verhindern, dass die Tränen aus mir hervorbrachen, wie aus einem gebrochenem Staudamm. Spätestens als mir die ersten Schluchzer über die Lippen kamen, merkte er, dass ich weinte und zog seine Arme noch enger um mich. Als würde er mich vor der Welt und allem Übel beschützen wollen. 

KampfgeistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt