Kapitel 5

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Mein Gespräch mit Jordan hatte mich aufgewühlt und mit der Frage konfrontiert, wie lange ich noch um diesen dunklen Abgrund herumbalancieren wollte. Vielleicht wurde es Zeit, einfach herunterzuspringen, um zu sehen, was mich da unten erwarten würde. Aber ich würde mich den Ereignissen der letzten Monate nicht allein stellen können. Aber war ein Soldat, den ich gar nicht wirklich kannte und der selbst so viel durchgemacht hatte, wirklich der richtige Gesprächspartner dafür? Ich bezweifelte es.

Und weil ich darauf keine Antwort wusste, mied ich am nächsten Tag den Außenbereich, obwohl ich gerne wieder die Sonne auf meiner Haut gespürt hätte. Stattdessen musste ich mich damit begnügen, wieder kleine Kreise in meinem Zimmer zu laufen.

Trotzdem hatte Jordans Geschichte mir Hoffnung gemacht. Wenn er mit solch einem Erlebnis klarzukommen schien, dann sollte mir das doch auch möglich sein, oder?

Das erste Mal seit langem erlaubte ich meinen Gedanken, weitere Kreise zu ziehen. Ich musste an Esma, Aiche und all die anderen Frauen denken, die ich dort kennengelernt hatte. Waren sie noch dort gewesen, als das Militär mich befreit hatte? Wenn ja, was ist mit ihnen geschehen? Hat man Baschar und seinen Onkel festnehmen können? Doch hier in diesem Zimmer würde ich keine Antworten finden und so versuchte ich meine Grübeleien in eine andere Richtung zu lenken. Stattdessen landeten sie bei meiner Mutter und ich fragte mich, ob sie bereits wusste, dass ich noch lebte und mich gerade in einem Krankenhaus in der Türkei befand. Ich hatte auf einmal das unbändige Bedürfnis, mit ihr zu reden und fragte mich, ob es hier nicht eine Möglichkeit gab, um jemanden anzurufen. Sogleich machte ich mich auf den Weg und fragte eine der Krankenschwestern, die mir im Flur entgegenkam. Sie erklärte sich tatsächlich bereit, mir ihr Handy zu leihen, doch meine Finger erstarrten über dem Tastenfeld. Da ich meine Kontakte wie jeder normale Mensch auf meinem Smartphone abgespeichert hatte, wusste ich natürlich keine Handynummer oder sonstige Telefonnummer auswendig. Ich schimpfte innerlich mit mir selbst und spürte Tränen in meinen Augen brennen. Die unbändige Vorfreude, die ich gerade noch gespürt hatte, wurde von Enttäuschung abgelöst. Die Krankenschwester lächelte mir mitleidig zu und eilte dann weiter zu einem anderen Patientenzimmer.

Als ich mit gesenktem Kopf zurück in mein Zimmer schlich, hatte ich nicht damit gerechnet einen Soldaten wartend am Fenster vorzufinden. Für ein Moment bildete ich mir ein, dass da Raiden mit dem Rücken zu mir stand, doch auf dem zweiten Blick fielen mir immer mehr Unterschiede auf. Meine Fanatsie ging eindeutig mit mir durch. Ich kannte ihn nicht und machte mich mit einem Räuspern bemerkbar. Er drehte sich sofort zu mir um und strafte seine Schulter.

„Guten Tag Miss Martin, ich bin Lieutenant Pharell." sprach er stattdessen mit fester Stimme und reichte mir mit einer steifen und ruckartigen Bewegung die Hand. Unwillkürlich stellte ich mich ebenfalls etwas aufrechter hin.

Ich ergriff seine Hand zaghaft und etwas eingeschüchtert von seinem Auftreten und erwiderte den etwas zu festen Händedruck. Dieser Mann war mindestens 1,90 m groß und überragte mich demzufolge um mindestens einen Kopf. Sein strenger Auftritt ließ mich noch kleiner wirken, als ich im Vergleich zu ihm sowieso schon war. Alles an ihm wirkte tadellos und seine schwarzen Haare waren ordentlich nach hinten gekämmt, ohne das auch nur ein einzelne Strähne aus der Reihe tanzte. Wahrscheinlich ließ ihn sein Äußeres älter wirken als er war. Ich schätzte ihn auf Mitte oder Ende 30. Selbst sein Gesicht war klar geschnitten, mit schön geschwungenen Augenbrauen, einer gerade schmalen Nase und einem kantigem Kinn. Sein Gesicht ließ keine Unregelmäßigkeit erkennen und passte damit zum Rest seines Auftretens. Seine Uniform war makellos und saß wie angegossen.

„Freut mich." erwiderte ich matt und versuchte in seinem Gesicht einen Grund für sein Erscheinen zu erkennen. Doch sein Gesicht war ausdruckslos und ließ keinerlei Gedanken oder Gefühle erahnen.

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