Kapitel 36

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„Hallo Jessica, wir werden in einer Stunde starten. Ich warte unten auf Sie.", informierte er mich und musterte mich prüfend. Ich nickte lediglich, da ich meiner Stimme gerade nicht traute.

„Alles in Ordnung bei Ihnen? Sie sehen ein bisschen blass um die Nase aus.", wand er argwöhnisch ein.

„Ja, alles gut... ich..." Ich suchte nach den richtigen Worten, doch mein Kopf war wie leer gefegt. Lieutenant Pharell merkte natürlich sofort, in welchem Zustand ich mich befand und trat ungefragt durch die Tür, um sie hinter sich zu schließen.

„Jessica, es wird alles gut. Vertrauen Sie mir?", fragte er eindringlich und legte seine warmen, großen Hände auf meine Schultern.

„Ich denke schon, aber es gibt so unglaublich viele Faktoren, die nicht mal Sie beeinflussen können.", murmelte ich benommen und mein Gehirn produzierte ein Horrorszenario nach dem anderen. „Versprechen Sie mir etwas?", fragte ich schließlich matt.

„Wenn es in meiner Macht steht, natürlich!", versicherte mir Lieutenant Pharell mit vollem Ernst.

„Wenn irgendetwas passiert, lassen Sie bitte nicht zu, dass die Terroristen mich erneut lebend in die Hände kriegen! Lieber möchte ich sterben, als wieder in der Gewalt von Baschar oder Mohammed Al-Zamil zu sein. Sie haben die offizielle Erlaubnis mir eine Kugel zu verpassen, sollten die Dinge aus dem Ruder laufen." Mir war bewusst, dass das eines der brutalsten Versprechen war, die ich je von jemanden gefordert hatte. Doch der bloße Gedanke, diesen Monstern erneut ausgeliefert zu sein, ließ eine Welle der Todesangst in mir aufsteigen. Allmählich wurde mir wirklich bewusst, auf was ich mich hier eingelassen hatte.

„Jessica, so weit wird es nicht kommen!" Sein Blick war bestürzt und fürsorglich zugleich. Ich wusste schon vorher, dass er mir niemals so ein Versprechen geben würde, doch ich hatte es zumindest probiert. Mein Leben lag in seiner Hand und in den Händen der Soldaten, die mich beschützen sollten. Lieutenant Pharell nahm meinen zitternden Körper in den Arm und drückte mich so fest an sich, als würde er seine Kraft und Zuversicht auf mich übertragen wollen.

„Ich weiß nicht, ob ich das kann... mir ist so schlecht.", würgte ich hervor und klammerte mich verzweifelt an ihn fest. „Ich habe so eine unfassbare Angst!" Mein Körper schaltete in einen Fluchtmodus, der keine Energie für Tränen verschwendet. Stattdessen ging mein Atem schnell und hektisch, mein Herz schlug schmerzhaft schnell in meiner Brust und jeder Muskel meines Körpers war zum Zerreißen gespannt. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich das aushalten würde.

„Jessica, Sie müssen sich jetzt beruhigen!", redete Lieutenant Pharell sanft, aber bestimmt auf mich ein. „Sie dürfen sich nicht auf diese Angst fokussieren." Seine besänftigende und feste Stimme wirkte tatsächlich beruhigend auf mich und ich versuchte mich auf meine Atmung zu konzentrieren.

„Sie haben recht... ich habe es nicht bis hierher geschafft, um jetzt an einem Herzinfarkt zu sterben.", murmelte ich zittrig und löste mich aus seiner Umarmung.

„Das ist der Kampfgeist, den ich von Ihnen sehen will.", sagte er stolz und umfasste mein Gesicht mit seinen Händen. „Sie werden da jetzt rausgehen und allen zeigen, was für eine mutige und starke Frau Sie sind, ok?", murmelte er und sah mir dabei fest in die Augen. Ich nickte zunächst zögerlich, dann jedoch immer energischer.

„Ziehen Sie sich um, ich warte unten auf Sie.", wies er mich an, ehe er mein Zimmer verließ. Nicht ohne mir vorher noch ein aufmunterndes Lächeln zu schenken. Ich schlüpfte in die Uniform, wobei jeder Handgriff wie von alleine passierte, als wäre ich nur ein gut programmierter Roboter. Ich konnte mich nicht mal mehr erinnern, wie ich nach draußen gegangen bin. Selbst als ich in einem der Militärfahrzeuge saß, fühlte ich mich nur wie der Zuschauer eines tragischen Theaterstückes. Anders als bei der Übung saß ich diesmal nicht neben Lieutenant Pharell, sondern im selben Fahrzeug wie Raiden und seine Truppe. Es herrschte frostiges Schweigen im Fahrzeuginneren und ich schloss angestrengt die Augen, um mich nicht zu übergeben. Als würde mein Körper mit letzter Kraft versuchen die überschießende Angst unter Kontrolle zu bringen, indem er mich zwang sie auszukotzen. Das Ruckeln des Fahrzeuges tat sein Übriges, sodass es mich all meine Konzentration kostete, mich nicht auf den Boden vor mir zu übergeben. Meine Hände zitterten so sehr, dass ich mich zwanghaft an meiner Schutzweste festklammerte. Im Wechsel wurde mein Körper von einer Welle aus Hitze und frostigen Schauern überrollt. Ich nahm nichts mehr um mich herum wahr und vergrub mich tief in mich selbst. Ich kannte meine Körper inzwischen gut genug, um zu wissen, dass ich wahrscheinlich jeden Moment das Bewusstsein verlieren würde. Ich zuckte so stark zusammen, dass mir ein Keuchen entwich, als jemand mich an der Schulter berührte.

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