Kapitel 32

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Ich schaute mich um, doch das Landschaftsbild hatte sich nicht geändert, nur das ein paar vereinzelte, verlassene Gebäude vor sich hin vegetierten. Wir waren in einer Kolone aus insgesamt sechs Fahrzeugen gefahren und ich fragte mich, ob wirklich so viele Soldaten morgen bei meinem Treffen mit Baschar anwesend sein würden. Meine Nervosität legte sich etwas, als ich aus dem dritten Fahrzeug zuerst Raiden und dann auch Alan, Corban, Kenneth und Brian aussteigen sah. Es war ein ungewohnter Anblick, sie in einheitlicher und kompletter Montur zu sehen. Ausnahmslos alle Soldaten trugen mindestens eine Waffe, wobei zusätzlich sogar noch weitere Waffenkisten abgeladen wurden. Ein reges Treiben entstand, wobei jeder zu wissen schien, was er zu tun hatte. Ich beobachtete das Chaos und brauchte etliche Minuten, um ansatzweise ein System zu erkennen. Etwas verloren stand ich noch immer neben dem Fahrzeug und wagte es nicht, mich von diesem zu entfernen. Lieutenant Pharell rief Befehle und schien als Einsatzleiter alles fest im Griff zu haben. Er versammelte sich mit Raiden und vier weiteren Männern um eine Karte und schien Anweisungen zu geben. Ich war überrascht, als er mich zu ihnen winkte. Die Männer folgten mir mit Blicken, als ich mich zu der Motorhaube des Fahrzeuges begab, auf der eine Karte der Umgebung ausgebreitet war. In dieser fremden Umgebung und gänzlich fremden Situation fühlte ich mich unwohl und klammerte mich haltsuchend an meine Weste fest.

„Das ist Jessica Martin und sie wird für uns morgen von dem Informanten die Unterlagen entgegennehmen. Vielleicht handelt es sich auf um einen USB-Stick oder eine Festplatte, das können wir leider noch nicht sagen. Trupp 1 und 2 haben als einzige Aufgabe, sie zu schützen. Jessica ist eure oberste Priorität. Ihr begleitet sie überall hin und wenn ich sagen überall, dann meine ich auch überall." Lieutenant Pharells Stimme klang eindringlich und ernst. Die beiden angesprochenen Truppenleiter, unter ihnen auch Raiden, nickten knapp um zu signalisieren, dass sie ihn verstanden hatte.

„Der Arme, der mich beim Pinkeln begleiten muss.", murmelte ich sarkastisch und ich dachte leise genug, damit es niemand hörte. Aber scheinbar doch nicht leise genug, denn Lieutenant Pharell warf wir einen Blick zu, den ich zwischen tadelnd und belustigt einordnen würde. Er überging meinen Kommentar und fuhr mit seiner Erläuterung fort: „Jessica, Sie werden morgen im Fahrzeug bleiben, bis die Umgebung gesichert wurde und wir einen ersten Kontakt mit Baschar Seirawan hatte. Erst wenn wir eine sichere Umgebung garantieren können, dürfen Sie das Fahrzeug verlassen. Solange werden Sie sich gedulden müssen. Wenn wir zum nächsten Schritt übergehen, werden Sie von einem Trupp bis zum Übergabepunkt begleitet. Die Übergabe der Informationen sollte so schnell über die Bühne gehen wie möglich und Sie dürfen sich auf alle Fälle nicht in ein Gespräch verwickeln lassen. Sie nehmen die Informationen und ziehen sich sofort wieder zurück."

Ich nickte automatisch bei den Anweisungen und konnte mir trotzdem noch nicht vorstellen, wie das dann alles in der Realität aussah. Stattdessen schweifte mein Blick immer wieder verstohlen zu Raiden, der mit konzentrierter Miene Lieutenant Pharells weiteren Anweisungen lauschte. So gerne würde ich verstehen, was heute früh eigentlich passiert war, dass er so überstürzt aus meinem Zimmer geflohen war. Ich fand einfach keine logische Erklärung, die sein Verhalten rechtfertigte oder erklären würde. Vielleicht hatte ich etwas falsches gesagt? Ich schreckte aus meinen Gedanken auf, als Bewegung in den Kreis der Soldaten kam. Während die anderen sich in unterschiedliche Richtungen verteilten, kam Raiden vor mir zum Stehen und kurz hoffte ich, dass er etwas sagen würden, um das Chaos in mir zum Schweigen zu bringen.

„Ich begleite dich zurück zum Fahrzeug. Auch während der Übung wirst du im Fahrzeug warten, bis wir dich abholen.", sagte er lediglich und ging den Weg zum Fahrzeug schweigend neben mir her. Würde es immer so zwischen uns laufen? Das wir Redebedarf ignorierten und so taten, als wäre nichts gewesen?

„Raiden...", setzte ich an, als ich soeben auf den Rücksitz des Fahrzeuges kletterte.

„Nicht jetzt, Jess!", schnitt er mir rau das Wort ab, seine Bitte klang fast schon verzweifelt. Bevor er die Fahrzeugtür schloss, gewährte er mir jedoch zumindest noch einen kurzen Blick in seine Augen. Und was ich darin sah, ließ mich mit schnell klopfenden Herzen im Fahrzeug zurück. Die letzte Nacht und der heutige Morgen ließ ihn ebenso wenig kalt, sogar im Gegenteil. In seinen grünen Augen tobte ein ähnliches Gefühlschaos wie in meinem Herzen. Nur konnte und wollte er sich keinen Moment der Schwäche erlauben, sondern musste funktionieren. Allzu gut hatte ich noch Lieutenant Pharells Warnung im Kopf, dass er Raiden beim kleinsten Fehltritt eigenhändig suspendieren würde.

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