Kapitel 2

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Ich hatte mich bis jetzt noch nie mit dem Sterben auseinandergesetzt und bereute es nun. Denn war es jetzt nicht zu spät, sich zu überlegen, was danach kam? Doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es ein schöner Ort sein würde.

Ich fand mich auf einer friedlichen und sonnigen Lichtung in einem verwunschenen Laubwald wieder. Blätter, die leise im Wind raschelten. Der Duft von vielen verschiedenen Blumen, die in allen Farben erstrahlten. Das leise Summen von Bienen, welche geschäftig von einer Blüte zur nächsten flogen. Der Gesang von Vögeln, die neugierig näherkamen. Ein leise plätschernder Fluss in der Nähe, in welchem man sich auf dem Rücken treiben lassen konnte. Mein Vater, der an Krebs verstorben war, als ich sechs Jahre alt war, kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Er hatte hier auf mich gewartet und wollte genau wissen, was in den letzten 20 Jahren passiert war. Und ich erzählte ihm nur allzu bereitwillig alles. Er sah nicht mehr krank aus und schien auch kein bisschen gealtert zu sein. Und ihn so wiederzusehen, ließ mein Herz vor Erleichterung und Freude schneller schlagen. Wir lagen nebeneinander im Gras und unterhielten uns über meine Schwestern Mia und Sophie und natürlich auch über meine Mutter. Ich erzählte ihm von meinem Medizinstudium und das ich so gerne Ärztin geworden wäre. 

„Das kannst du immer noch werden, mein Schatz!" sagte mein Vater ermutigend und drückte mir liebevoll einen Kuss auf den Handrücken. Dabei kitzelte sein Schnauzer auf meiner Haut, was mich schon als Kind immer zum Kichern gebracht hatte.

„Aber ich bin tot...?" werfe ich skeptisch ein, doch mein Vater schüttelte nur energisch den Kopf und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den Waldrand. Tatsächlich steht dort ein Mann im Halbschatten. Er streckt eine Hand nach mir aus und schien meinen Namen zu rufen, doch der Wind in den Bäumen nahm zu und ich verstand nicht, was er sagte.

„Aber ich möchte gerne hier bleiben bei dir, Papa!" bat ich ihn hoffnungsvoll und wandte mich ihm wieder zu. Hier war es egal und unbedeutend, was passiert war und ich fühlte mich, als hätte ich Frieden mit mir und meinem Leben geschlossen.

„Nein, Jess! Deine Zeit ist noch nicht gekommen aber ich werde hier auf dich warten." Seine Stimme klang liebevoll aber entschieden. Wir umarmten uns noch einmal ausgiebig, ehe ich mich schwer seufzend von ihm löste und auf den Mann zuging, der weiterhin am Waldesrand auf mich wartete. Doch meine Traurigkeit und Enttäuschung wurde von Freude und Erleichterung verdrängt, als ich Raiden erkannte. Er lächelte mir zu, nahm meine Hand und führte mich wortlos immer tiefer in den Wald hinein und weiter weg von der Lichtung, auf der ich meinen Vater zurückgelassen hatte. Wir stiegen einen großen Berg hinauf, doch komischerweise fühlte ich mich keineswegs erschöpft. Oben hatten wir eine unglaubliche Aussicht und ich lachte ausgelassen, als ich mich mit ausgebreiteten Armen im Kreis drehte. Dieser Ort hier war unbeschwert und ich fühlte mich wieder wie ein Kind, dass sich ganz unkompliziert über alles Schöne im Leben freute, ohne über die Zukunft nachzudenken. Raiden sah mir dabei zu und stoppte mich dann, indem er mich in seine Arme zog und fest an sich drückte. Noch ehe ich die Umarmung erwidern konnte, ließ er sich plötzlich nach hinten über die Felskante kippen und riss mich mit sich. Für eine Sekunde schienen wir in der Luft zu schweben, ehe wir immer schneller auf den Boden zurasten. Ich krallte mich an Raiden fest und schloss die Augen in Erwartung des Aufpralls. Doch bevor wir den steinigen Boden erreichten, wurde ich in einen Strudel aus Nebel und dunklen Farben gezogen und wo ich mich zuvor noch an Raiden geklammert hatte, war nun nichts.

Ein grelles Licht blendete mich schmerzhaft und ich sah beängstigende Schatten kommen und gehen. Ein penetrantes Piepen und rhythmisches Schrillen trommelte auf meine Ohren ein und ich war froh, als es endlich verschwand. Eine Stimme schien direkt in mein Ohr zu schreien und doch verstand ich nicht, was sie sagte. Ich spürte eine Berührung an meinen Fingern und hätte meine Hand am liebsten weggezogen, doch sie schien mir nicht zu gehorchen und Angst breitete sich in mir aus. Ich atmete schneller, aber es war, als würde meine Lunge ihren Dienst versagen und ein unfassbares Gewicht auf meinem Brustkorb lasten. Ich glaubte ersticken zu müssen. Ich versuchte Luft zu holen, jedoch würgte ich nur ohne Erfolg. Dann nahm ich eine Kälte zuerst in meiner Hand wahr, die langsam meinen Arm hochkroch und dann in meiner Brust ausstrahlte. Sie schien von meinem ganzen Körper Besitz zu ergreifen und es fühlte sich an, als würde ich bei lebendigem Leib zu einer Eisstatue erstarren. Doch zumindest nahm sie mir die Angst und ich konnte endlich wieder atmen. Dann spürte ich eine Hand auf meiner Stirn, die sich irgendwie tröstlich anfühlte. Ich glitt rein und raus in den Dämmerzustand und schien einfach nur ohne Kontrolle dahinzutreiben.

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