Kapitel 46

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Brian und ich trafen uns vor dem Gebäude und gingen gemeinsam zur Kantine. Er sprach den Vorfall zum Glück mit keinem Wort mehr an, aber leider hatte mein Kampf mit Lieutenant Pharell schneller die Runde gemacht, als befürchtet.

„Ich habe gehört, das Nahkampftraining heute soll besonders interessant gewesen sein.", sprach mich Corban an und musterte mich sowohl fragend als auch belustigt mit hochgezogenen Augenbrauen. Sofort hielt die Wärme wieder Einzug auf meinen Wangen, während ich es nicht schaffte, mein Blick von dem vollen Teller vor mir zu lösen.

„War in Ordnung.", erwiderte ich achselzuckend, ohne näher darauf einzugehen.

„Das war sogar zeimlich beeindruckend und ich hatte das Glück, in der ersten Reihe dabei zu sein, als unsere liebe Jess dem werten Lieutenant Pharell einen kleinen, zarten Arschtritt verpasst hat.", vernahm ich von Brian und warf ihm einen strafenden Blick zu. Alan lachte darauf aus vollem Hals und verschluckte sich beinahe an einem Stück Kartoffel. Auch die anderen Männer grinsten belustigt. Nur Raiden spannte sich merklich an und fand es scheinbar weniger amüsant. Ich konnte nur hoffen, dass niemand den Grund für die Auseinandersetzung zwischen Lieutenant Pharell und mir kannte. Ich wollte mir Raidens Reaktion nicht ausmalen, wenn herauskam, dass Lieutenant Pharell mich geküsst hatte.

Ich musste mir während des Essens allerlei Kommentare und Witze anhören, doch ich versuchte locker zu bleiben und mir nichts anmerken zu lassen.

Am liebsten hätte ich mich für den restlichen Abend in meinem Zimmer verkrochen. Die Zeit raste an mir vorbei und ich fühlte mich regelrecht von ihr überrollt. Die letzten Tage hatten sich die Ereignisse geradezu überschlagen und mein Herz war so überlastet, dass ich mich einfach nur noch erschöpft und dumpf fühlte. Das Treffen mit Baschar und die Wahrheit über den Waffenschmuggel, mein Kuss mit Lieutenant Pharell, die Folter durch die drei Männer. Dazu kam noch, dass ich morgen tatsächlich wieder an den Ort zurückkehren würde, wo ich viele Wochen gefangen gehalten wurde und dass ich morgen Abend letzendlich diesem Stützpunkt für immer den Rücken kehren würde. Zu viel war passiert, was mich jedes Mal ein Stück mehr zerstört hat. Ich befand mich im freien Fall und hat jeglichen Halt verloren. Doch ich durfte nicht bremsen, da ich diesen Stützpunkt schnellstmöglich hinter mir lassen musste.

„Ach komm schon, Jess! Ein bisschen Karten spielen ist ein toller Zeitvertreib.", versuchte Alan mich zum wiederholten Mal zu überreden, mich den Männern zu einer Runde Karten anzuschließen. Ich hatte schon mehrfach versucht abzulehnen, aber langsam gingen mir die Ausreden aus und ich willigte schließlich nickend ein. Ich nahm mir vor, den letzten Abend mit ihnen einfach zu genießen.

Wir machten es uns in Raidens Zimmer auf dem Boden bequem und Alan zauberte einen dicken Stapel Karten aus seiner Jackentasche. Die Karten waren zum Teil schon vergilbt und wiesen etliche Gebrauchsspuren auf. Die anderen verbrachten eine geschlagene Viertelstunde damit, mir die Regeln zu erklären. Es erinnerte mich von den Grundregeln an Romme, jedoch gab es so viele zusätzliche Regeln, dass ich schon bald den Überblick verloren. In der ersten Runde zeigte sich, zur Belustigung aller, auch ziemlich schnell, dass ich überhaupt gar nichts kapiert hatte. Auch wenn ich zu Beginn ablehnend gegenüber diesem Abend gewesen war, so erwischte ich mich immer öfter beim Lachen. Corbans Versuche das Spiel möglichst ernsthaft zu spielen, Alans lustige Kommentare und Corbans Glückssträhne lenkten mich von dem grauen, nebeligen Chaos in mir ab. Selbst auf Raidens Geischt schlich sich ein ausgelassenes Grinsen und die Unbeschwertheit stand ihm gut.

Zwei Stunden später, in denen ich jedes einzelne Spiel haushoch verloren hatte, kündigte Raiden an, dass es noch eine Überraschung gäbe. Und unter wilden Spekulationen verschwand er im Nebenzimmer. Ich lehnte mich im Schneidersitz mit dem Rücken an das Sofa hinter mir. Da Alan, Kenneth, Corban und Brian gerade in eine sinnlose Diskussion über die Regeln vertieft waren, nahm ich mir die Zeit sie zu beobachten. Jeder einzelne von ihnen ist mir irgendwie ans Herz gewachsen. Und das traf sogar für Brian zu, auch wenn er es mir vorallem am Anfang nicht leicht gemacht hat. Sie waren so grundverschieden, aber in ihren Herzen wie Brüder. Sie würden mir wirklich fehlen und unerwarteter Weise spürte ich, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Hastig senkte ich den Blick, damit niemand es sah.

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