16. Daniel

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Verlegen rückte ich ein Stück zurück. Für einen kurzen Moment taten wir nichts anderes, als uns gegenseitig tief in die Augen zu sehen. Ich konnte schwer beschreiben, wie unfassbar schön dieser eine Moment mit ihm war. Dass wir uns noch näher kamen und miteinander geschlafen hatten. Meine Augen wurden vor Müdigkeit immer schmaler. Entspannt kam Philipp direkt neben mich, legte seinen Arm um meinen Körper und zog mich zurück in die Liegeposition.

„ Ich liebe dich" flüsterte er mir zu. Ich schmiegte meine Wange an seinen nackten Oberkörper und antwortete: „Ich liebe dich auch". Todmüde fielen mir die Augen zu, und ich überließ mich dem Schlaf.

„ Ich störe euch doch nicht rein zufällig?" wurde ich von einer Stimme geweckt, die plötzlich neben mir auftauchte. Mit einem Mal schlug ich die Augen auf und starrte erst ins Nichts, dann ins Gesicht von Philipps Mutter. Sie hatte uns gestern doch nicht etwa bemerkt, oder?

Es herrschte peinliche Stille, bis auch Philipp wach wurde und vor Angst hochschreckte. „ Irgendwelche Wünsche fürs Frühstück?" fragte sie uns während sie rückwärts gerichtet, zur Tür ging. Gleichzeitig schüttelten wir mit den Köpfen und ein paar Sekunden darauf war sie ohne ein weiteres Wort verschwunden.

Mit einem beruhigten Seufzen plumpste ich zurück ins Kissen. Philipp runzelte die Stirn. „ Was ist los?" „Nichts es war nur so schön gestern" „Ja sehr" fügte ich mit einem sanften Lächeln hinzu. Meine Lust auf Frühstücken war eher gering.

Als ich mich wieder umsah stand Philipp immer noch ohne Klamotten neben dem Bett und bückte sich um sie aufzusammeln. Ich allerdings versteckte mein Gesicht bis zur Nase unter der Bettdecke und beobachtete ihn bei dem, was er tat.

Ich würde jeden Moment wieder einschlafen, also entschied ich mich, dazu aufzustehen. Später packten wir meine Sachen zusammen und wechselten hinüber ins Wohnzimmer. „ Musst du schon nach Hause?" „ Ich hab meiner Mutter gesagt, das ich Sonntag etwas früher heim komme" beantwortete ich die Frage von Philipps Mutter.

Mit einem netten Nicken verabschiedete sie mich und ging zurück in die Küche. Auch Philipp verabschiedete mich mit einem Kuss auf die Stirn.

Ausgerechnet jetzt, an einem gemütlichen Sonntag stand ein fremder, schlanker, braun haariger Mann im Flur, nachdem ich zu Hause durch die Tür trat. „ Hallo Jessie sieh mal wer wieder da ist" rief meine Mutter. Etwas schüchtern sah mich der Fremde an und streckte anschließend seine Hand zu mir aus.

Manchmal fragte ich mich, ob ich die Personen kannte, die so plötzlich in unserem Haus auftauchten. Er ging paar Schritte zurück und verkniff sich ein Schmunzeln. Prüfend wanderte mein Blick von oben nach unten und verharrte, als: „ Na, wie geht's dir, Schwesterchen?" von ihm kam.

Erst jetzt realisierte ich, dass es kein Fremder war, der vor mir stand, sondern mein 24 Jahre alter Bruder Daniel. „ Oh, du hast dich sehr stark verändert. Tut mir leid, dass ich dich nicht direkt erkannt habe" stotterte ich nur dumm vor mich hin. Etwas durcheinander löste ich mich aus der Starre und fiel in seine Arme, die er bereits ausgestreckt hatte.

Daniel hatte sich vor gut einem halben Jahr dazu entschieden mit seiner Freundin Jasmin die er auf seiner Arbeit kennen gelernt hatte, sich etwas Auszeit zu nehmen und eine Weile in Frankreich zu leben. Endlich war er mal wieder für ein paar Tage in Langenhagen, wo meine Mum, mein Dad und ich wohnten.

„ Wo hast du Jasmin gelassen?" „ Sie wollte schnell zu einer Freundin fahren und mich danach wieder hier abholen. Wir wollen noch essen gehen beim Griechen und dann ins Kino diesen neuen Kitsch Film schauen" erzählte er, Mama und mir. „Kitsch Film? Meinst du 'My only Love' ?" „ Woher kennst du denn diesen Film?" fragte mein Bruder mich. Kurz danach sprang meine Mutter mit ins Gespräch ein.

„ Na, sie war im Kino mit ihrem Lover" „ Man Mama! Ich bin auch fähig dazu selber Fragen zu beantworten" fauchte ich ihr zu. Daniel starrte uns fragend an. „ Komm mit hoch ich erzähle dir, was los war in den letzten Wochen" sprach ich rasch zu ihm und steuerte auf die Treppe zu, mit meinen Sachen im Schlepptau.

Daniel gehorchte wie ein Hund und folgte. Kaum hatte ich meinen Rucksack ab geschmissen, saßen wir auf meinem Bett. Daniel zog sich ein Kissen in die Arme und lehnte sich etwas zurück, den Kopf auf dem Kissen und die Arme auf der Brust verschränkt.

„ Gibt es was wichtiges bis auf deinen Freund, von dem ich nichts weiß?" „Philipp" hackte ich schnell dazwischen, bevor er weiter reden konnte. Ich sah nur, wie Daniel eine Augenbraue hochzog und seinen Namen wiederholte. „Philipp" murmelte er, immer wieder, bis irgendwann nichts mehr von ihm kam.

Expire - Kampf gegen den TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt