Kapitel 25: Überall hin!

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Es dauert kurz, dann steht dort am Fernseher: "Videodatei wiederholen."

Roxas schleicht sich aus der Umarmung seines Vaters und geht ruhig zum DVD-Player. Es ist leise, als er den Ausschalter drückt und das Licht verschwindet. "Das waren wirklich schöne Erinnerungen", murmelt er nach gefühlten Minuten. "W-was ist mit ihr passiert?", frage ich unsicher. Vielleicht wäre es besser nicht nachzuhaken, aber jetzt nachdem ich das gesehen habe, will ich es wissen. "Sie hat es halt eben nicht geschafft", antwortet mir der Junge trocken und sein Vater steht auf. Wortlos verlässt er den Raum und lässt uns zurück.

Also ist sie gestorben ... "Woran?"

"Herzprobleme ..."

Ich schlucke schwer. Roxas klingt ziemlich gebrochen, also muss ich Rücksicht darauf nehmen. "Bitte - reden wir nicht mehr über Mama, okay?"

Du kannst ruhig weinen, Roxy. Ich sehe doch sowieso, wie du die Tränen zurück hältst. "Weinen ist nicht s-schlimm..." - "Ich weiß." Trotzdem tust du es nicht.

Warum tust du es nicht? Du hast schon einmal in meinen Armen geweint ...

Kurz herrscht eine Stille zwischen uns - zum ersten mal ist sie unangenehm.

"Aber das ist schon viele Jahre her und deswegen ist es jetzt gut. Es ist wie es ist - sie ist und bleibt ein Teil unserer Familie und du gehörst jetzt auch dazu, Kleiner."

Ich sehe zu Boden. Roxas ist so stark ... Ich könnte das nicht...

"Könnten wir jetzt noch etwas anderes machen? Ich will nicht doch noch in Tränen ausbrechen."

Natürlich nicke ich ...


Das Thema wird totgeschwiegen und unsere Beziehung baut sich immer weiter auf. Roxas ist sehr sanft zu mir, streichelt mich, küsst mich und auch ich darf seinen Körper nach belieben erforschen. Zum Sex ist es allerdings noch nicht gekommen. Heute ist ein Sportfestival - nicht unbedingt das Schönste an der Schule. Roxas muss wie immer nicht mitmachen. Nie muss er mitmachen. Er muss nicht einmal die schweren Geräte schleppen helfen. Er hat es gut ...

Am Abend steckt er mir eine Karte zu und verschwindet kurz auf der Schultoilette. Mit gerunzelter Stirn klappe ich sie auf.


Wo bleibt deine Antwort?


Meint er den Brief? Hehe, davon kann er gerne welche haben, aber nicht mehr heute ... Der Tag war einfach zu anstrengend.


"Du kannst so schön spielen", flüstere ich im Halbschlaf neben dem Piano sitzend. "So schaffst du das locker beim Konzert..."

"Meinst du?", höre ich seine Stimme und ein klappendes Geräusch. Roxas stellt immer wieder den Tastenschutz herunter. Er setzt sich neben mich und kuschelt sein Gesicht an meins. Ja, Roxas ist Mitglied der Schulband und morgen hat er einen großen Tag vor sich. Bevor sie mit spielen anfangen, muss er ein Solo am Piano hinlegen. Aber Roxas spielt sehr gut - ich bin davon überzeugt, dass er es mit links schafft. Wer mit geschlossenen Augen Lieder wie die Komponisten selbst spielen kann, der muss sich wirklich keine Sorgen machen. "Ich bin so aufgeregt", flüstert er und hält meine Hand, wie so oft. Auch nach Wochen kribbelt es noch - es wird einfach nicht selbstverständlich bei ihm zu sein, an seiner Seite. "Bald sind die Sommerferien."

"Mhm", mache ich bestätigend und müde. "Da würde ich gerne mit dir wohin fahren."

"Wohin?"

"Überall hin."


Überall hin? Klingt ja vielversprechend. "Zum Beispiel?..."

Ich lege meinen Kopf auf seine Schulter, um ihn als Kissen zu missbrauchen.

"Zum Beispiel in so ein Minki-Cafe in Japan, das Riesenrad von Singapur steht auf meinen Plan, ich würde gerne mal in so ein 4D-Kino gehen...", beginnt er aufzuzählen. Ich zwinge mich, meine Augen ein Stück zu öffnen und zu ihm aufzusehen. "Dein ernst?" - "Ja, ich will so vieles machen!"

"Teuer?" - "Du weißt doch - mein Vater bezahlt alles." Weil du auch das einzige bist, was ihm geblieben ist, Roxy. Ich bin zu müde um mich wirklich darüber zu freuen, vielleicht träume ich das ja auch einfach nur ...


"Hast du alles?", fragt Roxas Vater ihn und rückt seinen Anzug zurecht. Es ist so ungewohnt Roxas in so etwas zu sehen, wo er doch immer etwas ausgefallener ist. Etwas sehr! "Ja, ich habe alles. Ich brauche doch fast gar nichts", gibt der Sohn etwas trotzig von sich, als sein Vater an ihm herum rückt. "Du siehst gut aus heute", füge ich mich im Gespräch ein, als ich Roxas vor mir sehe. Seine Haare sind gemacht, der schwarze Anzug sitzt perfekt. Mit der roten Karokrawatte stimmt auch alles. "Ja, so werde ich dich auch irgendwann heiraten", erwidert er mir und streckt mir die Zunge raus. Ich laufe sofort wieder rot an und sehe auf meine Schuhe. Heiraten!? Das war doch jetzt nur Spaß, oder?


"Du wünscht mir doch Glück, oder?", fragt er im Auto grinsend. Er scheint wirklich au8fgeregt zu sein und sich auf sein Solo zu freuen. Kein Wunder, dann kann ja ejder sehen, wie schön er spielen kann! Mein Roxy ... "Du brauchst kein Glück, so wie du es drauf hast." Ist nur die Wahrheit!

Um zur Aula zu kommen, welche wir als Konzertsaal missbrauchen müssen, gilt es einige Treppen zu erklimmen. Roxas ist wie immer schnell außer Atem und verschnauft oben angekommen kurz. Es wunder mich immer wieder, wie wenig Kondition er hat. Vielleicht ist ihm das unangenehm und er macht deswegen nie Sport mit, weil er nicht will, dass alle ihn auslachen, wenn er nach drei zwanzig Meter sprinten nicht mehr kann. Obwohl - nein. Roxas gibt einen Scheiß auf das, was andere von ihm denken, ganz im Gegensatz zu mir. Aber jetzt, wo Roxy an meiner Seite ist, da ist es mir schon viel weniger wichtig als damals. Sprechen geht jetzt einigermaßen. Mit ihm, Familie und auch Jay sogar. Allerdings scheint es bei wütenden Lehrern noch immer beinahe fast unmöglich zu sein. "Gehts?", frage ich und halte ihm die Tür zur Aula auf. "Klar gehts!"


In der Aula trennen sich unsere Wege leider. Er gibt mir einen kurzen, sanften Kuss, bevor er die Bühne hinaufsteigt und mir noch einmal kurz winkt. Ich lächle zufrieden und setze mich in einer der ersten Reihen, um ihn ja schön bestaunen zu können.


Es ist recht dunkel hier und die Vorhänge sind noch zu gezogen. Ich glaube, ich bin fast aufgeregter als Roxas selbst. Die Leute um mich herum reden wieder, doch ich schalte es einfach aus. Ich lasse es einfach an mir vorbeiziehen.

Kurz bevor es los geht, sehe ich noch einmal, wer neben mir sitzt. Mein Herz setzt kurz aus, als ich nur wenige Plätze neben mir Ashley entdecke. Dieser Junge, mit dem er Händchen gehalten hatte, sitzt auch neben ihm. Dieser Pisser. Wenn Roxas ihn sieht kommt er vielleicht wieder so durcheinander.

Die roten Vorhänge werden aufgezogen und ein schwarzer Flügel steht in der Mitte der Bühne. Roxas ist noch nicht zu sehen, gar niemand ist zu sehen. Es dauert kurz, bis mein freund mit einem Mikrofon in der Hand die Bühne betritt. Er macht das schon, ich glaube an ihn! Er stellt sich an den vorderen Rand der Bühne, das Licht ist auf ihn und den Flügel hinter ihm gerichtet.

"Danke, dass ihr heute alle gekommen seid!", hallt seine Stimme durch die Boxen an den Wänden. "Ich freue mich, hier und heute für euch spielen zu dürfen." Sein Blick fällt zu mir und ein kurzes, freches Grinsen huscht über seine Lippen. Er geht mit dem Blick die Reihen ab und stockt nur eine Sekunde - ich weiß genau wo - und schaut dann weiter. Er lässt sich wohl von Ashley nicht aus dem Konzept bringen. "Ich wünsche euch einen angenehmen Abend und ich hoffe, dass ihr genauso viel Spaß haben werdet wie wir!"

So viel zum Vorwort.

Loveletters (BoyxBoy, Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt