Kapitel 5: "L-l-l-läscheln!"

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Gerne würde ich fragen, ob alles okay ist - doch mein Sprachfehler soll es mir wieder unmöglich machen. Der Push, den ich durch Roxas freundschaftliche Umarmung erfahren habe vergeht langsam auch wieder und mein Herz schlägt wieder im normalem Rythmus. Wir setzen uns zu dritt an den Tisch, an welchen die zwei gestern gespielt haben. Jayden deutet auf mich und sieht zu Roxas, welcher dazu nickt. Muss ich das verstehen? "Und was hat er dazu gesagt?" - "Er wollte nicht 'darüber diskutieren.'" Was? Wer wollte nicht mit Roxas diskutieren? Die Körperprache der beiden belangte wohl an, ob ich mithören darf oder nicht ... Und Roxas hat bejaht! Vertraut er mir oder denkt er, dass ich sowieso zu blöd zum weitertratschen bin? "W-w-w-wer?", frage ich aus Neugier und beäuge den Kettenjungen neben mir. Wir bilden eine Art Dreieck um den Tisch.
"Mein Ex-Freund", seufzt Roxas und legt Arme und Kopf auf den Tisch. Bitte was? Sein Ex-Freund!? Ein Junge?! "Aber du ...", will Jay das Gespräch fortführen, doch die Tür geht erneut auf und ein weiterer Junge, ganz in schwarz gekleidet, tritt ein. Schon wieder so ein komischer, mann! Können die hier nicht mal normal aussehen? Die drei begrüßen sich mit Worten und Blacky - so nenne ich den Emo-Typen jetzt - verschwindet genau so schnell wie er gekommen ist. Er hat wohl nur irgendetwas vergessen ...
"Aber du kannst doch gar nichts dafür, dass weiß er, oder?"
Roxas nickt und ich kann es immer noch nicht begreifen, dass die beiden wirklich von einem Jungen reden. Ist Roxas etwa schwul!? Würde zu diesen Club hier passen. Scheiß auf Schülerhilfe - das hier ist der Treff der Abnormalen.

Als Antwort gibt Roxas nur ein Schulterzucken von sich. Ich kann sie sehen - die Trauer in seinem Blick. Trennungsschmerz, was? Das ist meine Chance mir mehr Sympathiepunkte bei Roxas zu sammeln, indem ich einfach nur bei ihm bin, hehe. Obwohl ich schon immer der Außenseiter war und bin, bin ich schon immer der treue Tröster gewesen. Ich erinnere mich noch, als Menschen mit denen ich einfach nichts zu tun hatte, geweinr haben und ich der einzige war, der sich wortlos neben sie gesellt hat um ihnen das Gefühl zu geben, dass sie nicht ganz alleine sind, wenn sich alle gegen sie gestellt haben. Natürlich habe ich nicht stundenlang neben traurigen Menschen gesessen, weil ich so großen Mitleid hatte. Eher, weil ich mir erhofft habe, auf diese Art und Weise Freunde zu finden. Doch all diese Leute sagten nicht einmal Danke zu mir! Trotzdem helfe ich immer wieder - sogar denen, die einfach nur gemein zu mir sind.
Erst vor ein paar Tagen ist es passiert - das perfekte Beispiel von Undankbarkeit mir gegenüber! Im Sportunterricht hat ein Mädchen, das mich auch wegen meiner Stotterei herunter macht, Kreislaufprobleme bekommen, weil sie kein Frühstück hatte. Niemand wollte ihr etwas von dem eigenen Essen abgeben - kein Wunder, sie ist auch eine wirklich fiese! Und obwohl ich sie hasse bin ich mein einziges Brot holen gegangen, um es an sie zu verscheuern. Ich, der Typ, den sie immer anschreit! Unverschämt wie diese Schlampe auch noch ist, hat sie mein Brötchen aufgeklappt und gesagt: "Da ist Schinken drauf. Das ess ich nicht."
Am liebsten hätte ich ihr in ihre hässliche Visage gespuckt! So einen schlimmen Kreislaufanfall kann sie demzufolge wohl nicht gehabt haben! Doch dann nahm sie sich eine trockene Hälfte ohne Wurst ...
Da ich meine Brottüte schon weg geschmissen hatte, aß ich einfach neben ihr mein halbes Brot und wurde auch noch vom Lehrer zur Sau gemacht!
"Reza, eigentlich sollte diejenige etwas essen, die heute noch nichts gegessen hat." Mal damit angefangen, dass ich auch nichts gegessen habe, da ich nie frühstücke um länger schlafen zu können, habe ich es ihr doch angeboten, dieser Hure!
Dann kam der vernichtende Spruch des Lehrers: "Bist du in der Lage ihren Puls zu messen?"
Noch blöder kann man es wohl nicht formulieren, oder sehe ich das falsch?
Die Alte sprach dann noch von ihren Lieblingsanimes und schwärmte von ihren Lieblingscharakter. Alles schön und gut - ich habe auch meine Favoriten. Aber nachdem sie mich zu einer Äußerung gezwungen hat, stotterte ich eben heraus, dass ich diesen Charakter langweilig finde. Sie rief: "Was!?", und holte mit ihrer Jacke aus. Der Schmerz hat sich bis in meine Finger vorgetastet, als der Reißverschluss einmal über meine Brust zog - und das nicht einmal zwanzig Minuten nachdem ich nett zu ihr war! Diese ...
Aber ich habe schön brav gelächelt. Bloß meinen Hass nicht zeigen!
Jedenfalls denke ich, dass Roxas anders ist und mir nicht so entgegen kommen wird, sondern dass er dankbar sein wird. Nicht so unverschämt wie diese Trulla aus der Unterwelt.

Ich rücke mit dem Stuhl näher zu Roxas und lehne mich kurz an ihn, um seine Schulter tröstend mit meiner anzustoßen. Als er mich mit den goldbraunen Augen ansieht, lächle ich aufmunternd. Einer der Gründe, warum ich ein guter Tröster bin?
Aus welchen Gründen sind Tiere denn gute Tröster?
Weil sie nicht sprechen, nicht die falschen Worte sagen. Weil sie einfach da sind und dir zeigen, dass sie deine Trauer verstehen, aber es auch bald wieder gute Zeiten geben wird! "Danke, du bist lieb." Roxas tätschelt wieder meinen Kopf, so wie in der Eisdiele, doch ein Grinsen oder anderes Anzeichen von Besserung huscht nicht über sein Gesicht. Vielleicht würde er sich ja freuen, wenn ich mit ihm reden würde, ohne zu stottern? Indem ich ihm zeige, dass seine Mühen sich lohnen? "L-l-l-läscheln!" Geil. Ironie. Nicht nur, dass ich gestottert habe - ich habe auch noch komisch gelispelt und dad ganze Wort ausgesprochen, als könnte ich keine Sch-Laute! Doch trotzdem: Er lächelt tatsächlich. "Und süß", fügt er dann an. Ich kann mir ein Grinsen nicht unterdrücken, hatte eben ein Erfolgserlebnis! Ich hab Roxas eine kleine Freude gemacht!

Das Thema von Roxas Ex-Beziehung wird beiseite geschoben und dafür haut Jay ein Kartenspiel auf den Tisch. Ich lese auf den kleinen Kasten: Ligretto.
Ich mag Kartenspiele nicht, verdammt! Aber ich will den beiden nicht den Spaß verderben, denn sie scheinen es ziemlich cool zu finden. "Weißt du, wies geht?", fragt mich das Grünköpfchen wieder und ich überlege schon, ihn Hulk zu taufen. Jay teilt sich, mir und Roxas Karten aus und scheint schon ganz geladen zu sein. "Es ist anders als ein normales Kartenspiel", sagt er, während ich eher unbegeistert zuhöre. "Jeder ist gleichzeitig dran und es geht um Schnelligkeit - der schnellste gewinnt eben." Klingt zumindest nicht so langweilig wie Mensch-Ärgere-Dich-Nicht. Kartenspiele mag ich trotzdem nicht. "... wer zuerst alle Karten weg hat, ruft Ligretto oder Stopp. Alles klar?" Ich nicke wieder und sowohl Jay als auch Roxas stehen von den Stühlen auf, als ob hier gleich eine Party am Laufen ist!
Und tatsächlich, beim Los bemerke ich wieso sie stehen ... Man kommt sonst nicht schnell genug an die Kartenstapel am anderen Ende des Tisches! "Beeil dich, verdammte Scheiße!", schreit Roxas total aufgewildert zu mir herüber. "Jay hat nur noch zwei, alter!" Dieser lacht herrlich böse, als ob er der Bösewicht eines Animes wäre. Das ganze Spiel über fallen Schimpfwörter, die ich noch nie gehört habe und schreie selbst fast die ganze Zeit herum. Ich bekomme vor lauter Wut, als ich verliere, sogar das Wort: "Huren-Arschloch!" ohne zu stottern heraus und falle erschöpft auf meinen Stuhl zurück. Das war Sportunterricht 2.0, mein Gott. Aber es hat Spaß gemacht, auch wenn hier aus Freunden Feinde werden. "N-n-n-n-nochmal?!"
Doch der Gong unterbricht uns leider.
Verdammt ... Ich liebe Kartenspiele.

Loveletters (BoyxBoy, Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt