Kapitel 26: Überhaupt keine Rolle

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Ein Mädchen eilt auf die Bühne und nimmt Roxas das Mikrofon ab. Der junge Mann dreht sich ungewöhnlich elegant um und schreitet zu seinem Instrument. Im Licht des Scheinwerfers streicht er über das glänzende Schwarz, während er sich an den Flügel setzt und die Tastenklappe sanft nach oben legt. Alle sind still, nicht eine einzige Stimme, kein Flüstern kann ich wahrnehmen. Es ist für mich, als wäre die Zeit für diesen Moment um mich herum stehen geblieben. Dass nur ich alleine hier sitzen würde, ganz alleine.

Dass nur ich hier bin und Roxas nur für mich spielt. Im Anzug, herausgeputzt, mit seiner Sanftmütigkeit, mit all der Liebe und dem Gefühl für sein Instrument, das er spielt. Er legt die Finger auf die Tasten. Bisher ist mein Herzschlag das einzige, was ich hören kann, fühlen kann. Ich schaue mir Roxas Gesicht an, wie er seine Augen schließt und seine Hände für ihn den Rest erledigen.

Roxas hat Talent dazu, die Herzen von Menschen ganz ohne Worte zu erreichen. Schon damals, als er mich einfach in den Arm genommen hat. Er macht einfach, er lebt einfach, er ist richtig.

Mag sein, dass ich eine Heulsuse bin, doch die Melodie seiner Finger auf dem Flügel dringen tiefer, als nur bis in mein Ohr. Es ist wie eine Hand, die eine Wasseroberfläche berührt und damit die sanftesten Wellen auslöst.

Ich schließe die Augen und senke den Kopf. Dass ich nicht ganz alleine hier im dunklen Saal bin, bemerke ich erst, als der Applaus ausbricht.

Verdutzt sehe ich von meiner Trance auf und Roxas verbeugt sich vor der Masse.

Das Mädchen eilt wieder herbei und gibt ihm das Mikrofon zurück. "Danke für eure Aufmerksamkeit", sagt seine sanfte Stimme. "Und nun viel Spaß mit der wirklichen Band!" Er winkt in das Publikum und ich winke zurück, obwohl ich weiß, dass ich nicht gemeint bin, sondern wir alle Roxas gibt nach Mikrofon wieder ab und die Vorhänge werden wieder geschlossen. Die Stimmern um mich herum sagen viele Dinge. "Oh, ist der süß!" - "Das war wunderschön!" und "Ich hab' voll geweint!" Ich bin wohl nicht die einzige Heulsuse hier.

Die restliche Musik ist auch wirklich ausgesprochen gut, doch nicht so berührend wie das, was Roxas gebracht hat.

Es ist spät, als das Konzert zu ende ist und alle gemeinsam verbeugen sie sich noch einmal. Dieser Emojunge ist mit in der Band und sogar Jay spielt hier Gitarre. Die anderen habe ich noch nie gesehen ... Ich springe aufgeregt vom Stuhl und laufe raus, als Roxas und seine Band hinter der Bühne verschwinden.

"Du warst einfach klasse!", rufe ich sofort, als ich Roxas aus der Tür kommen sehe und falle ihm glücklich um den Hals. Auch die anderen Bandmitglieder stehen um uns herum und sind alle bester Laune. Sie beglückwünschen sich gegenseitig, wie toll der jeweils andere war. "Ich habe gehört, du wärst demnächst auch dabei?", fragt mich der immer dunkel gekleidete Junge mit den schwarzen Haaren. Ich sehe ihn fragend an, dann zu Roxy. Dieser lächelt bescheiden und kratzt sich wieder am Hinterkopf. "Ja, alsooo ... Willkommen in der Band!" Ich will ein beleidigtes Gesicht ziehen, doch mein Lächeln verbietet es mir einfach. Ich kann aber nicht singen! Und kein Instrument spielen.

Wie als hätte Roxas meine Gedanken gelesen, klopft er mir auf die Schulter. "Hey, das hast du auch von Sprechen gedacht!"

Wieder nebeneinander im bett kribbelt mein Bauch noch immer bei dem heutigen tag. "Ich hab mir vorgestellt, dass du nur ganz alleine für mich spielst", flüstere ich zufrieden und glücklich dem jungen zu, der mein hundertprozentiges Vertrauen gewonnen hat. "Ja?", er grinst und legt seinen Kopf auf meine Brust. Ich streichle durch sein weiches Haar und gebe ihm eine kurze Liebkosung. "Wer hat gesagt, dass ich nicht ganz alleine für dich gespielt habe?" Ich kann anhand der Härte seiner Wangen spüren, dass er wieder einmal so keck grinst und ziehe ihm kurz spielerisch an einer Strähne. Er sieht mich an, beide schweigen kurz ... Bevor er sich auf mich lehnt und mir die Zunge in den Mund schiebt. Ich schließe wie automatisch die Augen und spiele mit seiner.

Roxas knufft mir kurz in die Wange, als er sich löst. Seine Lippen sind nicht mal einen Zentimeter von meinen entfernt, als er flüstert: "Bitte sing für mich ..."

Etwas entgeistert sehe ich ihn an, doch drücke dann seinen Kopf an meinen hals. "Aber denk nicht, dass ich doof bin!"

Er kichert kurz und nimmt meine Hand in seine. "Reza, es ist scheiß egal was wer von dir denkt. Sei du selbst und du findest jemanden, der dich liebt wie du bist. Ich weiß, es klingt wie blödes Gerede, aber wie du siehst habe ich mich auch mit Stottern in dich verliebt und du hast mit deiner Eigenart jemanden gefunden, genauso wie ich dich finden durfte, obwohl ich schwul bin und mich eben nicht wie die Norm kleide. Scheiß drauf, was andere denken, sondern sei wer du bist und sei stolz drauf, dass du bist wer du bist und dass du dich nicht verbiegen musst, so wie die Leute, die mit dem Finger auf dich zeigen und dich auslachen, weil sie selbst einfach nur lächerlich sind."

Ich schweige bei seinen Worten. Wieder einmal hat er vollkommen recht.

Solange es nur einen Menschen auf der Welt gibt, der mich liebt wie ich bin, dann lohnt es sich so zu sein wie ich bin. Ich habe Roxas und er hat mich, wir haben uns, wir brauchen niemand anderen, außer uns.

Was andere denken?

Hehe, das spielt doch überhaupt keine Rolle!

Es ist egal!

Ich lächle und sage kurz und knapp: "Stimmt!" Wie so oft ...

"Was soll ich denn für dich singen?"

Roxy kuschelt sich fester an mich und sein lächeln nimmt ab. "Etwas ganz gefühlvolles", flüstert er und fängt an, mir leise etwas vorzusingen.

"If I die young ... bury me in satin ... Lay me down on a.. bed of roses ... Sink me in the river.. at down... Send me away with a the words of a love song.."

"Das ist aber traurig", flüstere ich zurück. "Bitte."

Ich seufze und entspanne mich kurz. "Ich kenn' aber nur den Refrain..."

"Egal..."

"If I die young", beginne ich und denke mich dabei in eine etwas andere Welt. Ich bin so glücklich hier bei Roxas und singe ein Lied von einer Beerdigung. Bei dem Gedanken an seine Mutter stimmt mich das irgendwie traurig. "Du singst schön", höre ich ihn sagen und fühle seine feuchte Wange. Ich kuschle ihn fest an mich. "Heute genug gesungen", flüstere ich. "Ja..."

"Reza?"

"Ja?"

"Ich wollte dir nur sagen, dass wenn du es zulässt ... Also, wenn du es auch willst ... Ich werde bis zum Ende meines Lebens an deiner Seite sein."

Ich lächle ihm zu. Ist das so? ich denke eher, dass er es sagt, weil es schön klingt. "Das ist mein völliger ernst, also grins nicht so. Ich liebe dich."

Er haucht mir einen Kuss auf die Stirn und legt sich neben mich, an mich geschmust. Mein Bauch kribbelt. Für immer an meiner Seite, wenn ich es zulasse? Ich werde es zulassen... "Kannst du mir ein Märchen erzählen?", frage ich einfach gerade heraus und halte Händchen mit ihm. "Welches willst du denn hören?"

"Mir egal ..."

Müde schließe ich die Augen und höre Roxy zu, doch ich bekomme nicht mehr alles mit. "Es war einmal ein kleines Mädchen, die hat von ihrer Oma eine rote Kaputze geschenkt bekommen. Weil sie die nie mehr ausgezogen hat, nannten sie alle nur noch das Rotkäppchen..." Seine Stimme verschwimmt langsam ... Bis ich vollends einschlafe.

Loveletters (BoyxBoy, Yaoi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt