Kapitel 46: Sound ist gecheckt!

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In der Schule sitze ich wieder neben Quent und der Vogelscheuche. Der Emojunge ist auch nicht unbedingt der beste in Sachen aufmerksam sein, denn er zeichnet den ganzen Unterricht lang - und zwar wirklich gut. Er benutzt verschiedene Bleistifte, unter denen ich nicht unterscheiden kann und zaubert damit wundervolle Tiere. Genauste Strukturen von Federn und Fell, Licht und Schatten - das alles ist nicht ansatzsweise ein Problem für ihn. In wenigen Sekunden hat er eine perfekte Skizze von dem Kopf eines Pferdes oder den Körper eines Wolfes.
Ab und an rutschen meine Augen zu ihm herüber. Dass er nicht mitschreibt oder wenigstens so tut, als würde er der süßen Lehrerin zuhören, scheint hier wohl niemanden zu stören.
"Psst", flüstert das Mädchen rechts neben mir und ich blicke schweigend zu ihr. "Hast du eigentlich einen Geliebten?" Stolz nicke ich. Ja, ich bin stolz darauf, dass ich Roxas einen Teil von mir nennen darf. "Süß", flüstert sie und grinst begeistert.

Als der Unterricht für heute beendet ist und alle Schüler wieder beinahe gehetzt ihre Sachen einpacken, zieht Quent mir am Ärmel. "Warte mal kurz", sagt er ruhig mit seiner Stimme und packt wieder bequem seine Zeichnungen weg. Er ist wohl immer der letzte, was? Auch die Lehrerin ist ziemlich entspannt, wohl weil sie weiß, dass ihr Schüler sich sowieso Zeit lässt. "Komm mit", murmelt er, als er fertig ist und verlässt mit mir die Klasse. "Ähm... W-wohin g-gehen wir?", frage ich leise, als ich ihm mit meiner Tasche im Arm hinterher laufe. "Zur Probe." Wie? Zur Probe?
Welcher Probe? Doch nicht etwa die Schulband!?

Ich traue mich nicht weiter zu fragen. Quent ist mir fremd, auch wenn ich Gewissheit darüber habe, dass er mir nichts tun wird und keine schlechten Absichten hegt. Wir finden uns alle in der Aula zusammen. Roxas und Jayden haben bereits alles aufgebaut. Ich komme mir vor wie der einzig normale unter den Menschen hier!
"Wo ist der Sänger?", fragt Quent etwas irritiert und Roxas deutet auf mich. "Da!" Ich!? Ich habe nein gesagt! Aber das ist ihm wohl egal ...
"Kim hat sich aus Frust verpisst, als es hieß, dass er ab sofort im Hintergrund singen soll", erklärt Jay und Roxas zeigt mit dem Daumen auf sich selbst. "Ich übernehme Back."
"W-wisst ihr...", werfe ich nervös unter Quents Anwesenheit ein und spiele mit meinen Fingern. "Was ist, w-wenn ich gar nicht h-hier hin will?"
"Willst du schon hinwerfen, ohne es je probiert zu haben?", lacht Roxy mich mit seiner typisch aufmunternden Art an und drückt mir ein Mikrofon in die Hand. "Sound ist schon gecheckt."
Bringt mir gerade nicht unbedingt viel ...

"Also, Tereza. Leg mal los", Roxas stellt sich neben mich und sieht mich mit begeisterten Augen an. Ich brauche unbedingt noch einen Frauennamen für ihn. Roxanas, verdammt. Genau.
"Ich ..." Mit mitleidigen Augen blicke ich zu ihm, doch er klopft mir auf die Schulter. "Wir wissen beide, dass dh gut singen kannst - also hopp hopp."
Ich seufze - nichts führt daran vorbei und so versuche ich es einfach. Ich kann mich selbst in keinster Weise abschätzen, als ich wieder Somewhere Over The Rainbow mit meiner besten Stimme vor mich hersinge. "N' Ton höher?", fragt Quent und ich wiederhole mich. Die drei sehen sich an. "Habe ich etwas falsches versprochen?", quakt Roxas stolz und Jay ist mit ihm in völliger Ekstase. "Aber er braucht Übung", Quent ist noch ruhiger als Jay, aber vielleicht liegt das auch an mir. "Na klar, deswegen sind wir ja hier!"

Meine verkrampfte Art löst sich nach einer Zeit und Roxas lobt mich für alles, was ich auch nur ansatzweise gut mache. Es erfüllt mich mit Stolz und mit dem Gefühl von Erfolg. Viel besser, als ein Versager zu sein.
Dementsprechend glücklich gehe ich auch Hand in Hand mit Roxy zur Bushaltestelle. "Ich hab' ein Geschenk für dich."
Ich sehe begeistert zu ihm. "Ach ja?"
Er lächelt etwas schief, bevor er mit mir im Bus verschwindet. Neugierig? Na, klar! Ich liebe es von Roxas beschenkt zu werden, aber Heels müssen das nicht unbedingt sein.

Ich frage gar nicht erst nach, denn Roxas ist gut darin solche Sachen für sich zu behalten. Im Bus lehne ich mich gegen ihn und schließe froh die Augen. Die einzige Sorge im Leben, die ich gerade habe, ist Zachary. Ansonsten bin ich rund herum glücklich. Neben Roxy am Piano zu sitzen ist einet meiner Lieblingsbeschäftigungen geworden. "Du hast heute schön gesungen", murmelt er, während er unkoordiniert irgendwelche Tasten drückt. "Danke", lächle ich, weil ich weiß, dass er es ehrlich meint. "Soll ich auch mal was für dich singen?"
Meine Augen werden groß und ich rücke direkt neben das Piano, um ja nichts zu verpassen. "Bitte."
Er schenkt mir sein Lächeln und beginnt eine niedliche Melodie zu spielen. Zum singen öffnet er seinen Mund nur einen Spalt.
"Wenn der Tag gekommen ist ... und ich meine Augen schließe ... und mich mein Leben nun verlässt.
Wenn der Tag gekommen ist ... und ich mit dem Wasser fließe, hoffe ich, dass ihr mich nicht vergesst."
Roxas haben es wohl besonders die traurigen Lieder angetan. Schließlich wollte er auch von mir, dass ich ihm Lieder vorsinge, in denen es um das Sterben geht. Er spricht auch davon, dass er Angst davor hat und dass er nicht in Vergessenheit geraten will, dabei ist das noch so lange hin. Ich denke, dass Roxas in dieser Sache zu weit in der Zukunft lebt.
"Ich will keine Trauerreden ... Ich will keine Tränen sehen. Keinen Chor, der Hallelujah singt ..." Seine Stimme wird etwas lauter und bringt irgendwie Hoffnung in das Lied vom Tod. Es stimmt mich etwas traurig, dass er so etwas, statt coole Gute-Laune-Lieder, singt, aber seine Stimme gefällt mir dennoch.
"Ich will, dass ihr feiert. Ich will, dass ihr tanzt. Mit nem' Lächeln im Blick ... und nem' Drink in der Hand.
Im Heißluftballon ... auf dem riesengroß steht: Das Leben ist schön, auch wenn es vergeht.
Und wenn ihr schon weint, dann bitte vor Glück.
Und ich bin da oben ... und ich sing' mit euch mit."
Roxas bringt so viel Gefühl mit sich, als würde er jedes Wort des Textes vollkommen ernst meinen, dass sich Tränen in meinen Augen bilden. Fast bringt er mich dazu, auch an diese Zeit zu denken. an diese Zeit, in der alles zu Ende geht und mein Leben mit ihm beendet ist.
"Sucht die schönsten Kleider raus ... Und kommt in den hellsten Farben, wie tausend Lichter in der Nacht."
Wenn ich sterbe und wirklich alles vorbei ist - das hier - was ist danach eigentlich?
"Jeden einzelnen von euch ... werd' ich immer bei mir tragen, auch wenn ich euch irgendwann verlass'..."
Roxas stellt sich die selben Fragen, das weiß ich. Was ist nach dem Tod?
Gibt es einen Gott? Können wir beide auch nach dem Tod für immer ...
"Ich will keine Trauerreden..."
... Hand in Hand ...
"Ich will keine Tränen sehen..."
... zusammen sein?
"Keinen Chor, der Hallelujah singt..."
Oder ...
"Ich will, dass ihr feiert. Ich will, dass ihr tanzt. Mit nem' Lächeln im Blick und nem' Drink in der Hand."
... werde ich in eine Welt kommen ...
"Im Heißluftballon auf dem riesengroß steht: Das Leben ist schön, auch wenn es vergeht.
Und wenn ihr schon weint, dann bitte vor Glück."
... in welcher ich Roxas niemals wieder sehen kann?
"Und ich bin da oben ... und ich sing' mit euch mit."

Tränen laufen unkontrolliert meine Wangen herab. An so etwas darf ich niemals denken, niemals. Ich bin hier neben ihm und das wird auch die nächsten mindestens 50 Jahre so bleiben. Und wer weiß, vielleicht ist es bis dahin okay gemeinsam zu sterben. Nachdem man ein erfülltes Leben hatte. Und vielleicht ist es tatsächlich so, dass man auch danach für immer beieinander sein kann, wenn man es will.

Ich stehe auf und halte Roxas Hand fest, um sein Spiel zu unterbrechen. Als er mich irritiert ansieht, beuge ich mich zu ihm herunter und schenke ihm einen Kuss. "Du singst schön, aber bitte singe fröhliche Lieder für mich." Ich lächle ihm aufmunternd mit Tränen in den Augen zu.

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