Zwischen zwei Gefühlen

1 | Freundinnen

„Das ist nicht dein Ernst", stöhnte Eve frustriert in den Hörer. „Bitte sag mir, es ist ein Scherz."

Sie saß auf ihrem Sofa und starrte ins Nichts, während ihr Verlobter Josh verzweifelt versuchte zu vermitteln, warum er es wieder nicht schaffen würde, ihren Termin einzuhalten. Ehrlicherweise galt ihre Enttäuschung nicht ihm, sondern eher ihrer naiven Vorstellung, er würde ausnahmsweise Interesse an ihren Hochzeitsvorbereitungen zeigen. Doch seine Geschäfte waren wichtiger. Die Geschäfte waren immer wichtiger.

„Baby, ich weiß, was du jetzt denkst. Du denkst, es ist mir nicht wichtig. Aber da liegst du falsch ..."

„Schon gut", unterbrach sie ihn, während sie ihre Augen rollte. „Ich mache es selbst. Wie immer."

„Evy ..."

„Konzentriere dich einfach auf deine Arbeit in New York", fügte sie schnell hinzu und ließ ihn wieder einmal nicht ausreden.

Dann legte sie auf.

„Fantastisch", sprach sie mit sich selbst und griff nach ihrer Tasse Kaffee, die sie auf dem kleinen Couchtisch stehen gelassen hatte. Sie nahm einen großen Schluck und stand auf. Gedankenversunken ging sie zum offenen Fenster und atmete tief ein. Die frische Meeresluft würde sie schmerzhaft vermissen, wenn sie bald in Joshs Villa in den Hollywood Hills ziehen würde. Es war ein wunderschönes Haus, wie aus dem Bilderbuch. Wer ein Haus in der heißbegehrtesten Gegend von Los Angeles sein Eigen nennen konnte, der hatte es geschafft. Nicht vielen Menschen galt das Privileg, in den Hills zu leben, wie man in Kalifornien zu sagen pflegte. Sie sollte sich glücklich schätzen, wie gut das Leben es mit ihr meinte, als sich eines Tages Joshs Weg mit ihrem kreuzte. Ab dem Moment ging alles furchtbar schnell. Kaum sechs Monate später hatte sie einen funkelnden Diamanten an ihrem Ringfinger, von dem sich Menschen in ihrer Heimat in Deutschland einen Luxuswagen leisten konnten. 

Nach einem weiteren tiefen Atemzug trank sie ihren Kaffee aus und brachte die leere Tasse in die Küche. Dann schaute sie sich um und stellte fest, dass sie nach wie vor nicht angefangen hatte auszumisten oder wenigstens einen Karton zu packen. Josh hatte des Öfteren darüber geklagt, dass sie immer noch eine eigene Wohnung hatte. Es machte in seinen Augen keinen Sinn, bis zur Hochzeit mit ihrem Umzug zu warten. Normalerweise verbrachten sie ohnehin jede Nacht miteinander, wenn er nicht wieder einmal dienstlich unterwegs war. Eve argumentierte, sie fühle sich verloren ganz allein in seinem großen Haus, wenn er nicht da sei. Ihr Apartment in Santa Monica war zwar klein, doch es war ihr eigen. Darauf war sie stolz. Zudem liebte sie die Lage mit direkten Blick auf den Pazifischen Ozean. Die Aussicht war einfach unbezahlbar. Das konnten ihr die Hollywood Hills niemals bieten.

Ihr Smartphone klingelte und brachte sie zurück in die Realität. Es war ihre Freundin Kelly, die im Haus nebenan wohnte.

„Na?", sagte Kelly mit süffisanten Unterton. „Es ist endlich Samstag. Kommt dein Herzensmann heute zurück aus New York?"

Eve schnaufte und verdrehte nochmals die Augen.

„Natürlich nicht."

„Lass mich raten, es kam wieder ein Mal was dazwischen?"

„Wie jedes Mal."

„Und was ist mit dem Hochzeitsplanerin-Termin heute Abend?"

„Na was wohl? Den mache ich allein."

Kelly wollte nicht weiter in der Wunde stochern. Eves Frust über Joshs andauernde Dienstreisen an die Ostküste der USA war keine Überraschung. Die Gründung eines neuen Musik-Labels verlangte ihrem Verlobten eine Menge ab. Aktuell war er damit beschäftigt, Geschäftspartner am anderen Ende des Landes zu finden, um das junge Unternehmen zum Laufen zu bringen. Glücklicherweise konnte er auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen, da er bereits ein erfolgreiches, unabhängiges Platten-Label in Kalifornien führte.