36 | Aufklärung

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Eve öffnete die Tür und erstarrte zur Salzsäule, als sie realisierte, wer soeben vor ihr stand. Schlagartig war ihr ganz kalt geworden. Sie hatte keine Kontrolle über ihren Körper.

Tom schien ihre Reaktion zu genießen. Er hatte sich diesen Augenblick unzählige Male vorgestellt. Eves Entsetzen über seine plötzliche Anwesenheit war sogar deutlich heftiger, als in seinen Tagträumen. Sie hatte ihn offensichtlich völlig unterschätzt.

„Wir reden jetzt", befahl er, während sich sein eiskalter Blick noch mehr verfinsterte.

Eves Herz fing an wie wild zu rasen. Sie hatte fürchterliche Angst. In ihrem Kopf spielten sich die schlimmstmöglichen Szenarien ab. Endlich schoss Adrenalin durch ihre Adern und löste ihren Fluchtreflex aus. Sie schlug die Tür mit voller Kraft zu. Tom hatte mit dieser Reaktion jedoch gerechnet und drückte mit seiner Schulter energisch dagegen, sodass die Tür nicht ins Schloss fallen konnte. Eve verlor keine Zeit. So schnell sie konnte, rannte sie in den Wohnraum und hoffte rechtzeitig die Terrassentür zu erreichen. Doch darauf war Tom ebenfalls vorbereitet. Er sprintete ihr hinterher und schaffte es, ihren Oberkörper samt ihrer Arme von hinten zu ergreifen, bevor sie den Hinterausgang erreichte. Mit beiden Armen hielt er sie fest im Griff und drückte sie an seine Brust.

Eve fing hysterisch an zu schreien: „Lass mich los! Lass mich sofort los!"

„Halt' deinen Mund", befahl er und drückte zeitgleich mit beiden Armen so fest zu, dass ihr der Atem wegblieb.

„Wir reden jetzt. Hast du mich verstanden?", zischte er in ihr Ohr.

Ihr wurde urplötzlich schwindelig. Wenn er sie nicht bald losließe, würde sie zusammenbrechen und wäre ihm vollkommen ausgeliefert. Unfähig einen Ton herauszubringen, fing sie an zu nicken.

Tom befreite sie langsam aus seinem festen Griff. Sie brauchte einen Moment, um wieder klar zu kommen. Ihr Kreislauf musste sich wieder stabilisieren.

Tom beobachtete jede ihrer Bewegungen, um rechtzeitig reagieren zu können, falls sie wieder auf dumme Gedanken kommen sollte.

„Setz' dich", forderte er sie auf und deutete auf einen Stuhl am Esstisch.

Alles in ihr drin wehrte sich dagegen, seine Anweisung zu befolgen. Doch ein Entkommen aus der völlig unvorbereiteten Situation schien unmöglich.

Eve setzte sich hin. Sie hatte immer noch schreckliche Angst, was als Nächstes mit ihr passieren würde. Sie traute ihm alles zu. Einfach alles.

Tom schnappte sich einen anderen Stuhl. Er drehte ihn in ihre Richtung und ließ dazwischen nur wenig Distanz. Dann setzte er sich und beugte seinen Oberkörper zu ihr vor.

„Guck mich an", befahl er.

Nur widerwillig blickte sie in seine schrecklich kalten Augen. Ihr Körper fing an zu zittern.

Zu ihrer Überraschung entspannten sich plötzlich seine Gesichtszüge. Er schien mit sich zu kämpfen, wie er am besten rüber bringt, was er zu sagen hatte.

Dann räusperte er sich und nahm tief Luft: „Dein Vater liegt im Sterben."

Toms Stimme halte in ihrem Kopf nach, während sie vollkommend entsetzt in sein Gesicht blickte. Das musste ein schrecklicher Traum sein. Das konnte jetzt unmöglich wirklich passieren.

Tom war nicht sicher, was er als Nächstes tun sollte. Sie stand offensichtlich unter Schock. Er entschied, ihr einen Moment zu geben, um die Information zu verarbeiten.

„W... was ... was ist passiert?", stammelte sie schließlich, während sich ihre Augen mit Tränen füllten.

„Er hatte einen Schlaganfall."

Zwischen zwei GefühlenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt