14 | Elf Jahre zuvor (Teil 1)

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[Teil 1/2]

„Hast du gerade das Bier mit deinem Eckzahn aufgemacht?", fragte Eve verdutzt und starrte ihre Freundin fassungslos an.

„Meine leichteste Übung", antwortete Sandra und lachte selbstzufrieden.

Es war der zweiundzwanzigste Geburtstag eines gemeinsamen Freundes, der eine Party im Haus seiner Eltern ausrichtete. Die Freundinnen hatten sich gerade neue Getränke aus der Küche geholt und kehrten zurück in den Garten. Aus großen Boxen dröhnte aktuelle Techno-Musik. Es war kurz vor Mitternacht. Der Gastgeber wohnte in einer vornehmen Gegend am Stadtrand von Stuttgart. Eve fragte sich, wie lange seine spießigen Nachbarn den Krach wohl noch ertragen würden.

„Los, lass uns tanzen!", sagte Sandra und griff Eves Hand.

„Zerr' doch bitte nicht so", beschwerte sich Eve, als ihre Rum-Cola aus dem Becher schwappte.

„Du bist heute irgendwie nicht in Partystimmung", stellte Sandra fest. „Dabei hast du Grund zu feiern. Immerhin hast du deine Ausbildungsprüfung mit Bestnoten bestanden und wurdest von der Agentur übernommen."

Eve lächelte zufrieden.

„Du hast Recht. Lass uns tanzen."

Beide stellten ihre Getränke beiseite und ließen gekonnt ihre Hüften schwingen. Eve trug ein weißes, kurzes Sommerkleid, das ihre zierliche Figur in Szene setzte und passende Absatzsandalen. Ihre langen Haare waren offen und glatt. Mit reichlich Mascara und Kajalstift hatte sie ihre hellblauen Augen maximal betont. Der Rest des Make-Ups war zurückhaltend. Sandra hatte lange rote Haare und eine sportliche Figur. Sie trug ein knappes, schwarzes Glitzertop, enge Jeans und schwarze High Heels.

Die Freundinnen vergaßen die Welt um sich herum und tanzten hemmungslos zum aggressiven Beat, bis die Musik abrupt verstummte. Alle Gäste schauten sich irritiert an. Einige waren mittlerweile ziemlich betrunken und fingen an zu motzen. Sekunden später betraten zwei Polizisten den Garten und ließen ihre Blicke schweifen. Dem Gastgeber rutschte das Herz in die Hose. Hastig löste er sich aus einer Gruppe von Freunden und ging auf die Beamten zu.

„Gibt es ein Problem?", fragte er höflich und bemühte sich nicht zu lallen.

Beide Polizisten schauten ihn mit scharfen Blicken an.

„Wohnen Sie hier?"

„Ehm, ja. Das ist mein Elternhaus. Sie ... sie sind verreist."

„Die Nachbarn haben sich über den Lärm beschwert. Die Musik bleibt ab sofort aus. Verstanden?", sagte einer der Polizisten.

„Verstanden."

„Wenn wir wiederkommen müssen, haben Sie ein ernstes Problem", warnte ihn der andere Polizist.

Eve und Sandra beobachteten das Geschehen. Die Beamten hatten ihre Pflicht erfüllt. Bevor sie den Garten verließen, blieb der Blick eines Polizisten an Eve hängen. Dann blieb er plötzlich stehen. Der Kollege guckte ihn verwundert an.

„Was ist, Tom?"

Tom antwortete nicht. Stattdessen ging er einen weiteren Schritt auf Eve zu. Ihr Herz setzte für eine Sekunde aus. Sie war von seinem Auftreten komplett eingeschüchtert. Sandra war ebenfalls sichtlich irritiert.

„Wie alt bist du?", fragte Tom streng und durchbohrte sie mit seinen hellgrünen Augen.

„Zweiundzwanzig", antwortete Eve mit dünner Stimme.

„Kannst du dich ausweisen?"

Eve nickte. Im nächsten Augenblick zog sie ihren Ausweis aus ihrem Dekolleté. Tom nahm das Dokument und hob eine Augenbraue.

Zwischen zwei GefühlenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt