21 | Ein Jahr zuvor (Teil 2)

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[Teil 2/2]

Eve hörte Stimmen um sich herum, doch verstand kein Wort. Ihre Augen waren geschlossen. Ein unerträglicher, dumpfer Schmerz pulsierte in ihrem Kopf. Ihr Körper fühlte sich unglaublich schwer an. Mit viel Anstrengung öffnete sie langsam ihre Augenlider. Verschwommen nahm sie einige Gestalten wahr, die sich hektisch um sie herum bewegten. Sie öffnete ihren Mund und wollte etwas sagen. Doch ihre Stimme blieb weg.

„Frau Harper, da sind Sie ja. Können Sie mich verstehen?"

Jemand leuchtete mit einem Lichtstab in ihre Augen. Ihr Blick fing langsam an sich zu schärfen. Der ältere Mann vor ihrem Gesicht trug einen weißen Kittel. Um ihn herum standen zwei Krankenschwestern. Sie war offensichtlich im Krankenhaus.

„Frau Harper? Hören Sie mich?"

Ganz zaghaft fing Eve an zu nicken. Der Arzt lächelte sie erleichtert an.

„Sie sind heftig gestürzt und haben ihr Bewusstsein verloren. Aber keine Sorge, das kriegen wir wieder hin. Könnten Sie vielleicht ihre Füße für mich bewegen?"

Eve hatte große Mühe seiner Anweisung zu folgen. Der Kopfschmerz war kaum auszuhalten. Als der Mann eine Regung in ihren Zehen feststellte, lächelte er erneut.

„Sieht gut aus, Frau Harper. Wir bringen Sie jetzt ins CT und schauen uns ihren Kopf genauer an, okay?"

Sie nickte und schloss gleich darauf wieder ihre Augen. Ihr fehlte die Kraft, sich auf das Geschehen um sie herum zu fokussieren.


Es war der darauf folgende Morgen. William saß am Bett seiner Tochter und schaute sie besorgt an, während sie schlief. Ihr hübsches Gesicht war voller Schrammen. Eine Platzwunde an ihrer Stirn musste sogar genäht werden. Sie war an einen Tropf angeschlossen, der sie mit Schmerzmitteln versorgte. Die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass Eve die Treppe runtergestürzt war, quälte ihn. Er fürchtete, Tom hatte ihm nicht die Wahrheit erzählt. Erst am frühen Morgen hatte er ihn und seine Frau über den Unfall informiert. Beide waren sofort ins Krankenhaus gekommen. Tom war komplett aufgelöst und roch nach Whiskey. Er behauptete Eve sei gestolpert. Auf die Frage, wohin sie zur späten Stunde hinwollte, gab er ihnen keine Antwort.

William machte sich Vorwürfe. Mit Tom stimmte was nicht. Die Beziehung zu seiner Tochter machte ihm von Anfang an Sorgen. Dennoch schaute er tatenlos zu, wie sich ihr Wesen unter Toms Einfluss stetig veränderte. Er fürchtete, der ohnehin spärliche Kontakt zu seiner Tochter würde gänzlich abbrechen, wenn er sich in ihr Leben einmischte.

Eve öffnete langsam ihre Augen und holte William zurück aus seinen Gedanken. Er beugte sich zu ihr rüber und griff ihre Hand.

„Hey, mein Mädchen", sagte er sanft.

Eve drehte ihren Kopf langsam in seine Richtung. Sie fühlte sich unglaublich müde. Erfreulicherweise hielten sich ihre Kopfschmerzen durch das intravenöse Schmerzmittel in Grenzen.

„Bin ich immer noch im Krankenhaus?", flüsterte Eve gequält.

„Ja", antwortete William. „Sie werden dich zur Beobachtung einige Tage hierbehalten. Du hast eine Gehirnerschütterung und zwei gebrochene Rippen. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht."

„Tut mir leid, dass du dir Sorgen machen musstest", antwortete sie und erzwang ein Lächeln.

William lächelte liebevoll zurück.

„Bist du allein hier?", wollte Eve wissen.

„Deine Mutter ist wieder Heim gefahren, nachdem der Arzt versicherte, dass du dich vollständig erholen wirst."

Zwischen zwei GefühlenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt