Kapitel 10

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Dieses Kapitel ist leider ein wenig kurz, sorry. Das liegt daran, dass die Originalkapitel weitaus länger sind und ich das nicht immer gleichmäßig aufteilen kann. Dafür wird das nächste Kapitel dann wieder etwas länger :)

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Als meine Mutter am Nachmittag von der Arbeit wiederkam, lag ich noch genauso auf dem Bett, wie ich mich am Mittag dort niedergelassen hatte. Am liebsten hätte ich geschlafen, doch mein Kopf ließ mich nicht.

Zwischendurch hatte mein Handy ein paar Mal vibriert und ich wollte gar nicht wissen, wer es war. Wenn es Maya war, die sich vermutlich fragte, seit wann meine Mutter mittags zuhause war, hätte ich mir irgendeine Lügengeschichte ausdenken müssen. Wenn es Michael war, wäre ich wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen und hätte ihm alles gebeichtet. Und wenn es Sarah war, dann... Ich wusste selbst nicht, was dann war.

Ich hörte ein Klopfen an der Tür und wischte mir schnell durch's Gesicht, bevor meine Mutter mich so verheult sah.

„Hey, ist alles okay?", fragte sie und sah mich stirnrunzelnd an.

„Klar", log ich äußerst schlecht und spürte, dass die Tränen schon wieder aus meinen Augen quollen.

„Ach, Kleines", meinte Mutter setzte sich zu mir und nahm mich in den Arm. Eine Weile lang saßen wir einfach nur so da und ich ließ mich von ihr trösten. Ich weinte nicht gerne vor ihr, aber es tat unheimlich gut.

Als die Tränen endlich versiegt waren, benutzte ich das Taschentuch, das sie mir hinhielt, und setzte mich auf. „Willst du darüber reden?", fragte sie, aber ich schüttelte den Kopf. Ich hatte niemanden, mit dem ich darüber reden konnte.

Wie wäre es mit Sarah? fragte mein Unbewusstsein, aber auch innerlich schüttelte ich den Kopf. Erstens war sie von meinem Verhalten wahrscheinlich ziemlich sauer und zweitens war sie sowieso die letzte Person, die ich jetzt sehen wollte. Das war zwar eine Lüge, aber ich redete es mir trotzdem ein.

Ich konnte mich daran erinnern, dass ich noch vor einer knappen Woche hier lag und einen sehr guten Plan geschmiedet hatte, um meine Freundschaft mit Sarah zu behalten und gleichzeitig mit Michael einen Schritt weiter zu gehen. Und was war nun? Ich hatte es vergeigt – und zwar gründlich.

Meine Mutter schlug mir vor, einen Spaziergang zu machen. Ich hielt das für keine schlechte Idee, denn wenigstens war ich dann an der frischen Luft. Ich wanderte durch die Straßen und ließ meine Gedanken schweifen.

Das, was Maya gesagt und was in den Filmen immer behauptet wurde, war also tatsächlich wahr. Es gab diese Küsse und Berührungen, die einen scheinbar unmögliche Dinge spüren ließen. Ich hatte das Gefühl, ihre Lippen immer noch auf meinen spüren zu können, und das verpasste mir eine Gänsehaut.

Es musste doch möglich sein, diese Dinge auch mit Michael zu spüren. Vielleicht, wenn er nicht immer so schüchtern wäre... Gut, wir waren erst eine Woche zusammen, aber sollte er als hormonell verwirrter Teenager nicht anders an die Sache herangehen? Da ich selbst kaum Erfahrung in diesen Dingen hatte, konnte ich dazu nicht viel sagen, beziehungsweise denken.

Trotzdem fasste ich den Entschluss, alles dafür zu tun, dass das Kribbeln bei ihm auch entstand. Das war ich ihm schuldig! Da Michael nicht weit weg wohnte, lief ich schnurstracks zu seinem Haus und klingelte.

„Hayley", begrüßte mich Mrs. North verwundert, schenkte mir aber ein Lächeln.

„Hi", gab ich etwas schüchtern zurück. Bevor Michaels Mutter mich fragen konnte, was ich wollte, kam Michael schon an die Tür. „Hey", er drängte sich an seiner Mutter vorbei und gab mir zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange. „Ich wusste nicht, dass du kommst."

„Ja, es war... ich war in der Gegend", sagte ich lahm. Da wir in der gleichen Siedlung wohnten, war ich praktisch immer in der Gegend.

„Ähm, komm doch rein", er machte mir Platz, sodass ich eintreten konnte. Wir gingen hoch in sein penibel aufgeräumtes Zimmer, in das ich schon so oft gekommen war. Er schloss die Tür und gerade, als er Luft holte, um etwas zu sagen, forderte ich: „Küss mich!"

Michael guckte erst etwas verwirrt, murmelte dann aber „ähm, okay" und setzte einen vorsichtigen Kuss auf meine Lippen. Seine Hand lag an meiner Wange und unsere Gesichter waren sich ganz nah, als ich ihm fast flehend in die Augen sah.

„Nein, so richtig", sagte ich mit Nachdruck. Aber anstatt meinem Flehen Folge zu leisten, trat er einen Schritt zurück. „Was ist los, Hayley?", fragte er und ich konnte die Sorge in seiner Stimme hören.

„Nichts! Es ist nichts los, ich wollte nur...", stotterte ich. Wie sollte ich ihm das jetzt erklären?

„Versteh' mich nicht falsch", meinte er und lächelte. „Es gefällt mir, dass du das sagst. Aber... das passt irgendwie nicht zu dir." Ich schaute ihn an und fühlte, dass ich meine Stirn runzelte. Was meinte er damit? Ich fragte ihn genau das und er kratzte sich nervös am Hinterkopf, was er immer tat, wenn ihm etwas unangenehm war.

„Naja, du bist in der Hinsicht eigentlich eher zurückhaltend", erklärte er. Woher wollte er das wissen? Wir dateten gerade mal eine Woche. Nicht mal. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust.

„Verstehe ich das jetzt gerade richtig?", fragte ich und versuchte, nicht allzu harsch zu klingen. „Ich, deine Freundin, bitte dich, mit mir rumzumachen, und du sagst nein, weil es ‚nicht zu mir passt'?", ich setzte den letzten Teil in Anführungszeichen.

„Nein, so meinte ich das nicht", Mike seufzte und kam einen Schritt auf mich zu. „Es tut mir leid, ich... Ich war einfach überrumpelt", meinte er und streichelte meine Wange. „Sei nicht sauer", bat er und ich ließ seufzend meine Arme fallen.

„Okay, tut mir leid", entschuldigte ich mich. Michael konnte von allen Beteiligten am wenigsten etwas dafür, dass ich mich so verzweifelt an die Hoffnung klammerte, mit ihm alles zu spüren, was man in einer Beziehung spüren sollte.

„Komm her", er nahm mich in den Arm und ich schlang meine Arme um ihn.

Den restlichen Nachmittag verbrachte ich bei ihm und wir redeten viel über den Abschlussball morgen. Er zeigte mir seinen Anzug und die Krawatte, die er passend zu meinem Kleid ausgesucht hatte. Außerdem erzählte er mir, dass er das Auto seiner Eltern leihen durfte, und mich damit abholen wollte.

Zum Abschied gab es diesmal einen richtigen Kuss – nicht nur einen auf die Wange – und ein „ich freue mich auf morgen".

Als ich wieder allein war und nach Hause lief, schaltete sich sofort mein Kopf wieder ein. Da auch Sarah ihren Abschluss gemacht hatte, würde sie morgen auf dem Abschlussball sein.

Wieso muss ich ständig an sie denken? Ich schüttelte den Kopf über mich. Es gab wirklich wichtigeres zu bedenken, als die Schwester des Freundes meiner besten Freundin.

Zuhause schaute ich auf mein Handy und sah, dass ich – neben fünf Nachrichten von Michael von heute Mittag – zwei Anrufe von Maya, eine Nachricht von James und auch einen Anruf von Sarah hatte.

Was wollte sie? fragte ich mich und sah, dass sie auf meine Mailbox gesprochen hatte. Ich schluckte und klickte ein wenig zitternd auf den Play Button.

Hayley, hier ist Sarah... Ich, ähm, bitte melde dich. Wir müssen darüber reden, was... - sie stockte - ruf mich einfach an, ja? Bis dann. Aufgelegt.

Ich dachte nicht lange darüber nach und löschte die Nachricht. Ich würde garantiert nicht bei ihr anrufen oder gar zu ihr gehen, nur, damit sie mich wieder in ihre Masche einlullen konnte. Ich würde den Kontakt erstmal auf ein Minimum reduzieren, das war im Moment wahrscheinlich das Beste.

Beim Abendessen erklärte ich meiner Mutter, dass ich morgen erstmal ausschlafen wollte. Dass ich die Energie brauchte, um den Abend zu überleben, sagte ich ihr lieber nicht. Sie freute sich sehr darüber, dass ich mit Michael zusammen hingehen würde und legte schon mal ihre Kamera bereit, um vorher ein Foto von uns zu machen – sehr oldschool.

Ich überlegte kurz, ob ich Maya fragen sollte, ob wir uns gemeinsam für den Abschlussball fertigmachen wollten, aber ich entschied mich dagegen. Ich brauchte die Zeit, um mich mental vorzubereiten.

Sarah & HayleyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt