Kapitel 23

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Jemand berührte mich am Arm und ich zuckte zusammen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich auf dem Boden saß, mitten im Flur meiner Schule. Langsam schaute ich nach oben und sah Sarah, die mich besorgt anschaute.

"Alles okay?", fragte sie, "was hat er gesagt?"

Meine Augen füllten sich mit Tränen. Die letzten Wochen hatte ich in einer absoluten Traumwelt gelebt. Meine Gedanken an eine Zukunft mit Sarah, an Grillabende mit Freunden, Familienfeiern, zu denen ich sie mitnehmen würde. All diese Träume hatten darauf basiert, dass sie - dass wir - akzeptiert wurden. Aber dieser eine Augenblick, diese drei Worte, hatten meine kleine, regenbogenfarbene Seifenblase zerplatzen lassen.

Das ist abartig, echote es in meinem Kopf. Einfach nur ekelhaft. Das ist abartig. Einfach nur ekelhaft. Das ist abartig. Einfach nur ekelhaft. Das ist...

"Hayley?", Sarah rüttelte an meiner Schulter. Sie saß jetzt neben mir und versuchte mich wieder in die Realität zu holen. Ich atmete tief durch, zweimal, und straffte dann meine Schultern.

"Ich... Ich muss nach Hause", erklärte ich und stand auf. Sarah folgte mir, als ich zu meinem Spind ging, um meine Sachen zu holen.

"Hayley, rede mit mir", forderte sie mich auf, während ich zwanghaft versuchte, mein blödes Chemiebuch in meinen Rucksack zu quetschen. Aber es wollte einfach nicht rein!

"Dieses scheiß Buch, wieso passt es nicht da rein?", murmelte ich. "Wieso passt das nicht?", meine Stimme wurde immer lauter. "Wieso passt es da verdammt nochmal nicht rein? Die anderen passen doch auch, aber nein, dieses scheiß Ding muss unbedingt was besonderes sein", rief ich jetzt und warf das Buch zurück in den Spind.

Sarah nahm mich in den Arm und ich ließ meine Tränen in das graue ölverschmierte Langarmshirt laufen, das sie unter ihrem Blaumann trug.

+++

Sarah hatte mich nach Hause gebracht und mir durch die Haare gestrichen, während ich auf dem Bett gelegen und ihr von Michaels Worten berichtet hatte. Als sie einen Blick auf die Uhr an ihrem Handgelenk warf, schniefte ich.

"Du musst bestimmt wieder zur Arbeit, oder?", fragte ich sie.

"Ist okay, ich melde mich einfach krank", erklärte Sarah lächelnd, aber ich schüttelte vehement den Kopf.

"Auf gar keinen Fall! Du sollst meinetwegen keinen Ärger kriegen", machte ich ihr klar. "Es ist ja sowieso nichts, wobei mir jemand aktiv helfen kann. Ich bin nur geschockt, das ist alles", überredete ich sie. Obwohl ich weitaus mehr als geschockt war, stimmte es, dass mir dabei keiner helfen konnte. Gesagt ist gesagt und das konnte auch eine Sarah nicht wieder ungeschehen machen.

Nach ein paar mehr Nein-Doch-Gefechten gab Sarah sich geschlagen und fuhr zurück zur Arbeit. Ich winkte ihr lächelnd hinterher und legte mich dann direkt wieder in Embryonalstellung auf mein Bett. Sobald ich lag, kamen auch die Tränen zurück und diesmal musste mein alter Teddy als Auffangbecken herhalten.

Nach einiger Zeit klopfte es an meiner Zimmertür. Bevor ich in Panik geraten konnte, dass jemand in unser Haus eingebrochen war, steckte Maya ihren Kopf zur Tür rein.

"Hey", sagte sie und lächelte ihr Ich-weiß-genau-dass-was-nicht-stimmt-Lächeln und bei mir brachen direkt alle Dämme. Maya setzte sich zu mir und legte einen Arm um mich. So wartete sie geduldig, bis meine Tränen versiegt waren, reichte mir dann ein Taschentuch und sah mich an.

"So", meinte sie ruhig, aber bestimmt. "Und jetzt erzählst du mir mal, was eigentlich mit dir los ist", forderte sie.

Sofort hatte ich wieder das Bedürfnis, in Tränen auszubrechen, aber es kam nichts. Scheinbar war ich leer geweint.

Sarah & HayleyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt