Kapitel 12

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Michael setzte mich Zuhause ab und ich zog mir als erstes die unbequemen Schuhe und das Kleid aus, um in meine Jogginghose und ein Top mit Sweatshirtjacke zu schlüpfen. Ich hatte noch keine Lust, ins Bett zu gehen, und ging deswegen in die Küche, um mir einen Tee zu machen.

Da es draußen milde Temperaturen hatte, setzte ich mich auf die Stufen unserer Veranda und lauschte dem seichten Wind, der durch die Bäume rauschte. Nach einer Weile hörte ich ein Räuspern und bevor ich erkennen konnte, wer auf mich zukam, rauschte ein Golden Retriever auf mich zu und begrüßte mich mit seiner feuchten Nase.

„Pippa, was machst du denn hier?", lachte ich und kraulte die Hündin am Kopf.

„Sorry", sagte Sarah verlegen und blieb zwei Meter entfernt stehen, sodass sie gerade noch im Lichtkegel stand. Sie trug immer noch die gleichen Sachen, wie vorhin, und sah unbeschreiblich gut aus. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf.

„Ich konnte noch nicht schlafen und dachte, ich gehe nochmal eine Runde mit ihr", erklärte sie und ich lächelte.
„Setz dich ruhig", bot ich ihr an und Sarah setzte sich neben mich.

„Tee?", ich hielt ihr meine Tasse hin, aber sie lehnte dankend ab. „Sag mal, wenn du nicht aufs College gehst, was machst du dann jetzt?", fielen die Worte aus meinem Mund in die Stille, bevor ich sie aufhalten konnte.

„Ich habe einen Job", erklärte sie mir das Offensichtliche. „In der Autowerkstatt in der Stadt", fügte sie hinzu, nachdem ich sie auffordernd angeschaut hatte.

„Oh", machte ich wenig kreativ. „Und meinst du, die Arbeit wird dir gefallen?"

„Ich denke schon", sie zuckte die Schultern. „Das wird sich zeigen."

„Darf ich fragen, wieso du keine Lust aufs College hast?", fragte ich weiter. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man so eine Möglichkeit verstreichen ließ. Für mich war das College immer das Ziel gewesen.

„Ich habe Lust aufs College", antwortete Sarah und schaute auf ihre Hände, die sie verschränkt hatte. „Nur kein Geld."

Ich runzelte die Stirn. Das konnte doch nicht sein. „Aber deine Eltern...", wieso konnte ich nicht aufhören, so private Fragen zu stellen?

„...haben Geld, ja. Aber nur für Goldenboy Luke, nicht für mich", sie lachte ironisch.

„Das verstehe ich nicht. Wieso sollten sie dich nicht unterstützen?"

„Weil ich nicht so bin, wie sie mich gerne hätten."

Was sollte das nun wieder heißen? „Was meinst du damit? Hast du was Blödes gemacht?"

Sarah lächelte mich an, aber es war nicht ihr typisches Lächeln mit Grübchen und glänzenden Augen. Es war eher ein trauriges Lächeln. „Schau mich an, Hayley", sie zeigte an sich runter. „Ich bin nicht das hübsche Mädchen mit den wunderschönen, langen Haaren, die jeden Tag in einer anderen Frisur gestyled sind. Ich trage keine Blumenkleider und hohe Schuhe, ich mache kein Ballett und am allerschlimmsten: Ich bin nicht an Jungs interessiert", sie seufzte, „ich bin nicht wie... du zum Beispiel." Nein, du bist besser, dachte ich.

Ich öffnete meinen Mund und schloss ihn wieder. Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Bevor ich darüber nachdenken konnte, wie furchtbar traurig es war, dass Sarahs Eltern so dachten, konnte ich nicht verhindern, dass es mich bei ihren Komplimenten warm durchströmte.

Dennoch zog ich mich selbst zurück in die Realität. „Das kannst du nicht ernst meinen", sagte ich und legte eine Hand auf ihren Oberarm. „Warum sollten deine Eltern deswegen schlecht von dir denken?"

„Ich weiß es nicht", sie zuckte mit den Schultern und sah weg von mir, aber ich konnte noch sehen, dass eine Träne über ihre Wange lief. „Sie tun es einfach."

Sarah & HayleyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt