Kapitel 47

456 70 13
                                    

Ohne wiederworte steigt Harry in mein Auto und sieht dabei zu, wie ich es ihm gleichtue. Es ist unheimlich still, während ich zurücksetze und uns aus dem Dauerparkplatz manövriere. Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als eine Hand sich auf meine Legt. Als ich zur Seite sehe stell ich fest, dass meine Hand auf seinem Oberschenkel ruht. Verdammte Gewohnheit. Statt sie wegzunehmen, drücke ich sein Knie und sehe auf die Straße vor uns. Das Komische Gefühl in meiner Magengegend verschwindet nicht, es ist aber auch besser als nichts. Es ist offensichtlich, dass wir beide nicht wissen, wie wir den Elefanten im Raum ansprechen sollen. Zu meinem Glück, nimmt Harry mir ab, es zu tun, als ich in seiner Straße zum Stehen komme. Sich im Sitz zu mir gedreht liegt sein Arm auf der Nackenlehne und seine Finger gleiten in meine Haare. „Schau mich an, Lou" flüstert er mit so einer Sänfte, dass ich keine Chance habe, es nicht zu tun. Unsere Blicke kreuzen sich und mein Herz macht einen aufgeregten Sprung. „Mir tut leid, wie das rübergekommen ist" meint er und nimmt meine freie Hand in seine. „Ich meinte nicht, dass ich nie mir dir geschlafen hätte, Lou. Ich liebe dich, du bist unheimlich attraktiv und weißt ganz genau, dass ich an manchen Tagen nichts lieber tun würde, als die die Kleidung vom Leib zu reißen." Das entlockt mir ein kleines Grinsen.

„Ich verstehe nicht, warum du meine Daten gelesen hast. Und warum es dir so wichtig ist... ich frage dich auch nicht nach den Menschen, mit denen du geschlafen hast." gebe ich zu und lasse meine Finger zwischen seine Gleiten. Einen Augenblick sieht er verletzt aus, dann nickt er. „Es ging mir wirklich nicht darum, was da im Einzelnen steht, Lou, das musst du mir glauben. Ich war einfach... so glücklich über die Ergebnisse, dass ich sie mir nochmal durchlesen wollte. Und da stand dann, dass du mit niemand anderen Sex hattest..." – „Aber ist das nicht... egal?" Sofort schüttelt er energisch seinen Kopf und verstärkt den Griff um meine Finger. Verunsichert sehe ich zwischen unseren Händen und seinem Kopf hin und her. Was soll ich denn jetzt sagen? Dass es wohl egal ist? Scheinbar ja nicht, wenn er sich so sicher ist. „Wir waren betrunken Lou. Es war dein erstes Mal." Verwirrt nicke ich. Mit großen Augen mustert Harry mich, dann verlässt seine Hand meine. Meine Fingerspitzen fühlen sich sofort kühl an und das Gefühl schleicht sich meinen Körper hinauf. Stumm sehe ich ihn an.

Entgegen meiner Erwartung, dass das Gespräch zu Ende ist und er keine Lust mehr hat, mit mir zu sprechen, schnallt Harry sich ab und klettert umständlich über die Mittelkonsohle auf meinen Schoß.  Es sich gemütlich machend legt er beide Hände in meinen Nacken und platziert einen Kuss auf meinen Lippen. „Lou, du hattest dein erstes Mal betrunken, mit einem Betrunkenen. Ohne dass dir gesagt wurde, wie gut du dich anfühlst und wie sehr ich dich Liebe." Hitze steigt mir umgehend in die Wangen und ich senke automatisch meinen Kopf um es zu verstecken, was jedoch fehlschlägt. Harry legt seine Hand auf meine Wange und hebt mein Kinn. „Das Erste Mal sollte etwas Besonderes sein." – „Ich bereue nichts" murmle ich, lege meinen Kopf gegen die Lehne und blicke meinen Freund an. „Das heißt nicht, dass es gut so war, wie es war." – „Du fandest unser erstes Mal scheiße?" frage ich etwas gekränkt. Harry verdreht die Augen und schüttelt seinen Kopf. „Nein. Aber du warst betrunken und ich mag es nicht zu wissen, dass dein erstes Mal ohne aktive, bewusste Einwilligung war." Ich setze an zu widersprechen, aber Harry hält seine Hand hoch und schüttelt seinen Kopf. „Du sagst jetzt nicht, dass das nicht stimmt, denn wir wissen beide, dass es so ist. Du warst betrunken. Du kannst nicht mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, dass du es wolltest. Selbst wenn du es in diesem Moment für eine gute Idee gehalten hast –" – „Und es genossen habe, Harry", werfe ich mit zusammengezogenen Augenbrauen. Er sieht mich zwar mahnend an, kann aber auch nicht verhindern, dass seine Mundwinkel in die Höhe zucken und seine Wangen sich rosa färben.

„Dann kannst du nicht sagen, dass nicht dein Betrunkenes Hirn zu dir gesprochen hat. Baby. Du hättest dich selbst verletzen können, oder mich." Mir rutscht mein Herz in die Hose. Ich hätte ihn verletzen können. „Haz" mein Griff um seine Hüfte verstärkt sich, aber sein Körper bewegt sich nicht. Wie verankert bleibt er auf meinem Schoß sitzen. „Ich würde dich nie im Leben absichtlich versetzen, das weißt du." – „Natürlich weiß ich das", versichert er mir, ehe er den Kopf in den Nacken legt und seine Locken aus dem Gesicht schüttelt, „aber Unfälle passieren, vor allem wenn man unerfahren ist. Und der andere es nicht weiß. Ich hätte kein Problem damit, dir zu helfen. Aber ich hätte verdient zu wissen, dass du – dass ich derjenige bin, dem du deine Jungfräulichkeit schenkst. Ich hätte was Besonderes gemacht." Voller Bewunderung sehe ich meinen Freund an. Etwas Besonderes, nur wegen mir. Weil er es für mich tun will, nicht wegen irgendwas anderem. Rein, weil er diesen Moment für mich besonders machen wollte. Mehr, als er sowieso schon war.

Wenn ich mir mein erstes Mal als Jugendlicher vorgestellt habe, habe ich nicht drüber nachgedacht, wer toppt oder ob ich Bottom bin, sondern viel mehr darüber, ob es Kerzenschein und Rosenblätter gibt. Gott war ich ein hoffnungsloser Romantiker. Mit einem Blick zu Harry weiß ich, dass ich es noch immer bin. Aber es ändert nichts daran, dass ich mir mein erstes Mal anders vorgestellt habe. Jünger, ohne Alkohol und mit viel mehr peinlichen Momenten. Anhaltende Stillen, Musik im Hintergrund und nervöse Finger beim Kondom öffnen und anziehen. Einiges davon hatte ich, Musik und zitternde Finger, aber ich war auch kein Teenager mehr und hatte mehr Alkohol im Blut, als ich scheinbar hätte haben sollen. Seufzend lasse ich meine Stirn an Harrys Schulter fallen und ziehe ihn an mich. „Ich hätte was sagen sollen." – „Ja", erwidert er, streicht durch meine Haare und presst seine Lippen gegen meine Schläfe. „Tut mir leid" – „Es ist alles okay, Lou. Ich kann verstehen, dass es du nichts gesagt hast, aber mir ist auch wichtig, dass du weißt, warum ich gerne etwas gewusst hätte. Ich hätte dir ein besonderes erstes Mal schenken wollen." – „Du findest es wirklich nicht schlimm?" Fragend ziehe ich meine Augenbraue in die Höhe. Einen kurzen Augenblick ringt er mit sich und der Knoten in meinem Bauch schnürt sich enger, dann schüttelt er seinen Kopf. „Die Tatsache nicht, nein. Dass du es mir nicht gesagt hast." – „Damit kann ich leben." Entschließe ich mich und stehle mir einen Kuss von ihm. „Ist auch besser so" meint er, lächelt mich frech an und öffnet dann meine Autotür, um von meinem Schoß und gleichzeitig aus dem Auto zu klettern.

Ich steige ebenfalls aus, um mich richtig von ihm zu verabschieden. Auch wenn ein Teil davon bereits auf dem Weg zum Flughafen passiert ist, nehme ich mir die Zeit, mich von ihm zu verabschieden. Die nächsten Monate werden hektisch genug, da will ich nicht jetzt schon mit verkürzten und gehetzten Momenten beginnen. Fest schließe ich meine Arme um ihn, küsse seine Wange und seufze zufrieden, als seine Hand sich in meinen Haaren festklammert. „Ich liebe dich, Lou", flüstert er, vereint unsere Lippen kurz miteinander und löst sich im nächsten Moment bereits. Viel zu früh für meinen Geschmack. Unzufrieden ziehe ich ihn an seiner Hüfte zurück zu mir. „Wann bist du übermorgen da?" – „Murphy meinte, dass ich um kurz vor vier abgeholt werde." Zustimmend nicke ich. Um die Zeit Soundchecke ich grade, wenn alles nach Plan läuft. „Klingt gut" lächle ich, drücke seine Hüfte und lasse ihn einen Kuss auf meinen Haarschopf pressen. „Bis Montag?" – „Bis Montag Haz", erwidere ich, lächle und sehe zu, wie er in seiner Haustür verschwindet. Im selben Moment, in dem die Tür zufällt, macht sich in meiner Brust das Gefühl des Vermissens breit. Es kann doch kaum sein, dass ich ihn sofort wieder vermisse.

-

Freunde der Sonne,

so schnell kann es gehen... Urlaub vorbei und es geht ratzfatz zurück ins wirkliche Leben. Die Tour steht vor der Tür. Freut ihr euch?

love , j x

take it ⎜l.s. auWo Geschichten leben. Entdecke jetzt