Kapitel 53

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Meine Beine baumeln überm Wasser, während ich an meinem Bier nippe. Die Sonne steht mir tief ins Gesicht und wärmt meine Haut angenehm. Für einen späten Augustabend ist es ziemlich warm, was ich mehr als Genieße. Sophia, die neben mir sitzt, steht auf und hält ihre leere Flasche in die Runde. Dankbar nicke ich, Jules schüttelt den Kopf und Sky steht auf, um sein Glas zurückzugeben. Beide beobachten wir, wie die anderen beiden aus der Sitzecke klettern und sich dann auf den Weg zu den kleinen Buden hier machen. Ganz verstehe ich die Anlage hier nicht, wir sind mitten in der Großstadt am Fluss und es gibt verschiedenste Buden, die hier Zeug verkaufen, aber es ist unheimlich schön. Vor allem das sich auf dem Wasser spiegelnde Licht lässt mich vergessen, dass wir nicht irgendwo auf dem Land oder in einer idyllischen Kleinstadt sind.

Aus meiner Hosentasche ziehe ich meine Kippen, öffne die Schachtel und halte sie Jules hin, welcher ablehnt. „Spaß?" will ich wissen, was ihn seine Augenbrauen hochziehen lässt, „die Tour" Sichtlich erhellt nickt er und lehnt sich gegen die Rückenlehne, den Blick in meine Richtung aber knapp an mir vorbei gerichtet. „Es ist nicht mehr die erste, wie du weißt, aber es war anders" Zustimmend nicke ich. Das war es definitiv. „Es war und ist schön, so viel support für dich zu sehen. Für queere Menschen generell." An meiner Kippe ziehend nicke ich, dann mustere ich Jules näher. Er ist gedanklich ganz wo anders. Vollkommen weg, aber sein letzter Kommentar lässt mich munkeln, dass er selbst vielleicht queerer ist, als ich bisher angenommen hatte. Immerhin muss man nicht zwingend heterosexuell sein, um eine Freundin zu haben. Mit einem Blick über seine Schulter checkt er, ob Menschen in unserer Nähe Sitzen. Tun sie nicht.

„Als du dich geoutet hast... natürlich habe ich mich für dich gefreut, tue ich immer noch, aber vor allem war ich erleichtert." Verwirrt sehe ich ihn an. Er schaut unsicher zu mir, dann schweift sein Blick zurück auf die leichten Wellen der Spree. Wieso zur Hölle ist er erleichtert gewesen? Vielleicht weil ich ihm keine Fangirls wegschnappe? Nein, er ist nicht der Typ, der was mit Fans haben würde. Ich stecke mir eine neue Kippe an und nehme einen Zug, um anzusetzen, etwas zu sagen. Herauskommen tut nichts, also schließe ich meinen Mund wieder und nicke meinem Bassisten zu. „Ich... du bist nicht der einzig queere Typ in der Band." Nicht wissend, was ich sagen soll, sehe ich ihn einfach nur an und versuche zu verstehen, was er mir gesagt hat. Er ist queer. Heißt das, dass er wusste, dass ich schwul bin? Es gibt doch so ein Radar, zumindest wenn man dem Internet glaubt. Er ist queer. Queer. Nicht schwul oder Bi, er hat queer gesagt. Legt er sich nicht auf eine Art von Partner fest? Hat er nicht nur einen Partner oder Partnerin? Oder ist das nicht queer und einfach ein anderes Beziehungskonzept? Ich weiß es nicht.

Da die Stille sich mittlerweile in die Länge zieht und sogar für mich unangenehm wird, räuspere ich mich. „Du bist... queer" wiederhole ich langsam seine Worte, immer noch ein wenig verwirrt. „Bin ich. Ich... ich weiß nicht, warum ich dir das erzähle, aber irgendwie hat es sich richtig angefühlt." Eine wärme macht sich in mir breit, die ich nicht zuordnen kann. Aber ich genieße es. Es ist ein gutes Gefühl. „Du musst mir nichts sagen, wenn du das nicht möchtest, Jules. Es ist, wie du bereits korrekt gesagt hast, nichts wichtiges." Über sein Gesicht breitet sich ein Lächeln aus, das mich zufrieden nicken lässt. „Ich bin trans" Meine Augenbrauen schießen ungewollt in die Höhe, während meine Kinnlade bis auf die Erde hinabfällt. Kein Laut entweicht meiner Kehle und in meinem Kopf rollt höchstens ein Heuballen von einem Ohr und aus dem anderen hinaus. Mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte. „Du... willst eine Frau werden?" Eine Sekunde ist es unheimlich still, dann entwicht meinem Gegenüber ein Laut, wie ich ihn noch nie gehört habe. Zuerst habe ich sorge, dass er erstickt oder so, dann erkenne ich, dass er lacht.

Warum lacht er denn jetzt?!

„Nein, will ich nicht. Ich bin nicht mein ganzes Leben Jules. Zumindest nicht offiziell." – „Du... bist noch nicht immer Jules?" – „Bin ich nicht." – „Du verarschst mich" gebe ich ungläubig von mir. Ein leichtes Schmunzeln zuckt seine Mundwinkel in die Höhe, dann schüttelt er seinen Kopf. „Ich glaube nicht, dass das ein Thema ist, bei dem man dich verarschen würde, Louis" Er hat recht. Natürlich hat er das, aber mein Hirn bekommt es einfach nicht hin, diese Informationen zu verarbeiten. „Du... ich will nichts falsches sagen?" murmle ich verlegen. Er zuckt mit den Schultern und sieht mich auffordernd an. „Frag und wenn ich was nicht beantworte, fragst du kein zweites Mal", erklärt er woraufhin ich nicke.

Die Stille in meinem Kopf wird durch einen schwall an Fragen und Überlegungen ersetzt. „Wie hießt du davor? Fragt man das? Oh Shit, ich glaube nicht, vergiss dass ich das gesagt hab. Du hast besser auf mein Outing reagiert, es tut mir so leid. Fuck. Okay wir fangen von vorn an", rassle ich herunter und nehme einen tiefen Atemzug ehe ich fortfahre, „Warum sagst du mir das? Hast du dich in der Band je unwohl gefühlt? Und was heißt das eigentlich? Also so alles, weil... offensichtlich merkt man es nicht und – naja was ich wissen will, ist, ob du was anderes brauchst?" Mein gegenüber scheint nicht von der Menge meiner Fragen überrascht zu sein. Das zucken seines Mundwinkels verrät viel mehr, dass er sich freut. Dass er dankbar ist.

„Die erste Frage stellt man nicht, das hast du aber noch rechtzeitig gemerkt. Einerseits ist es für dich irrelevant. Es bereichert dich auf keiner Ebene, warum auch? Auf der anderen Seite ist der Name für mich und so ziemlich jede Transperson auf diesem Planeten immer mit Trauma verbunden. Immer wenn man bei diesem Namen genannt wurde, hat es sich unendlich falsch angefühlt und einfach nur wehgetan, deshalb wird der Name auch Deadname genannt. Weil er tot ist." Langsam nicke ich. Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Meinen Namen töten, irgendwann nicht mehr Louis sein. Nein, das ist falsch. „Ich habe mich nie unwohl gefühlt. Die Band ist, vor allem in den letzten Monaten wirklich super gewesen. Was das eigentlich heißt bedeutet wahrscheinlich, dass du den Begriff nicht wirklich zuordnen kannst, was okay ist. Es bedeutet, dass ich im falschen Körper geboren wurde. Mein Hirn war schon immer ein Mann aber mein Körper hat das wohl nicht verstanden und ich musste eine Uno reverse Karte bei meinen Eltern ziehen, die sich unbedingt ein Mädchen gewünscht haben." Der letzte Satz entlockt mir ein belustigtes Grunzen. „Das andere – natürlich merkt man es nicht, warum auch? Ich bin einfach nur ein Mann. Ich brauche nichts. Meine Arzttermine hab ich jetzt schon immer gelegt, wie ich meine Spritze brauche und das wars, was ich sagen könnte."

Überraschung erfasst mich, meine Augenbrauen schießen in die Höhe und was ich scheinbar kläglich zu vertuschen versuche. Was für Spritzen? Und Arzttermine? Ich habe noch nie irgendwelche Termine in seinem Kalender gesehen, die auffällig waren. Gut, im Gegensatz zu Zayn und dem Management sehe ich sie nicht regelmäßig, aber dennoch. Sowas müsste mir doch auffallen. „Arzttermine? Warum? Gibts einen Grund für die? Also was machst du da so? Keine Ahnung? Wird da irgendwas kontrolliert? Sorry ich stell zu viele Fragen." – „Alles gut, es werden einfach meine Werte kontrolliert, das wars. Alle drei Monate bekomme ich meine Testo Sprize, wegen der ich so ein attraktiver junger Mann bin." Als ich ansetze was zu sagen, schüttelt Jules sofort seinen Kopf, „Wenn du mich jetzt fragst, ob ich einen Pimmel hab hau ich dich, Louis. Ich hab dich auch nie gefragt, wie dein Penis aussieht, wie klein er ist und was weiß ich was. Es geht niemanden was an was in deiner, oder meiner, oder der Hose von irgendwem ist."

Selbst wenn ich was erwidern wollen würde, könnte ich es nicht, da genau zu diesem Zeitpunkt Sophia und Sky wiederkommen. Die Gitarristin reicht mir mein Bier und lässt sich selbst auf die Bank fallen. Entspannt lassen wir den Nachmittag ausklingen und verbringen den restlichen Tag dann auf unseren Zimmern im Hotel zu verbringen. Auf Tour hängen wir so viel miteinander rum, dass wir auch mal froh sind, wenn wir an freien Tagen ein wenig Ruhe haben.

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Freunde der Sonne,

wer von euch hat's geahnt? Und was haltet ihr von Jules' Erklärung?

ich hoffe euch hat's gefallen :D

all the love, j x

take it ⎜l.s. auWo Geschichten leben. Entdecke jetzt