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----Dienstag, 10.03.2020----

Den Staub vom Teppich klaubend keuchte ich auf und begann zu schluchzen. In jedem Detail suchte ich nach Ablenkung, reinigte die kleinsten Ecken des Hauses, nur um das Gefühl von Schmutz los zu werden. Die Realiserung hatte nicht lange auf sich warten lassen, der Schock verblasste und die knallharte Wahrheit haute mir mit voller Wucht das Leben unter den Füßen weg. Helen schrie schon eine halbe Stunde, doch ich konnte keine Kraft aufbringen, mich um sie zu kümmern. Stattdessen gaben meine Beine nach und ich sackte zu Boden. In mir zog sich alles zusammen, alles und nichts. Denn ich wusste nicht, was passiert war, was ich fühlen oder denken sollte. Die letzten drei Jahre meines Lebens waren gefüllt mit Lügen, Betrug und Verrat.

Wildes Hämmern und Klingeln holte mich zurück in diesen Albtraum und ich erkannte die schmale Silhouette an der Haustür. Helen war vor lauter Erschöpfung eingeschlafen und es zerriss mir das Herz, sie hochrot und tränendurchnässt in ihrer Wippe zu sehen.
,,Lena!" Hallte ihre dumpfe Stimme durch die dicke Eingangstür. Ich raffte mich auf, alles an mir schmerzte und schrie nach Erlösung. Sogar das Öffnen der Tür war ein Kraftakt, meine Hand schmerzte, als ich die Klinke herunter drückte und Jule mich ensetzt anstarrte.
,,Wie.. was ist passiert ? Wie kann das angehen !?"
Beklagte Sie und klang wütend und zugleich zutiefst ergriffen. Sofort nahm sie mich in den Arm und drückte uns beide zurück in den Flur.
,,Ich weiß es nicht." Zitterte meine Stimme kaum hörbar.

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Freitag - 06.03.2020

Ungeduldig und angespannt saß ich am Abend im Büro des Polizeipräsidiums an der Lietzastraße. Der klapprige Holztisch war überseht mit braunen, ausgeblichenen Akten und irgendwo klingelte ein Telefon. Der unaufhörliche Regen presste sich an die dünnen Scheiben der Fenster, die selbst hier Gitterstäbe trugen, obwohl der Knast drei Stockwerke unter mir lag. Das Licht der Tischlampe flackerte kurz auf, als hätte jemand mit dem Schalter gespielt. Blitze zogen vor dem Fenster in der Dunkelheit umher. Es war ungewöhnlich für Paul nicht nachhause zu kommen ohne irgendwie darüber Bescheid zu geben. Es war ab und an mal vorgekommen, dass er sich zwei, drei Tage später erst meldete - aber noch nie vergingen drei Wochen ohne ein Lebenszeichen. Schritte und Räuspern war vor der Tür zu hören, dann trat der Beamte und eine Dame, schätzungsweise beide in meinem Alter, in den Raum. Die Brille saß tief auf seiner Nase, scheinbar brauchte er sie nur zum Lesen, nicht zum Sehen. Seine Arme waren breit und dunkle Behaarung blitzte unter den beigen Hemdärmeln hervor. Der kahl rasierte Schädel und der monotone Gesichtsausdruck ließ nicht im geringsten erahnen, was ihn bewegen könnte. Wie ein Betonklotz stand er da und bot der Dame einen Stuhl an. Ihr Gesicht war blass, die Augen eingefallen und von dunklen Gräben umgeben. Sie ähnelte mir äußerlich. Das lockige braune Haar hing wie meins über der Schulter.
Die Statur war etwas schlanker als meine aber meine Oberweite toppte ihre um längen, was ich wohl auch dem Stillen und regelmäßigem Abpumpen zu verdanken hatte. Ihr Finger waren zierlich, ein filigraner Ring steckte daran. Fast so, wie meiner. Vielleicht musterte ich sie etwas zu genau, denn mir blitzten grüne Augen wie Smaragd entgegen. Gänsehaut stellte sich auf. Die Unterlippe war viel voller als die obere, die Nase verlief schlank und etwas spitz. Lediglich ihre Kieferpartie war breiter als meine und die Stirn etwas höher. Sie versuchte sich an einem kläglichen Lächeln und ich sah, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht, vor einigen Sekunden hatte ich gedacht, sie sei eine Kollegin oder eine Praktikantin von dem Schrank, der sich mittlerweile zurück an den Tisch gesetzt hatte und konzentriert auf seine Tastatur einhackte.
Mein Atem beschleunigte, mein Herz begann zu rasen und ich legte panisch eine Hand an meine Kehle, erfühlte das schwere Schlucken und meinen pochenden Puls.
,,Was ist hier los !? Was ist mit Paul !?" Zwischen ihrem und dem Blick des Polizisten sprang ich hin und her, wie ein Hase auf der Flucht vor seinem Mörder. Ahnte das grausamste, das hätte eintreten können.
,,Ich heiße Jane. Ich bin die Frau von Lukas." Hörte ich ihre Stimme, sie sah mich nicht an, drehte an ihrem Ehering.
,,Wer ist Lukas ?" Ich schüttelte den Kopf, ich konnte nichts begreifen. Tausende Fragen schossen mir augenblicklich durch den Kopf. Der Polizist räusperte sich und drehte sich in seinem Drehstuhl zu uns. Seine kräftigen Arme hatte er auf den Akten übersehten Tisch gelegt, eine schob er noch unachtsam bei Seite.
,,Lukas Fritz ist ebenfalls Paul Schneider."
Ich lachte auf, als hätte ich den besten Witz meines Lebens gehört.
,,Pff. Das ist schlecht. Wer hat sich das ausgedacht ? Paul, du kannst raus kommen." Schaute ich mich in dem kleinen Büro um, als hätte er sich hinter der Pflanze auf der Fensterbank versteckt oder in einen der großen Aktenschränke gezwängt, um wie ein Clown hervorzuspringen.
,,Es tut mir leid Frau Schneider, das ist bittere Realität und Sie sitzen nicht nur aus diesem Grund hier." Ich hatte das Gefühl, mir würde das Leben ausgesaugt werden, als er mich so ernst anschaute. Jane hatte sich nicht mehr gerührt, saß wie festgetackert, müde und ausgelaugt auf dem Holzstuhl. Wusste sie schon so viel mehr als ich ? Wie konnte sie so regungslos dort sitzen ? In mir tobte ein Sturm, der mich beinahe vom Stihl gerissen hätte.
,,Ich kann nicht folgen, was passiert hier gerade ? Mein Mann ist auch ihr Mann ?" Ich war verwirrt, fühlte mich taub und leblos. Träumte ich ? Das muss es gewesen sein, ein Traum! Reflexartig rammte ich meine Fingernägel in meinen Oberarm und unterdrückte den spitzen Schrei. Viel zu zuversichtlich kniff ich mit voller Kraft zu, im Glauben nichts zu fühlen. Tränen des Schmerzes schossen mir in die Augen, ich schnappte kurz nach Luft, während das brennen der tiefen, blutigen Kerben an meinem Arm einsetzte.
Er nickte nur und schlug eine der Akten auf. Erstaunlich, dass er unter dem Berg noch genau wusste, welche er benötigte.
,,Sein echter Name war Lukas Fritz, verheiratet mit Jane Fritz, keine Kinder."
War !?
,,War !?" Staß mein Mund das aus, was mein Kopf mir panisch zu schrie. Jane schien immer kleiner zu werden. Wieder nickte er.
,,Wir haben vorgestern seinen Wagen am Waldrand von Dannhalm gefunden. Ein Spaziergänger hat uns darauf aufmerksam gemacht. Er ist mit einem der Bäume kollidiert und noch am Unfallort verstorben. Tut mir leid."
Ein ohrenbetäubendes Pfeifen löste sich, ich fühlte mich als würde ich fallen, tief und tiefer in Dunkelheit. Ich krallte mich in die Holzlehnen des Stuhls und spürte wie sich die Splitter in mein Nagelbett bohrten.
,,Was..?" War meine Stimme kaum ein flüstern. Jetzt war auch ich im Stuhl versunken.
,,Ihr Mann.. und auch Ihrer, ist verstorben. Er hat sich eine zweite Identität zugelegt, eine doppel Ehe geführt, die Strafbar ist. Für diese Taten kann ein Toter aber nicht mehr belangt werden." Sagte er Achselzuckend.
Die Luft schwoll an, ich fächerte mir Luft zu.
,,Was bedeutet das für mich und was ist mit unserer Tochter ? Was soll ich denn jetzt machen ? Ich weiß gar nicht was ich tun soll ?" Ich spürte wie meine Lunge verkrampfte, schwer rang ich nach Luft und spürte die heißen Tränen, die von meinem Kinn in meinen Schoß tropften.
Jane schluchzte, dann krümmte sie sich, als durchstehe sie Todesqualen und biss die Kiefer aufeinander.
,,Ich kann das alles nicht!" Kreischte sie mit erstickter Stimme, sprang auf und stürmte aus der Tür. Schweigen füllte den Raum, der um mich zu schrumpfen schien. Der Beamte schob ein Glas auf den Tisch und füllte Wasser hinein.
,,Was soll ich jetzt tun !?" Ängstlich schaute ich ihn an, hoffte darauf, dass er eine Antwort auf all meine Fragen hatte.
,,Ihre Ehe ist die Zweitehe und wird damit geschieden werden. Desweiteren müssen sie sich mit Frau Fritz auseinandersetzen, was die Beisetzung angeht. Er wird natürlich unter dem Namen Lukas Fritz seine letzte Ruhe finden, Paul Schneider gab es ja nie. Sie werden Post bekommen."
Ich konnte das nicht glauben, er rappelte wie ein alter Kassettenrekorder und klang lustlos und desinteressiert. Ich wollte keine Waschmaschine kaufen, ich hatte meinen Mann verloren, der nie existierte. Nachdem er bemerkte, dass ich das Wasser nicht wollte, das er mir anbot, schob er mir einen Zettel zu, auf dem Name und Adresse von Jane stand.
,,Vertrauliche Informationen." Fügte er hinzu. Ich schnaubte auf, griff den Zettel und knallte die Tür des Büros hinter mir zu, dass die kleine Scheibe in ihr bedrohlich klapperte.

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Zwei Leben (Aktuell PAUSIERT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt