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Freitag, 19.06.2020

Mein Blick war trüb, der Kopf schwer, als ich das Gußeiserne Tor hinter mir mit einem quietschen schloss.

Die Sonne stand bereits hoch am fast wolkenlosen Himmel und immer wieder weitete ich etwas die Arme, als mich ein lauer Windzug striff.

Eigentlich gab es allein dem Wetter wegen keinen Grund, trübselig zu sein. Vogel gezwitscher und das summen der Hummeln war überall zu hören. Ich aber schaffte nur kleine Schritte, da ich die schweren Ketten der letzten Nacht noch immer an meinen Knöcheln rasseln hörte.

Die Tapeten waren beschmiert mit Angst und Leid.

Mitternacht.. Kopfkino..  wie eine Super-Acht Projektion waren meine Gedanken in Bild und Ton verschoben.

Die Bilder in meinem Kopf sprangen wie ein Insekt, dass sich nicht greifen ließ. Das geschwirre brachte mich um den Verstand und hielt mich wach.

Immer wieder wählte ich Michaels Nummer, nur um der monotonen Stimme der Bandansage zu lauschen.

Immer wieder las ich Pauls Worte und es schüttelte mich immer ein bisschen mehr.

Ich will nicht noch ein Leben zerstören, das bringe ich nicht übers Herz.

Ich habe meine Haut abgestriffen, wie die von einer Schlange.

Die Schlange bin ich noch immer.

Jane braucht mich, sie verlässt sich auf mich.

,,Und ich hab mich nicht auf dich verlassen !? Oder deine Tochter !?"

Schluchzte ich heftig auf und vergrub mich unter der Decke. In der Hoffnung, wenn ich sie zurück zog, an einem besseren Ort zu sein. Die erdrückenden Gefühle mit dem Abziehen der Decke einfach unter ihr zu lassen und langsam zu ersticken.

,,Ich hab dich auch gebraucht Paul. Helen braucht dich.."

Flüsterte ich mit zusammen gepressten Zähnen. Mein Herz war taub, vermutlich endgültig in abertausende Scherben zersprengt. Das einzige, was ich in diesen Minute noch spürte, war unermessliche Wut.

***

Helen probierte heute das erst mal den Buggyaufsatz aus. Die Welt, die ihr zu Füßen lag, versetzte sie in erstauntes Schweigen.

Ihr Mund war leicht geöffnet, ihre Augen kletterten die Sonne hinauf, begleiteten die Vögel ein paar Sekunden, die pfeifend durch die Luft flogen. Sie betrachtete das Blumenmeer, dass sich links und rechts, auf den verschiedenen Gräbern, ins scheinbar unendliche erstreckte.

Heute war der Friedhof tatsächlich etwas friedvolles. Er leuchtet in bunten Farben, strahlte so viel Schönheit und Ruhe aus.

Doch nichts davon kam bei mir an. Nicht mal die Sonnenstrahlen erreichten mein inneres.
Sie erhitzen lediglich meine Haut und erschwerten mir das atmen. Schweiß klebte an mir, wie das schlechte Gewissen, die Enttäuschung und die Wut, die ich in mir trug.

,,Bwah Ma-mah!"

Helens Zeigefinger streckte sich hervor, verfolgte wackelig einen Zitronenfalter.

,,Schmetterling."

Sagte ich und stoppte kurz, damit sie sich in aller Ruhe an der Schönheit der Natur satt sehen konnte. Sie sollte so viele schöne Dinge wie möglich sehen, sie aufsaugen und tief in ihrem Herzen aufnehmen. Früher oder später würde nämlich alles seine Farbe verlieren.

Zwei Leben (Aktuell PAUSIERT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt